Hamburg. Güterumgehungsbahn könnte für Personenverkehr genutzt werden. Für Anwohner in Niendorf, Eppendorf, Alsterdorf wird es lauter.
Könnten schon innerhalb weniger Jahre auf der Güterumgehungsbahn in Hamburg S-Bahnen oder Regionalzüge fahren? Die Deutsche Bahn prüft ein Szenario, das eine neue Querverbindung von Eidelstedt über Niendorf, Lokstedt, Groß Borstel, Alsterdorf Richtung Barmbek und weiter nach Süden zu den Elbbrücken möglich machen würde.
Auf dieser bislang weitgehend eingleisigen Strecke fahren je nach Abschnitt 50 bis 80 Güterzüge pro Tag. Außerdem wird die Güterumgehungsbahn zum Beispiel für Werkstattfahrten von ICEs genutzt, die nicht über die Verbindungsbahn (Dammtorstrecke) zum Bahnwerk nach Eidelstedt gebracht werden sollen oder können.
S-Bahn Hamburg: Bald Bahnen auf der Güterbahnstrecke?
Die Bahn bestätigte dem Abendblatt: „Wir prüfen weiterhin die Möglichkeit, die Güterumgehungsbahn für den Personennahverkehr zu aktivieren. Der Abschlussbericht der Machbarkeitsstudie ist noch in der Prüfung. Allerdings muss bedacht werden, dass dort bereits Güterzüge fahren. Mögliche Verkehre von Regional- oder S-Bahnen müssen hier zusammenbracht werden“, sagte eine Bahn-Sprecherin dem Abendblatt.
Die Verkehrsbehörde und Senator Anjes Tjarks (Grüne) sind tief in die Überlegungen eingebunden. Allerdings geht es im politischen Raum nicht nur um die „Machbarkeit“, sondern auch um die Sinnhaftigkeit – und den Nutzen für Hamburg. Wie viele Fahrgäste profitieren davon? Steigen Autofahrer um?
Behörde: Möglichkeit wird „intensiv“ geprüft
Diese Überlegungen sind nicht trivial. Denn wer zig Millionen Euro ausgibt, will dafür einen großen Batzen vom Bund. Und die Bundesregierung beteiligt sich dann an Länderprojekten, wenn der Nutzen-Kosten-Faktor über der Zahl eins liegt. Hamburg buhlt außerdem mit anderen Bundesländern und ihren Projekten um das Geld aus Berlin.
Offiziell heißt es aus der Verkehrsbehörde fast wortgleich zur Bahn, es werde intensiv geprüft, die Güterumgehungsbahn als Strecke für einen Personennahverkehr zu nutzen. Die Antwort geht aber in einem Punkt weiter, der das Visionäre einer charmanten Idee klarmacht: „So könnte man in Hamburg eine Nordtangente entwickeln.“
S-Bahn: So eine Querverbindung fehlt im Hamburger Schienenverkehr
Das ist deshalb so elektrisierend für Verkehrsexperten, weil eine solche Querverbindung West-Ost auf der Schiene in Hamburg fehlt. Und es gibt ja die bestehende Trasse, auf der Güterzüge rollen. Sie müsste zweigleisig ausgebaut werden, da sind sich alle vom Abendblatt befragten Experten einig. Gleichzeitig hat die Güterumgehungsbahn enge Berührungspunkte zu viel genutzten Hamburger U- und S-Bahnhöfen (siehe Karte).
Hinzu kommt: Regionalzüge beispielsweise aus dem schleswig-holsteinischen Elmshorn oder Pinneberg könnten diese „Tangente“ nutzen, müssten nicht über die hoch belastete Dammtorstrecke geführt werden und könnten Halte etwa an der Sengelmannstraße oder in Barmbek ermöglichen.
Kompliziert: Fahrplan müsste Umsteigen einfach machen
Perspektivisch wäre denkbar, den Hauptbahnhof zu umgehen und über beispielsweise die Elbbrücken, Veddel und Harburg nach Niedersachsen weiterzufahren. Das klingt nach Zukunftsmusik und nach schwieriger Fahrplantüftelei. Wie kann hier ein Takt funktionieren, der das Umsteigen nicht zum Albtraum macht?
Doch so unkonventionell muss man offenbar denken, wenn man andere Mega-Projekte auf Hamburger Stadtgebiet in den kommenden Jahren einbezieht:
- Die S4 Richtung Ahrensburg wird mit Hochdruck – und großem Aufwand – durch den Osten der Stadt getrieben.
- Die U5 wird eine Schneise an Baustellen durch die Stadt schlagen. Am Hauptbahnhof und Jungfernstieg wird es für die Planer besonders trickreich.
- Der Verbindungsbahnentlastungstunnel (VET) soll den Hauptbahnhof unterirdisch über den Dammtorbahnhof mit Diebsteich verbinden. Hier sollen S-Bahnen verkehren.
