Hamburg. Der Musiker Marius Müller-Westernhagen war im Konzerthaus zu Gast, aber nicht, um zu singen. Das könnte manche abgeschreckt haben.
Das Arrangement war, man kann es nicht anders sagen, kurios. Da trafen sich auf der großen Bühne der Elbphilharmonie der Musiker Marius Müller-Westernhagen und der Autor Friedrich Dönhoff. Dönhoff hat einen Porträt- und Begegnungsband über Westernhagen geschrieben, der Ende vergangenen Jahres erschien. Der Interviewer und der Interviewte wieder vereint, nun also vor Publikum. Was eh schon ein wenig tautologisch wäre: Man fragte sich vorher, was sollen die jetzt noch mal besprechen? Wie ihre Zusammenarbeit beim Buch war, Manöverkritik also?
Oder ein Reenactment der Gespräche fürs Buch, die Dialoge als Wiederholung, als Aufführung? Einfach noch mal vor Leuten über Westernhagens Leben sprechen. Hätte man ja machen können. Das war jedoch nicht der Plan. Eine dritte Figur sollte her, die die in vielen Gesprächen vor Erscheinen des Buchs etablierte Situation aufbricht: die Fernsehjournalistin Bettina Böttinger als Moderatorin. Oder anders gesagt, als Interviewerin des Interviewers und seines Interviewpartners.
Marius Müller-Westernhagen in der Elbphilharmonie: Gut gelaunt trotz Publikumsschwunds
Klingt crazy? Aber ja. Es wurde auf dieser nächsten nach Literaturmaßstäben größeren Veranstaltung des Harbour Front Festivals am Donnerstagabend aber eine am Ende doch oft lohnende Nummer. Weil es grundsätzlich um den Star und sein jetzt bald 75 Jahre währendes Leben ging, den Star, der da mal wieder nach Hamburg gekommen war, in die alte Heimat. Bis 2010 lebte er hier, ehe er nach Berlin zog, wegen der Dynamik der Hauptstadt. Er lebt dort im megadynamischen Charlottenburg, und dort traf er meistens auch den Buchautor Dönhoff, um für das Buch miteinander zu reden.
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Nun also das Wiedersehen in der HafenCity. Unübersehbar waren allerdings die vielen Lücken in den Reihen der Elbphilharmonie. Es blieben weitaus mehr Plätze unbesetzt als belegt waren. Hat Westernhagen denn nur noch so wenig Fans? Oder waren doch zu viele vom Konzept des Abends abgeschreckt? Singen war ja von vornherein nicht angesagt. Kein „Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz“, kein „Wieder hier“. Nichts ist vergänglicher als Ruhm, vielleicht ist das die Binse, auf der Westernhagen ab sofort nach diesem Hamburg-Flop ein bisschen bitter herumkauen muss. Vielleicht tut er genau dies aber auch nicht. Er wirkte sehr mit sich im Reinen.
Westernhagen in Hamburg: am Anfang gab es eine Saalwanderung
Seiner Laune auf der Bühne war die mangelnde Resonanz jedenfalls nicht abträglich. Wie das so ist bei Publikumsschwund: Die, die da sind, versuchen, das Vakuum nach Kräften zu füllen. Applaus gab‘s jedenfalls genug. Und Westernhagen löste das Problem auf seine Weise und eine Saalwanderung aus, indem er die auf den höheren und Hinterbühnenplätzen nach vorne winkte. Es seien übrigens, für eine Lesung, einige Menschen da, er hätte nicht so viele erwartet, sagte Westernhagen.
Der in Hamburg geborene und teilweise in Afrika aufgewachsene Westernhagen-Porträtist Friedrich Dönhoff ist bislang als Krimiautor und eben als Biograf in Erscheinung getreten, Letzteres am prominentesten mit einem Buch über seine Großtante Marion Gräfin Dönhoff. Das wäre also der literarische Aspekt des Abends, Dönhoff ist kein 08/15-Schreiber. Sein gar nicht so dickes Buch über Westernhagen ist durchaus gelungen. Vielleicht gerade deshalb, weil Dönhoff mit Westernhagens Werk keineswegs vertraut war. Er hat dann fürs Buch die richtigen Fragen gestellt, die Westernhagen-Fans sind dem Vernehmen nach jedenfalls überwiegend zufrieden.
Elbphilharmonie: Bettina Böttinger stellte Westernhagen die Fragen
In der Elbphilharmonie stellte dann Böttinger die Fragen. Zu Hamburg recht wenig, eigentlich nur gleich zu Anfang, warum er („Ich weiß, das haben mir viele übel genommen, Hamburg hat mich geprägt“) denn weg nach Berlin sei. Wäre vielleicht nicht so verkehrt gewesen, noch mal etwas über die Jahre in der Villa Kunterbunt zu hören, jener Underground-WG der 70er in Winterhude. Waalkes, Lindenberg, Westernhagen bevor sie Stars wurden: Die Geschichte bleibt interessant.
