Hamburg. Der Verbindungsbahnentlastungstunnel soll trotz offener Milliardenkosten kommen. Ein berühmtes Theater könnte dem im Weg stehen.

Es ist ein Milliarden-Projekt, das dem Bahnverkehr in Hamburg und im Norden Beine machen soll: Die Realisierung eines zweiten City-Tunnels für die S-Bahn rückt näher.

Eine am Montag vorgestellte Machbarkeitsstudie im Auftrag der Stadt und des Bundesverkehrsministeriums kommt zu dem Ergebnis, dass der „Verbindungsbahnentlastungstunnel“ (VET) grundsätzlich technisch möglich ist. Und sowohl Verkehrssenator Anjes Tjarks (Grüne) als auch die Deutsche Bahn ließen keinen Zweifel daran, dass sie dieses Projekt auch umsetzen wollen.

Verkehrssenator: Neuer S-Bahn-Tunnel wäre „Jahrhundertprojekt für Hamburg“

„Das ist ein Jahrhundertprojekt für Hamburg“, sagte Tjarks. Mit dem neuen Tunnel werde der „Knoten Hamburg“ entlastet und große neue Kapazitäten für den Fern- und Regionalverkehr geschaffen. So werde die Stadt fit für den revolutionären „Deutschland-Takt“, bei dem nicht mehr die Infrastruktur den möglichen Fahrplan diktiert, sondern umgekehrt der Fahrplan vorgegeben und die Infrastruktur entsprechend angepasst wird.

Hamburgs Eisenbahnnetz sei in seinen Grundzügen ab 1898 festgelegt worden, sagte auch Ute Plambeck, die Konzernbevollmächtigte der Deutschen Bahn für Hamburg. „Dieser Tunnel ist die einzige Lösung, die uns strukturell nach vorne bringt.“

150 Fern- und Regionalzüge könnten Hamburg zusätzlich anfahren

Wie berichtet, soll der rund sechs Kilometer lange Tunnel grob der Verbindungsbahn folgen – also vom Hauptbahnhof über Dammtor, Sternschanze und Holstenstraße zum neuen Bahnhof Diebsteich verlaufen. Wenn die 645 S-Bahnen, die täglich auf diesem Abschnitt unterwegs sind, unter der Erde fahren würden, könnte der oberirdische Fern und Regionalverkehr vier statt zwei Gleise nutzen. Statt gut 320 Zügen am Tag, was laut Bahn einer Auslastung von 140 Prozent entspricht – also einer völligen Überlastung –, könnten 150 mehr fahren.

Diese Stärkung der regionalen und überregionalen Schienenkapazitäten im Zuge des „Deutschland-Takts“ ist der eigentliche Grund für den Bau des Tunnels, den der damalige Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, Enak Ferleman, Ende 2019 vorgeschlagen hatte. Daher war zunächst vom „Ferlemann-Tunnel“ die Rede.

Fünf mögliche Trassen – wo neue Haltestellen entstehen könnten

Allerdings hat das Projekt einige Tücken. Das beginnt schon mit der Trasse, für die die Autoren der Machbarkeitsstudie fünf mögliche Varianten aufgezeigt haben. Eine führt entlang der heutigen Verbindungsbahn mit den Haltstellen Sternschanze und Holstenstraße. Eine andere verläuft nördlich davon über Schlump und könnte dann entweder zwischen Sternschanze und Holstenstraße wieder an die alte Trassen anschließen (nur unterirdisch) oder weiter nördlich davon verlaufen und noch die Gegend um den Alsenplatz mit einer eigenen Haltestelle anbinden.

Die beiden Südvarianten führen beide zunächst unter der Feldstraße hindurch und schließen dann kurz vor oder hinter der Holstenstraße an den Verlauf der Bestandstrasse an – wobei die längere Variante noch eine Haltestelle an der Max-Brauer-Allee hätte.

