Hamburg. Wegen politischer Differenzen ist CDU nicht willkommen. SPD leistete lange Widerstand gegen Regenbogenfahne – selbst kürzlich noch.

In diesen Tagen der Pride Week mit dem Höhepunkt der großen Parade aus Anlass des Christopher Street Days (CSD) am Sonnabend ist die Regenbogenfahne im Stadtbild beinahe allgegenwärtig: Das bunte Symbol der schwul-lesbischen Bewegung, der bisexuellen, transgeschlechtlichen, intersexuellen und queeren Menschen ist am Rathaus aufgezogen, weht von der Handelskammer und selbst die Deutsche Bank gibt sich per Flagge auf dem Dach ihres Gebäudes am Adolphsplatz bunt und vielfältig. Die Unterstützung der LGBTIQ*-Gemeinde ist jedenfalls auf der abstrakten Ebene längst politischer und in weiten Teilen auch gesellschaftlicher Mainstream geworden.

Zwar hat die CDU an ihrer Parteizentrale, dem Ludwig-Erhard-Haus in Winterhude, nicht die Regenbogenfahne gehisst – hier gilt die Solidarität weiterhin der Ukraine –, aber die Partei will gleichwohl auch Teil des LGBTIQ*-Kosmos sein. „Happy Pride!“ wünscht die Union auf einem Plakat, das zahlreich vor allem in St. Georg aufgestellt ist. Zu sehen ist ein lächelnder CDU-Partei- und Bürgerschaftsfraktionschef Dennis Thering mit lässig über die Schulter geschwungener Jacke, der einen Besuch am Stand der Lesben- und Schwulen-Union (LSU) auf dem Straßenfest ankündigt, das parallel zur CSD-Parade stattfindet.

CDU spricht sich gegen eine zentrale Forderung der CSD-Parade aus

Nur wirkt Therings fröhlicher „Happy Pride!“-Wunsch mittlerweile etwas deplatziert. Der Veranstalter des CSD-Umzugs, der Verein Hamburg Pride, hat die CDU wie berichtet ausgeladen. Den Christdemokraten wird vorgeworfen, die Anti-Gender-Volksinitiative trotz der homophoben Äußerungen der Initiatorin Sabine Mertens (die längst um Entschuldigung gebeten hat) weiter unterstützt zu haben. Und der CDU-Landesparteitag hat schon im Vorfeld das von der Berliner Ampel-Koalition geplante Selbstbestimmungsgesetz abgelehnt, für das bislang erst ein Referentenentwurf vorliegt. Mit dem Gesetz soll es unter anderem möglich werden, dass Menschen den Geschlechtseintrag in das Personenstandsregister durch eine einfache Erklärung ändern können – jährlich.

Damit spricht sich die CDU gegen eine zentrale Forderung der diesjährigen CSD-Parade aus, die unter dem Motto „Selbstbestimmung jetzt! Verbündet gegen Trans*-Feindlichkeit“ steht. „Das passt nicht zusammen“, befanden die Veranstalter und zeigten der Union die Rote Karte. Thering gab sich unbeeindruckt. „Die Ausladung hat uns eine Welle der Solidarität beschert. Viele Menschen, auch direkt aus dem Pride Verein, haben ihr Unverständnis zum Ausdruck gebracht und fanden die Ausladung durch den CSD-Veranstalter sehr fragwürdig“, sagt der CDU-Chef dem Abendblatt.

Hinter vorgehaltener Hand sind nicht alle in der CDU unglücklich über Ausladung

Und die CDU versucht, den Spieß umzudrehen. „In einer Demokratie muss man auch andere Meinungen aushalten können und sollte nicht bei Meinungsverschiedenheiten mit einem Ausschluss reagieren“, sagt Thering. „Dass die CDU vom CSD ausgeladen wird, fällt auf die Veranstalter zurück und zeugt von Intoleranz anderen Meinungen gegenüber“, sagt auch der CDU-Bundestagsabgeordnete und Ex-CDU-Landeschef Christoph Ploß, konservativer Frontmann der Elb-CDU und treibende Kraft hinter dem Parteitagsbeschluss gegen das Selbstbestimmungsgesetz.

Schön ist es politisch betrachtet dennoch nicht, von der symbolträchtigen CSD-Parade ausgeschlossen zu werden. Aber nicht alle in der CDU sind darüber unglücklich. „Diejenigen, die bei der Parade mitlaufen, würden uns sowieso nicht wählen“, heißt es hinter vorgehaltener Hand. Mit ihrer klaren Haltung gegenüber dem Selbstbestimmungsgesetz und dem Gendern würde die Union aber dagegen bei der konservativen Stammwählerschaft punkten und manch andere davon abhalten, zur AfD überzulaufen.

„CDU ist auf dem Weg, sich von liberalen Zeiten zu verabschieden“

Überdies zeigt sich hier die Strategie, die auch vom Lager des konservativen CDU-Parteivorsitzenden Friedrich Merz vorangetrieben wird: Die negative Stimmungslage und das tiefe Unverständnis einer vermutet großen Mehrheit der Bevölkerung bei bestimmten gesellschaftspolitischen Themen wie dem Gendern oder der geschlechtlichen Selbstbestimmung wird in bisweilen populistischer Weise aufgegriffen und politisch nutzbar gemacht. Unter dem Strich lautet die Bilanz etlicher Christdemokraten, dass die Ausladung der Partei eher nützt als schadet. Nur würde das niemand laut sagen.

