Hamburg. Der öffentlichen Präsenz und Anerkennung der schwul-lesbischen Bewegung ist ein langer Kampf vorausgegangen.

Das Alsterhaus zeigt sie, die Hotels Atlantic und Vier Jahreszeiten zeigen sie, das US-Konsulat, die Feuerwehrzentrale, sogar das Polizeipräsidium und wie selbstverständlich auch das Rathaus: die Regenbogenfahne mit ihren sechs knalligen Streifen von Rot bis Violett. Während der diesjährigen „Pride Week“ mit dem Höhepunkt der Parade zum Christopher Street Day (CSD) am heutigen Sonnabend weht das Symbol der schwul-lesbischen Bewegung von so vielen Dächern der Stadt wie noch nie.

Dabei vereinen sich unter dem bunten Tuch längst mehr als nur Lesben und Schwule: auch Bisexuelle, Transsexuelle und Intersexuelle gehören dazu, was zu der etwas gewöhnungsbedürftigen Abkürzung LSBTI geführt hat. Der rot-grüne Senat und die Bürgerschaft zeigen sich dabei auf der Höhe der Zeit: Gleichstellungssenatorin Katharina Fegebank (Grüne) und Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit (SPD) waren beim Hissen des Regenbogenbanners auf dem Balkon des Rathauses am Mittwoch dabei. Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) hat in diesem Jahr die Schirmherrschaft über die CSD-Parade übernommen. Hamburg ist in der vergangenen Woche dem Rainbow-City-Network beigetreten, einem internationalen Städtenetzwerk gegen Diskriminierung sexueller Minderheiten und Homophobie.

Die gelassene Selbstverständlichkeit, die den Umgang mit der „Community“ heute vielfach kennzeichnet, lässt leicht vergessen, dass der öffentlichen Präsenz und Anerkennung der schwul-lesbischen Bewegung ein langer Kampf vorausgegangen ist. Exemplarisch zeigt sich das bei der Regenbogenfahne, die erst seit 2008 am Rathaus aufgezogen wird. In Berlin etwa gibt es diese Tradition schon seit 1996 – da wurden die Bezirksrathäuser von Schöneberg, Tiergarten und Kreuzberg beflaggt. Und am Roten Rathaus, dem Amtssitz des Regierenden Bürgermeisters, wehte die bunte Fahne erstmals 2001, dem damaligen Bürgermeister und bekennenden Homosexuellen („... und das ist auch gut so“) Klaus Wowereit (SPD) sei Dank.

Bezeugt sind entsprechende Versuche seit Mitte der 90er-Jahre auch in Hamburg. Doch die Grünen scheiterten mit ihren Anträgen an der damaligen Mehrheit von SPD und Statt Partei. Immerhin: Als erster Hamburger Bürgermeister übernahm Ortwin Runde (SPD) 2000 und 2001 die Schirmherrschaft über die CSD-Parade und marschierte vorweg. Doch bei der Regenbogenfahne blieben die Sozialdemokraten stur. Noch im Jahr 2000, damals regierte Rot-Grün zum ersten Mal, kam es in der Bürgerschaft zu einer denkwürdigen Rede eines Senatsmitglieds, die aus heutiger Sicht ebenso bemüht wie kurios wirkt.

Auf die Frage des Grünen-Abgeordneten Farid Müller, warum zum Christopher Street Day nicht die Regenbogenfahne am Rathaus gehisst werde, antwortete die damalige Staatsrätin der Senatskanzlei, Gitta Trauernicht (SPD), sehr formal und grundsätzlich. „Wappen, Flaggen und Farben besitzen den Charakter von staatsbezogenen Symbolen. Sie sind Kenn- und Erkennungszeichen, die Gemeinsamkeit symbolisieren“, so Trauernicht. „Daraus folgt, dass die Beflaggung für Teilbereiche der Gemeinschaft nicht zulässig ist.“ In Betracht kämen neben der Hamburger Staatsflagge nur die deutsche und die europäische Flagge. Anderes lasse die Hamburgische Verfassung nicht zu.

Doch Müller war findig und verwies auf die „Anordnung über Wappen, Flaggen und Siegel der Freien und Hansestadt Hamburg“, die den Einsatz der genannten Tücher sehr genau regelt. Unter Ziffer 6.7 steht aber auch: „Sofern der Anlass der Beflaggung es rechtfertigt, dürfen außerdem andere Flaggen gesetzt werden.“ Warum also nicht auch die Regenbogenfahne? Trauernicht blieb hart. Wegen des „staatsrepräsentativen Charakters der Beflaggung“ kämen nur andere Staatsflaggen in Betracht – etwa bei Staatsbesuchen. Punktum.

Erst acht Jahre später war die Zeit in Hamburg offensichtlich reif für die Regenbogenfahne und die politische Mehrheit da. Die Grünen ließen die Beflaggung sogar in den damaligen schwarz-grünen Koalitionsvertrag schreiben – sicher ist sicher. Und so war Ole von Beust (CDU) der erste Bürgermeister, in dessen Amtszeit das bunte Tuch auf dem Rathaus gehisst wurde.

Ausgerechnet von Beust möchte man sagen, der nach der Amtsübernahme 2001 zunächst an keiner CSD-Parade teilnahm und den üblichen Senatsempfang für die Organisatoren ausfallen ließ. Erst nach seinem Zwangs-Outing als Homosexueller durch einen gewissen Ronald Schill im Sommer 2003 nahm der mit absoluter Mehrheit wiedergewählte von Beust 2004 erstmals an der Parade teil und lud Schwule und Lesben sogar ins Gästehaus des Senats ein.

Rund um die Alster und in den Szenevierteln mögen Homosexuelle heute zum Straßenbild gehören, und sie mögen in weiten Teilen der Bevölkerung akzeptiert sein. Doch das gilt nicht automatisch für die ganze Stadt. „In Hamburg gibt es großes Wohlwollen und Toleranz, aber es gibt auch Schatten“, sagt Farid Müller heute, selbst Teil der „Community“ und Streiter für die Rechte von Lesben und Schwulen seit 20 Jahren. Sorgen bereitet dem Grünen die „erhebliche Zahl von Übergriffen“ auf Homosexuelle, wobei er gleich einräumt, dass die Dunkelziffer enorm sei.

Sehr lange habe es gedauert, so Müller, bis jetzt im Mai die Polizei zwei Beamte hauptamtlich als Ansprechpartner für die sogenannten Hassverbrechen abgestellt habe. „In Berlin, wo es solche Ansprechpartner seit Langem gibt, werden rund 100 dieser Straftaten pro Jahr registriert. In Hamburg bislang nur sechs“, so Müller. „Viele Opfer trauen sich nicht, zur Polizei zu gehen, oder sie nennen nicht den wahren Grund des Übergriffs.“ Es gebe eben Stadtteile, in denen „schwule Pärchen sich nicht trauen, Hand in Hand zu gehen“. Viele hätten zudem die Sorge, dass die Gewalt aufgrund der Flüchtlingszuwanderung zunehme. Andererseits hat der Senat jetzt verkündet, Wohnungen für besonders schutzbedürftige LSBTI-Geflüchtete bereitzustellen. Soweit ist es mit Akzeptanz und Toleranz also noch nicht.