Hamburg. Veranstalter Alexander Schulz über gestiegene Kosten, Programm und Kritik am Musikmarathon, der am 20. September auf St. Pauli beginnt.

„Auf dem Kiez, da geschieht’s“: So wie im Deichkind-Klassiker „Limit“, der seit 2006 schon mehrfach beim Reeperbahn Festival erklang, gibt es vom 20. September an wieder vier Tage lang korrekte Shows, beste Leistungen, fette Beats und brummende Schädel bei Konzerten von 320 Newcomerbands aus 40 Nationen, die über 80 Clubs, Bars und Bühnen zwischen Millerntor, Nobistor und Feldstraße bespielen – während sich hinter den Kulissen die internationale Musikbranche austauscht. Ein wichtiger Standort- und Imagefaktor nicht nur für Hamburg, alleine der Bund förderte das Festival in den vergangenen zehn Jahren mit knapp 35 Millionen Euro. Im Interview verdeutlicht Festivalleiter Alexander Schulz, wie wichtig diese Summen sind – sie tragen über die Hälfte des Festivalbudgets.

Hamburger Abendblatt: 41.000 Konzertfans, deutlich mehr als erwartet, tolle Konzerte und top Organisation: Das Reeperbahn Festival 2022 zeigte sich sehr gut von Corona erholt. Wie sind die Aussichten für dieses Jahr?

Alexander Schulz: Wir erwarten einen post-pandemischen Publikumsrekord und werden fast wieder an die Zahlen von 2019 anknüpfen. Dabei sind wir in diesem Jahr bei unseren Planungen etwas zurückhaltender gewesen, gerade wegen der hohen Kosten für die Ausrichtung von Konzerten, die in den vergangenen Jahren um bis zu hundert Prozent gestiegen sind. Wir erwarten bis zu 49.000 an vier Tagen, darunter etwa 4000 Fachbesucherinnen und -besucher aus 35 Ländern. Mit diesen Werten liegen wir gut zehn Prozent hinter denen von 2019.

Alexander Schulz leitet das Reeperbahn Festival seit der Premiere 2006.
Alexander Schulz leitet das Reeperbahn Festival seit der Premiere 2006. © Marcelo Hernandez / FUNKE Foto Services

Was gibt es an Neuerungen und Verbesserungen und Musiktrends, speziell für die Konzertfans?

Schulz: Bei den Musiktrends beobachten wir, dass die aktuellen Sounds, wahrscheinlich ausgelöst durch das Hörverhalten bei den Streamingdiensten, zunehmend poppiger werden. Popmusik ist nicht mehr nur Sache von bereits etablierten und erfolgreichen Künstlerinnen und Künstlern, sondern es gibt immer mehr Newcomer, die sich dem Pop widmen. Auffällig ist außerdem, dass die Grenzen zwischen Pop und anderen Musikrichtungen wie zum Beispiel Hip-Hop oder Indierock deutlich fließender werden. Apropos Rock - es ist spannend zu beobachten, dass Punk und Garage sowohl national aus auch international immer beliebter werden.

Reeperbahn Festival: Die Steuerzahlenden finanzieren das Festival zur Hälfte

Was sind die Schwerpunkte beim Branchenprogramm?

Schulz: Insgesamt produzieren wir in diesem Jahr etwa 120 Conference-Sessions. Schwerpunkte bilden die aktuellen Herausforderungen unserer Zeit aus dem Blickwinkel der Musikindustrie wie der Einfluss von künstlicher Intelligenz, Monopolisierungstendenzen, der Nachwuchs- und Fachkräftemangel sowie die soziale Verantwortung der Musikwirtschaft, die sich auch im Diskurs um Machtmissbrauch und ökologische Nachhaltigkeit niederschlägt.

Festivaltickets kosten 143 Euro, decken aber die Ausgaben nicht. Wie wichtig sind die Fördergelder von Bund und Land für die Ausrichtung des Festivals?

Schulz: Die rein operativen Kosten der Veranstaltung werden im Wesentlichen wie folgt gedeckt: 25 Prozent durch Fach- und Publikum-Ticketerlöse, 54 Prozent durch die öffentliche Hand und 21 Prozent durch Sponsoring- und Werbepartner.

Reeperbahn Festival: Können sich kleine Firmen die Teilnahme nicht mehr leisten?

Die britische Sängerin Arlo Parks, Platinstar aus London, wird bei der Eröffnung des Reeperbahn Festivals 2023 am 20. September im Operettenhaus auftreten.
Die britische Sängerin Arlo Parks, Platinstar aus London, wird bei der Eröffnung des Reeperbahn Festivals 2023 am 20. September im Operettenhaus auftreten. © picture alliance / Photoshot

Hinter vorgehaltener Hand gibt es Kritik vor allem von kleinen Indie-Agenturen und -Bands, dass die offensichtlich gestiegenen Kosten einer Teilnahme beim Festival, von den Festivalgebühren zur Ausrichtung von Konzerten bis zu Anreise und Unterbringung nicht mehr tragbar sind.

Schulz: Es ist doch gar kein Geheimnis: Die Preise für Personaldienstleistungen, Flächennutzungen, Veranstaltungstechnik und weitere Faktoren sind post-pandemisch erheblich und in nachvollziehbarer Weise gestiegen, denn die Lieferanten und Spielorte müssen die Kosten aus den Folgen der Pandemie, Energiekosten und Inflationseffekte weitergeben. Dass einige kleine oder sehr kleine Unternehmen, bei der aktuellen Preisentwicklung an die Grenzen ihrer budgetären Möglichkeiten gelangen, ist keine Überraschung. In dieser Kenntnis halten wir besondere Angebote vor. So können Mitgliedsunternehmen aus der Hamburger Musikwirtschaft für kleines Budget zum Beispiel einzelne Slots für Präsentationen oder Networkings im Hamburg Haus über den Branchenverband Hamburg Music buchen. Und wir zahlen allen von uns gebuchten Künstlerinnen und Künstlern Gagen oder Produktionskostenzuschüsse oder beides.

Auch einige Clubinsider sagen hinter vorgehaltener Hand, dass die Mieten, die das Reeperbahn Festival an die Clubs zahlt, sozusagen „Freundschaftspreise“ sind.

Schulz: Das Reeperbahn Festival wird von den bespielten Orten behandelt wie alle anderen am Markt. Für die Buchung von Leistungen über einen mehrtägigen Zeitraum werden Rabattierungen eingeräumt, das ist marktüblich. Dafür hören wir aus vielen Spielorten, dass die Viertagesbuchungen inklusive Getränke-Umsätze beim Reeperbahn Festival sehr einträglich sind und manchmal den Umsatz für einen ganzen Monat einspielen.

Was sind Ihre persönlichen Konzert-Empfehlungen dieses Jahr für das Reeperbahn Festival?

Schulz: Ganz oben stehen bei mir Berq, Hannes, The Last Dinner Party und The Staves.

Reeperbahn Festival 2023 Mi 20.9. bis Sa 23.9., Programm, Infos und Tickets (Tagestickets ab 52,48 Euro, 4-Tagestickets 143,74 Euro) unter www.reeperbahnfestival.com