Aber es gibt so viele andere Kapitel aus Westernhagens Leben, die Düsseldorferin Böttinger sprach mit dem Düsseldorfer Westernhagen lieber über die ganz frühen Jahre, die Anfänge. Und sie hatte in dem Musiker einen Gesprächspartner, der offenherzig über frühe Weichenstellungen, über andere Zeiten und existenzielle Verluste sprach. Sein Vater starb, als er 14 war. Die letzte Nachricht, ein Telegramm aus dem Krankenhaus: „Bescheidenheit und Demut. Dein Vater“.
Das seien die Werte gewesen, eine Handlungsanleitung für sein Leben, sagte der Mann, der laut eigenem Bekunden „Huldigungen“ nicht mag. Weshalb wiederum Friedrich Dönhoff dem Anschein nach tatsächlich der richtige Mann für das biografische Buch war.
Marius Müller-Westernhagen: Karrierestart mit „Gebt Bayern zurück den Bayern“
Apropos, was machte Dönhoff eigentlich auf der Bühne? Er durfte hie und da Einblicke in das Making-of seines literarischen Porträts geben. Böttinger fragte, wie Westernhagen („Er fragte geschickt und sensibel“) und Dönhoff die Zusammenarbeit empfunden hatten, wollte wissen, welchen Eindruck Dönhoff von Westernhagen hatte, als der über seine Kindheit und den vom Krieg gebrochenen Vater redete. Er habe gemerkt, dass das Thema seinem Gesprächspartner wichtig sei, sagte Dönhoff sinngemäß.
Nun denn. Später, als es um Westernhagens Karrierestart ging und eine frühe McCartney-Satire namens „Gebt Bayern zurück den Bayern“, griff Plauder-Marius voraus, wollte launig von einem München-Trip zum Ex-Beatle erzählen, der dort einen Auftritt hatte. Böttinger stoppte ihn da beherzt. Es war die Stelle, die Dönhoff vorlesen wollte. Anzunehmen, dass das Publikum am liebsten die Anekdote und auch alles andere von Westernhagen selbst gehört hätte.
Die Oral History Westernhagens stand nämlich eindeutig im Mittelpunkt, angetrieben von den Stichworten Böttingers, die Friedrichs Dönhoffs Buch quasi aus Recherchegründen genau gelesen hatte und nun auf der Grundlage der Erkenntnisse Dönhoffs Westernhagen einmal mehr aus seinem Leben erzählen ließ. Es passte wirklich nicht so recht zusammen.
Was aber halt nicht hieß, dass die Westernhagen-Fans nicht auf ihre Kosten gekommen wären. Der Musiker sprach über seine Tochter Mimi, eine britische Popsängerin („Sie ist hochintelligent, war die Beste in der Schule. Aber sie hätte studieren sollen“) und den Zynismus vieler Musiker, die absichtlich unter ihrem möglichen Niveau bleiben, um Erfolg zu haben: „Jeder Vollidiot kann heute Platten verkaufen.“
Elbphilharmonie: In Hamburg spielte Westernhagen mal vor 110.000 Besuchern
Seine Karriere als Stadiongigant habe er einst absichtlich beendet, wie er in der Elbphilharmonie erzählte. Stimmt ja, so war das, dachte man da – Westernhagen hat seine Sachen schon immer durchgezogen. Wenn er etwas für erledigt hielt, in diesem Fall seine Existenz als Megastar, der in Hamburg einmal vor 110.000 Menschen spielte, dann beendete er das Kapitel.
Die Veranstaltung in Hamburg war sowieso kein Nostalgieabend, zumindest nicht für die Hauptperson auf der Bühne. Er blickte zwar zurück, das ist eben das Thema des biografischen Buchs, das ein anderer für ihn geschrieben hat, betonte aber, „nicht in der Vergangenheit“ zu leben.
Und zum Schluss wurde er kurz politisch, lobte eine neue, wieder am politischen Leben teilnehmende junge Generation, die zu Fridays for Future geht. Dann war die Veranstaltung irgendwie abrupt zu Ende. Die ersten Autogrammjäger drängelten sich schnell am Bühnenrand.
Also, Marius Müller-Westernhagen hat noch treu ergebene Fans, den Beweis trat dieser Abend sicher an, trotz verhältnismäßig leerer Elbphilharmonie. Der Vorverkauf für die Hallenkonzerte, berichtete Westernhagen, sei überwältigend, „ich war übrigens der Einzige, der vorher glaubte, nach sechs Jahren ohne Auftritte hätten mich die Leute vergessen“.