Hamburg. Frist für Einwände läuft ab, Initiative greift die Politik an. Was Ingenieure und die Deutsche Bahn zum Alternativvorschlag sagen.

An diesem Freitag läuft die Frist ab. Bis Mitternacht müssen alle Einwände gegen den geplanten Neubau der Sternbrücke in Altona über die Kreuzung von Stresemannstraße und Max-Brauer-Allee bei den Hamburger Behörden eingegangen sein. Es werden viele sein, Hunderte, vielleicht Tausende. Denn die Initiative Sternbrücke, die sich zunächst für eine Sanierung des denkmalgeschützten Bauwerks eingesetzt hatte, will jetzt mindestens die Stabbogenbrücke verhindern, die die Deutsche Bahn (DB) plant. Dieser Entwurf, als „Monsterbrücke“ von den Gegnern kritisiert, wäre ein Neubau.

Dass eine Sanierung der 1926-er Stahl-Version der Sternbrücke technisch und nachhaltig überhaupt noch gelingen könnte, wird unter Experten als unwahrscheinlich bezeichnet. Zu angegriffen ist der materielle Zustand, rund 900 Züge von ICE bis Regionalbahn und S-Bahnen donnern tagtäglich durch das schmale Gleisbett. Die Stützen, die auf der Kreuzung stehen, verschlimmern den Gesamteindruck.

Sternbrücke: Initiative hat Nachbarn und Promis bewegt

Wen und was hat die Initiative in den vergangenen Jahren nicht alles bewegt: Denkmalschützer, Clubbesitzer, Architekten, die Mehrheit der Anwohner, Promis wie Regisseur Fatih Akin, Künstler wie Jan Delay (Sternbrücken-Cover „Wir Kinder vom Bahnhof Soul“) oder Nina Petri und Unternehmer Frank Otto. Bloß in der Bezirks- und Senatspolitik hat sich nicht viel bewegt. Es wird gebaut, was die Bahn braucht – so der Grundsatz. Eine Flickensanierung oder ein Provisorium an der strategisch wichtigen Verbindungsbahn kann sich Hamburg nicht leisten.

Jan Delay zur Sternbrücke

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Der renommierte, eigentlich längst pensionierte Architekt Prof. Karsten Brauer hat pro bono eine Alternative vorgezeichnet. Brauers „schlanke“ Trägerversion (das Abendblatt berichtete) hat nicht nur begeisterte Zuschriften von Leserinnen und Lesern hervorgerufen. Es ist überhaupt mal ein Beitrag zur sensiblen Neugestaltung des Stadtbildes. Die Bahn hatte keine stilistische Alternative angeboten.

Was außerdem charmant an Brauers Vorschlag ist, haben die Ingenieure von WP aus Winterhude jetzt genauer berechnet. Auch sie haben wie Brauer Erfahrung mit derartigen Bauten. Sie halten Brauers Idee für technisch machbar und nennen drei Kernargumente dafür: Das Stützenkonstrukt sei in jedem Fall billiger. Denn die Spannweite sei erheblich geringer – kleine Lösung, kleineres Geld. Zweitens könne schneller und weniger aufwendig gebaut werden – auch, weil die neue Brücke aus vier kleinen Teilen (plus Träger) bestehen könnte, die abwechselnd und leichter einzubauen seien. Drittens seien die „Nebeneffekte“ günstiger: Ein Teil der vorhandenen Gebäude müsste nicht weichen. Erheblich weniger Bäume müssten gefällt werden, wenn überhaupt.

Die "schlanke" Version rechnet sich

Der geschäftsführende Gesellschafter von WP Ingenieure, Dr. Ulrich Meyer, und Architekt Prof. Karsten Brauer vor dem Alternativentwurf zur Sternbrücke. Sie haben ihre Idee in Google Earth
Der geschäftsführende Gesellschafter von WP Ingenieure, Dr. Ulrich Meyer, und Architekt Prof. Karsten Brauer vor dem Alternativentwurf zur Sternbrücke. Sie haben ihre Idee in Google Earth "eingebaut". © ryb

Der geschäftsführende Gesellschafter von WP Ingenieure, Ulrich Meyer, sagte dem Abendblatt: „Grundsätzlich kostet Spannweite Geld. Gegenüber dem Brückenentwurf der Bahn mit einer Spannweite von über 108 Metern zeigt der Entwurf von Prof. Brauer eine maximale Spannweite von weniger als 40 Metern. Wir halten allein dadurch Kosteneinsparungen von circa 30 Prozent für realistisch.“

Axel Bühler, einer der Sprecher der Initiative Sternbrücke, sagte: „Der Entwurf von Prof. Brauer zeigt, dass fähige Architekten und Ingenieure heute wie vor 100 Jahren eine richtig gute Sternbrücke bauen können. Der neue Entwurf fügt sich elegant ins Stadtbild ein und nimmt Geschichte und Einzigartigkeit des Ortes auf. Die schlanke Brücke spart Material, ist klimaschonend, mindestens 30 Prozent günstiger, und die Allee-Bäume können beim Transport der Brücke stehen bleiben.“

Die besondere Geschichte der Sternbrücke

Due Sternbrücke in Hamburg-Altona hier auf einem historischen Foto kurz nach dem Bau (1926).
Due Sternbrücke in Hamburg-Altona hier auf einem historischen Foto kurz nach dem Bau (1926). © Denkmalverein Hamburg/Stefan Bick/Hamburg-Motiv

Die Bahn spricht von insgesamt 82 Bäumen, die fallen müssen. Die bedrohten Clubs an den Brückenenden könnten bei dem Alternativvorschlag wieder an ihren gewohnten Ort. Vom optischen Eindruck und der „Verschattung“ der Nachbarschaft durch eine Stabbogenbrücke ganz zu schweigen.

