Hamburg. Barmer zeichnet erschreckendes Bild: Kinder haben auch bei der Sprache häufiger Entwicklungsstörungen. Wie sich das auswirkt.

Sie haben ein begrenztes Vokabular, Schwierigkeiten bei der Laut- und der Satzbildung sowie bei der Grammatik: Immer mehr Kinder in Hamburg zeigen Störungen beim Spracherwerb und Defizite bei der motorischen Koordination. Das belegen Daten im Barmer Kinderatlas. Demnach diagnostizierten Ärztinnen und Ärzte im Jahr 2021 bei 14,6 Prozent der Kinder im Alter zwischen sechs und zwölf Jahren eine sogenannte Entwicklungsstörung des Sprechens und der Sprache. Das entspricht knapp 17.300 Mädchen und Jungen. Im Jahr 2006 waren nach Zahlen der Barmer mit gut 8400 nicht einmal halb so viele Kinder von einer Sprachstörung betroffen.

„Die Zahl der Kinder mit Defiziten beim Sprechen liegt auf einem hohen Niveau. Störungen beim Spracherwerb gehören mit zu den häufigsten Diagnosen“, sagt Dr. Susanne Klein, Landesgeschäftsführerin der Barmer in Hamburg. Zu den Sprech- und Sprachstörungen zählten etwa ein begrenztes Voka­bular, Schwierigkeiten in der Satzbildung und bei der Grammatik sowie Probleme in der Ausdrucksfähigkeit und bei der Lautbildung.

Kinder Hamburg: Sprachprobleme wirken sich auf Lesen und Schreiben aus

Es geht aber nicht allein um das Sprechen: Die Entwicklungsstörungen im Bereich Sprechen und Sprache zögen oft Folgen nach sich, wie etwa Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben, Störungen im Bereich der zwischenmenschlichen Beziehungen, im emotionalen sowie auch im Verhaltensbereich. „Kinder erlernen Sprache durch Nach­ahmen. Deshalb ist es wichtig, dass Eltern viel mit ihrem Kind kommunizieren und Medienkonsum begrenzen“, so Klein.

Auch der Anteil an Kindern mit motorischen Entwicklungsstörungen hat der Barmer-Auswertung zufolge deutlich zugenommen. Während Ärzte im Jahr 2006 noch bei gut 3340 der Sechs- bis Zwölfjährigen in Hamburg Defizite in der motorischen Koordination feststellten, waren es im Jahr 2021 mit etwa 5460 Kindern rund 60 Prozent mehr. Die Diagnoserate liegt in der Altersgruppe bei 4,6 Prozent.

Hamburger Kinder können keinen Purzelbaum mehr

Eine der Ursachen ist der zunehmende Bewegungsmangel. „Viele Kinder können heute weder Hampelmann noch Purzel­baum. Dabei sind gut entwickelte, motorisch koordinative Fähigkeiten wichtig für Schule und Alltag“, sagt Barmer-Landeschefin Klein.

Eltern sollten deshalb ihre Kinder schon von klein auf zu vielfältigen fein- und grobmotorischen Bewegungsabläufen motivieren. Wenn auffällt, dass Kinder schlecht das Gleichgewicht halten, häufig Sachen fallen lassen oder im Vergleich zu Gleichaltrigen tollpatschig wir­ken, könnten Eltern das Gespräch mit Kinderärztin oder Kinderarzt suchen.

Inwieweit die Corona-Pandemie Defizite beim Spracherwerb und der motorischen Koordination verstärkt hat, ist laut Barmer derzeit noch nicht absehbar. So hat die Zahl der Kinder mit Sprachentwicklungsstörungen vom Jahr 2019 zum Jahr 2021 zwar um gut fünf Prozent zugenommen. Bei den motorischen Störungen ging sie aber um 7,5 Prozent zurück.

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„Wir sehen in den Daten über die Jahre einen Auf­wärts­trend bei den umschriebenen Entwicklungsstörungen. Allerdings ist kein überpro­portionaler Anstieg in Zeiten der Lockdowns auszumachen“, so Klein.

Aber: Der schulärztliche Dienst im Hamburger Bezirk Nord hat nach den Worten von Claudia Haupt, Vorsitzende des Verbandes der Kinder- und Jugendärzte Hamburg bei sieben bis acht von zehn Kindern festgestellt, dass sie Mängel in ihrer sprachlichen und Bewegungsentwicklung hätten. „Wir hatten noch nie so viele Anträge auf Schulrückstellungen“, sagte Haupt jüngst. Diese Kinder im Vorschulalter müssen noch ein Jahr pausieren, bis sie in die erste Klasse können.