Tjarks wünscht sich Regionalbahn-Haltestellen an Sternschanze und Holstenstraße

Tjarks betonte, dass man alle fünf Varianten nun „ergebnisoffen“ prüfen werde, um „gemeinsam mit den Menschen in Hamburg die bestmögliche Trassenführung zu finden“. Allerdings betonte er auch, dass er es „sehr attraktiv“ finden würde, wenn Holstenstraße und Sternschanze zu Regionalbahnhöfen werden würden – auch, weil es dazu beitragen würde, dass weniger Passagiere am völlig überlasteten Hauptbahnhof ein- und umsteigen müssten. Das würde allerdings dafür sprechen, nicht auch die S-Bahn auf exakt dieser Strecke fahren zu lassen, sondern lieber nördlich oder südlich davon.

Nach Bahnangaben hat die Wahl der Trasse relativ wenig Einfluss auf Realisierbarkeit, Zeitrahmen und Kosten. Wenn der Tunnelbohrer einmal in der Erde sei, mache es keinen großen Unterschied, ob er 200 Meter mehr oder weniger bohren müsse. Konkret wollte sich aber noch niemand zu den Kosten äußern, die ursprünglich mal auf 2,6 Milliarden Euro geschätzt wurden. Zunächst müsse man sich auf eine oder zwei Vorzugstrassen festlegen und diese näher untersuchen. Mutmaßlich werden die Kosten inzwischen deutlich höher liegen. Wann der Bau beginnen könnte, ist ebenfalls offen – wohl frühestens Ende des Jahrzehnts.

Tunnel würde durch den Keller eines bekannten Museums führen

Einige konkrete Probleme zeichnen sich dennoch bereits ab. So würde der Tunnel am Hauptbahnhof neben dem bestehenden S-Bahn-Tunnel ansetzen (die sogenannte „Ebene minus 1“), der bereits außerhalb des Gebäudes liegt. Dafür müsste der Hachmannplatz jahrelang aufgerissen werden, um dort in offener Bauweise eine neue Station zu errichten. Nach Süden würde der Tunnel – wie der bestehende – durch den Keller des Museums für Kunst und Gewerbe führen, das darüber vermutlich nicht sehr erfreut sein dürfte.

Nach Norden hin in Richtung Dammtor würde der Tunnel haarscharf am Keller des Bieberhauses vorbeiführen, in dem das Ohnsorg-Theater seinen Sitz hat – auch hier wird zu klären sein, inwiefern das Gebäude davon betroffen wäre und was das für das Theater bedeutet.

Bekommt die Neue Mitte Altona eine eigene S-Bahn-Station?

Knifflig ist auch die Anbindung des Tunnels im Raum Altona. Hier soll ein riesiges Kreuzungsbauwerk am Kaltenkircher Platz entstehen, von wo eine Trasse nach Süden zum alten Bahnhof Altona abzweigt – möglicherweise gibt es unterwegs eine weitere S-Bahn-Station in der Neuen Mitte Altona – und eine nach Norden zum neuen Bahnhof Altona am Diebsteich, wo sie in einen unterirdischen, viergleisigen S-Bahnhof mündet.

Das Ärgerliche daran: Dieser S-Bahnhof wird gerade neu gebaut – oberirdisch. Er muss dann wieder zurückgebaut werden, wenn der VET fertig ist. Das Gute daran: Dann wird der neue Fernbahnhof acht statt sechs Gleise für den Fern- und Regionalverkehr haben.

Weiteres Problem: Am neuen Bahnhof Diebsteich sollen auch ein repräsentatives Empfangsgebäude und zwei Hochhäuser mit Büros und einem Hotel entstehen. Dafür ist ein privater Investor, die ProHa Altona GmbH & Co. KG, zuständig. Diese Planung kollidieren jedoch mit dem neuen Tunnel.

Die Stadt hat mit dem Investor im vergangenen Juli einen Nachtrag zum Grundstückskaufvertrag geschlossen, in dem festgestellt wurde, dass die Planung für die „Umfeldbauten“ des Bahnhofs und die für den VET möglicherweise „nicht kompatibel“ seien. Falls die Stadt „aufgrund übergeordneter Erwägungen“ dem Tunnel den Vorzug vor den Gebäuden geben sollte, kann der Investor von dem Projekt zurücktreten.