Die Bahn allerdings hält an der „Vorzugsvariante“ fest. Sie sei auch im vergangenen Jahr noch einmal mit Architekten, Ingenieuren und Behörden diskutiert worden, heißt es. Eine Sprecherin sagte dem Abendblatt, die Stabbogenbrücke sei „das Optimum unter den gegebenen Prämissen“. Die Ideen vonseiten der Bürgerinnen und Bürger würden jetzt in einen neuen Entwurf dieser Stabbogenbrücke einfließen. Im Herbst dieses Jahres soll er fertig sein.

Für das Staatsunternehmen geht es auch darum, dieses Projekt nicht weiter zu verzögern. Denn es warten in Hamburg noch größere. Das ist unter anderem der Bahnhof Diebsteich und der visionäre S-Bahn-Tunnel vom Hauptbahnhof dorthin. Diese laut Bahn „große Lösung für Hamburg“ würde eines Tages die S-Bahn verbuddeln und auf der (neuen) Sternbrücke Platz machen für ausschließlich ICE, Regionalverkehr und die gelegentlichen Güterzüge. Das infarktgefährdete Bahn-Herz Hamburg hätte einen Bypass.

Brauers Idee nimmt das vorweg und rechnet bereits so, als könne man rein belastungstechnisch auf jeder Brückenhälfte S-Bahnen oder ICE fahren lassen. Die Statik gibt das her. Die Alternativbrücke hätte auch ausreichend Raum darunter, den sich die Stadt vorstellt. Die bisherigen Stützen auf der Straße würden überflüssig. Und abgesehen von kaum seriös schätzbaren Kosten für eine neue Brücke weiß man bislang ebenso wenig über die Straßenraumverteilung nach einer Umgestaltung des Ortes.

Verkehrsbehörde will Raum unter der Brücke neu verteilen

Stabbogenbrücke: So soll die Sternbrücke nach Planungen der Deutschen Bahn aussehen.
Stabbogenbrücke: So soll die Sternbrücke nach Planungen der Deutschen Bahn aussehen. © DB Netz AG/TUO LI | VIRTUAL ESTATE | DB Netz AG/TUO LI | VIRTUAL ESTATE

Die Behörde für Verkehr und Mobilitätswende von Anjes Tjarks (Grüne) will , was ihr Name hergibt: den sicheren Verkehr von Autos, Zweirädern und Anwohnern sowie die Wende zur umweltfreundlichen Mobilität. Das sagte ein Behördensprecher auf Abendblatt-Nachfrage. Wie viele Spuren es für den Individualverkehr geben wird, wo genau Fahrräder fahren und Fußgänger laufen, das sei noch nicht entschieden.

Ingenieur Meyer kalkuliert, dass Brauers Brücke mit zwei Trögen, die am Mittelauflager geteilt werden können, auf der bisherigen Max-Brauer-Allee oder sogar per Bahn angeliefert werden können. Warum das so wichtig ist? Für Bau, Transport und Einschwenken der Stabbogenbrücke will die Bahn Flächen im Umfeld über Jahre reservieren und plant eine aufwendige Logistik. Bei Brauers Brücke, das bestätigen die Ingenieure, lässt sich ein Teil alte Sternbrücke abreißen, ein neuer einbauen, der zweite Teil abreißen, der zweite neue einbauen.

Sternbrücke: "Augen zu und durch"

Kristina Sassenscheidt (v.l.) vom Denkmalverein, Inititativensprecher Axel Bühler und Claus Cajus Pruin stellten ihre Vision für die Stresemannstraße vor.
Kristina Sassenscheidt (v.l.) vom Denkmalverein, Inititativensprecher Axel Bühler und Claus Cajus Pruin stellten ihre Vision für die Stresemannstraße vor. © Michael Rauhe / FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

Diese alternativen Fakten machen Sternbrücken-Kämpfer Bühler sauer. „Die aktuelle Planung haben uns zwar SPD-Behörden eingebrockt – aber der verantwortliche grüne Verkehrssenator Anjes Tjarks und die Grünen im Bezirk Altona gehen mit der Sternbrücke nach dem Motto um: Augen zu und durch. Sie unterschätzen gewaltig, wie viel politisches Kapital sie dabei verspielen.“ Ganz Hamburg schüttele darüber den Kopf. „So viele Fahrradwege kann Tjarks gar nicht bauen, um das Planungsdesaster um Stresemannstraße und Sternbrücke vergessen zu machen.“

Ingenieur Meyer würde sich wünschen, dass überhaupt mal ein Ideenwettbewerb um die künftige Brückengestaltung stattgefunden hätte. Er zitierte Paragraf 1 der Richtlinie für Planungswettbewerbe der Freien und Hansestadt Hamburg: „Wettbewerbe zielen darauf, alternative Ideen und optimierte Konzepte für die Lösung von Planungsaufgaben und die geeignete Auftragnehmerin bzw. den geeigneten Auftragnehmer für die weitere Planung zu finden.“ Wettbewerbe könnten die Qualität des Bauens fördern, unter anderem ökologisch, technisch und ästhetisch. Meyer: „Besser kann man es nicht formulieren.“