Das hat auf der anderen Seite seinen Preis. „Die CDU ist auf dem Weg, sich von den liberalen Zeiten eines Ole von Beust zu verabschieden“, sagt Farid Müller, Bürgerschaftsabgeordneter der Grünen, deren queerpolitischer Sprecher und gewissermaßen eine Art Urgestein der schwul-lesbischen Bewegung in Hamburg. „Damals hat Ole von Beust ganz andere Wählerschichten erreicht“, sagt Müller über den früheren Ersten Bürgermeister, der einmal – 2004 – sogar die absolute Mehrheit für die CDU im roten Hamburg holte.

Ole von Beust war erster Bürgermeister, der Regenbogenfahne am Rathaus hisste

Vielleicht muss daran erinnert werden, dass von Beust der erste Bürgermeister war, in dessen Amtszeit die Regenbogenfahne auf dem Rathaus gehisst wurde. Das war 2008 nach dem Start der schwarz-grünen Koalition. Die Grünen hatten den symbolischen Akt vorsichtshalber in den Koalitionsvertrag schreiben lassen. Ausgerechnet von Beust möchte man sagen, der nach seiner Amtsübernahme 2001 an keiner CSD-Parade teilnahm und den Senatsempfang für die Organisatoren im Rathaus ausfallen ließ.

Das änderte sich erst nach von Beusts Zwangsouting als Homosexueller durch einen gewissen Ronald Schill im Sommer 2003. Danach nahm von Beust als Bürgermeister an der CSD-Parade teil und lud Schwule und Lesben sogar ins Gästehaus des Senats ein. Doch auch die SPD hat sich nicht mit Ruhm bekleckert, was den Umgang mit den Feiern und Veranstaltungen rund um den CSD angeht, die heute Pride Week genannt werden.

Auch SPD hat sich nicht nur mit Ruhm bekleckert beim Umgang mit CSD-Parade

Immerhin: Sozialdemokrat Ortwin Runde übernahm als erster Hamburger Bürgermeister im Jahr 2000 die Schirmherrschaft der CSD-Parade und marschierte vorweg. Doch bei der Regenbogenflagge am Rathaus leistete die SPD hinhaltenden Widerstand. Denkwürdig ist ein Schlagabtausch in der Bürgerschaft vor 23 Jahren. Der Grüne Müller fragte danach, warum die bunte Flagge nicht gehisst werde. „Wappen, Flaggen und Farben besitzen den Charakter von staatsbezogenen Symbolen. Sie sind Kern- und Erkennungszeichen, die Gemeinsamkeit symbolisieren“, antwortete Gitta Trauernicht (SPD), damals Chefin der Senatskanzlei, streng. „Daraus folgt, dass die Beflaggung für Teilbereiche der Gemeinschaft nicht zulässig ist.“

Müller zitierte aus der „Anordnung über Wappen, Flaggen und Siegel der Freien und Hansestadt Hamburg“ den Satz: „Sofern der Anlass der Beflaggung es rechtfertigt, dürfen außerdem andere Flaggen gesetzt werden.“ Doch Trauernicht blieb hart. Wegen des „staatsrepräsentativen Charakters der Beflaggung kämen nur die Flaggen anderer Staaten in Betracht. Dabei waren die Grünen damals Koalitionspartner der SPD...

SPD-geführte Senatskanzlei lehnte es ab, am 17. Mai Regenbogenfahne zu hissen

Das alles ist ziemlich lange her, und doch auch wieder nicht. Noch in diesem Jahr lieferten sich die neuerlichen Koalitionspartner von SPD und Grünen ein Scharmützel wegen der Regenbogenfahne, das bislang nicht öffentlich wurde. Aus Anlass des Tages gegen Homophobie am 17. Mai, des sogenannten „Rainbowflashs“, schlug der Lesben- und Schwulenverband vor, die Regenbogenfahne am Rathaus zu hissen. Die Zweite Bürgermeisterin und Gleichstellungssenatorin Katharina Fegebank (Grüne) unterstützte den Vorschlag und bat die zuständige Senatskanzlei, dem zu folgen.

Es kam anders, die SPD-geführte Senatskanzlei lehnte ab. „Die Freie und Hansestadt Hamburg setzt mit der Beflaggung am Rathaus im Rahmen des Christopher Street Days bzw. der Pride Week (29.7. bis 6.8.2023) bereits ein starkes Zeichen für gesellschaftliche Vielfalt und gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie. Bitte haben Sie Verständnis, dass wir von einer zusätzlichen Beflaggung aus Anlass des Rainbowflash am 17. 05. 2023 deshalb absehen“, hieß es in einer E-Mail der Senatskanzlei an den Lesben- und Schwulenverband.

Für Verärgerung auf grüner Seite sorgte zudem, dass in dem Ablehnungsschreiben behauptet wurde, Fegebank sei auch gegen eine Beflaggung. Sie war gar nicht mehr gefragt worden. Angeblich war’s ein Fehler der Verwaltung. Manch Grüner sprach von einem Eiertanz um die Regenbogenfahne.