- Die Verbindungsbahn selbst wird da und dort gesperrt, weil die marode Sternbrücke ersetzt werden muss.
- Die Elbbrücken werden saniert und die Strecke über Wilhelmsburg in den Süden für den Schienenverkehr ausgebaut.
- Und schließlich rollen in Zukunft deutlich mehr Güter- und Personenzüge über die sogenannte Feste Fehmarnbeltquerung (FFBQ) Richtung Hamburg und Süden, wenn der Tunnel zwischen der Ostseeinsel Fehmarn und Dänemark dereinst fertig ist.
Das wiederum bedeutet weniger skandinavische Güterzüge aus Richtung Flensburg/Elmshorn nach Hamburg und weiter in den Süden. Die Güterumgehungsbahn hätte mehr Kapazitäten für Personenzüge. Nur bis dahin müssten sich Güter- und Personenzüge „arrangieren“. Wer muss wie oft halten? Wäre die Güterumgehungsbahn auch bei zwei Gleisen nicht überfordert?
S-Bahn: Anwohner fürchten Lärm und Wertverlust ihrer Häuser
Die Überlegungen klingen insgesamt allzu logisch. Befürworter sehen bereits in einigen Jahren die Pläne umgesetzt. Eine Planfeststellung wäre jedoch immer erforderlich. Gäbe es dagegen Klagen von den Anwohnern der Güterumgehungsbahn? Denn die hat eine Geschichte mit ehemals lauten Güterzügen und ihren Quietsche-Bremsen (heute sind es in der Mehrzahl Flüsterbremsen).
Initiativen und private Hausbesitzer entlang der Strecke hatten sich in Niendorf, Groß Borstel, Eppendorf und Alsterdorf mit selbst gesammeltem Geld um Lärmschutzwände gekümmert. Hamburg hat einen Teil dazugetan. Die Grundstücksbesitzer fürchteten den Lärm und den Wertverlust ihrer Häuser. Wie sie zu den Überlegungen eines Ausbaus für Personennahverkehr stünden, ist ungewiss.
Wie die Güterumgehungsbahn ins Spiel kam
Was viele nicht wissen: Die Güterumgehungsbahn kam erst durch ein anderes Projekt plötzlich ins ganz große Planungsspiel. Der Verkehrsclub Deutschland (VCD) wollte gegen die Verlegung des Bahnhofs Altona zum Diebsteich klagen. In einer Einigung mit der Bahn und dem Senat hatte man sich auf ein „Dialogforum“ verständigt. Dort sollte die Strecke, deren erste Teile 1902 in Betrieb gingen, für einen Personenzug-Ausbau genauer unter die Lupe genommen werden. Deshalb wurde eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben, deren genaue Ergebnisse noch fehlen.
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Alexander Montana, Vorstandsmitglied im VCD Nord, sagte dem Abendblatt: „Vom Personenverkehr auf der nördlichen Güterumgehungsbahn würden Pendler aus Schleswig-Holstein und Fahrgäste aus Hamburg gleichermaßen profitieren.“ Auch er sieht die Station Sengelmannstraße (U1, City Nord) als Ort, um die geplante U5 mit einer Regionalbahn „optimal zu verknüpfen“.
S-Bahn Hamburg: Neben Bahntrasse könnte Veloroute verlaufen
Und er hat eine Idee, die der Hamburger Mobilitätswende ebenso positiv entgegenrollt: „Wenn man beim Ausbau der Infrastruktur den Radverkehr gleich mitdenkt, könnte ein Radschnellweg von Elmshorn bis in die City Nord mit Anschluss an die Velorouten entstehen.“ Heißt: eine Velo- neben einer Bahntrasse.
Ob die Zugverbindungen schneller als heute wären oder das Ganze überhaupt machbar ist, ist fraglich. Aber der VCD-Experte sieht auch langfristig eine Chance, Fahrgäste aus dem Süden mit Halten in Hamburg weiter in den Norden zu leiten: „Dabei könnten zum Beispiel Züge aus Buchholz und Lüneburg in Harburg am selben Bahnsteig zum Umsteigen halten und dann würden sie jeweils über die Güterumgehungsbahn und Verbindungsbahn weiter nach Pinneberg verkehren, wo erneut gute Anschlüsse bestünden.“ Der Ausbau der Bahn-Infrastruktur an den Elbbrücken wäre dafür eine Voraussetzung.
Die Herausforderung bei alldem: Niedersachsen und Schleswig-Holstein müssten politisch mitspielen. Haben sie ein Interesse daran, dass auf Hamburger Stadtgebiet ein Projekt umgesetzt wird, das zusätzlich zu den bestehenden ein Loch in die Haushalte reißt? Und wie viel Hamburg im Herzen trägt der ganze Norden?