Hamburg. Gibt es neue Erkenntnisse zu dem Steuerraub? Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) darf sich wohl auf eine erneute Vernehmung einstellen.

Cum-Ex steht für den größten Steuerraub in der Geschichte der Bundesrepublik. Um zig Milliarden hatten Banken und andere Finanzjongleure den Fiskus betrogen. Die Justiz arbeitet mit Hochdruck an den Fällen und hat auch bereits erste Urteile erwirkt.

Doch politisch blieb die Aufklärung auf Bundesebene und auch in Hamburg, wo der Parlamentarische Untersuchungsausschuss (PUA) seit mehr als zwei Jahren läuft, bislang ohne greifbares Ergebnis. Nun will die Unions-Fraktion im Bundestag einen neuen Anlauf nehmen: Wie Fraktionsvize Mathias Middelberg (CDU) am Dienstag in Berlin ankündigte, wollen CDU und CSU einen weiteren Untersuchungsausschuss beantragen.

Cum-Ex: Union will neuen Untersuchungsausschuss

Ein Untersuchungsausschuss im Bundestag muss von mindestens einem Viertel der Abgeordneten beantragt werden – dieses Quorum erreicht die Union knapp.

Bereits zwischen Februar 2016 und Sommer 2017 hatte sich ein Untersuchungsausschuss im Bundestag mit den Cum-Ex-Fällen beschäftigt – damals allerdings initiiert von Linken und Grünen. Im Anschluss hatte die damalige Große Koalition aus CDU/CSU und SPD diesen als unnötig bezeichnet. Das hielt die Hamburger CDU nicht davon ab, 2020 gemeinsam mit der Linkspartei in der Bürgerschaft einen PUA einzusetzen.

Cum-Ex: Olaf Scholz hat bereits zweimal vor PUA ausgesagt

Ex-Bürgermeister Olaf Scholz hat hier bereits zweimal ausgesagt: einmal als Bundesfinanzminister, einmal als Kanzler. Ihn erneut vorzuladen und mit dem Skandal in Verbindung zu bringen, dürfte auch das Ziel des neuen Ausschusses auf Bundesebene sein.

Beim Cum-Ex-Deal hatten Banken und andere Finanzakteure Aktien mit („cum“) und ohne („ex“) Dividendenanspruch rund um den Dividendenstichtag so verwirrend hin und her verschoben, dass sie sich die nur einmal gezahlte Kapitalertragsteuer mehrfach erstatten lassen konnten. Experten schätzen den Schaden für den Fiskus weltweit auf rund 150 Milliarden Euro, davon gut 30 Milliarden allein in Deutschland.

Bei Warburg ging es insgesamt um 90 Millionen Euro

Die Hamburger Warburg-Bank war in dem Zusammenhang nur ein vergleichsweise kleines Licht. Dennoch stehen ihre Cum-Ex-Geschäfte politisch im Zentrum der Untersuchung. Denn 2016 war die Hamburger Finanzverwaltung drauf und dran, rund 47 Millionen Euro an Kapitalertragsteuern aus solchen Geschäften von der Bank zurückzufordern.

Deren Gesellschafter suchten daraufhin das Gespräch mit der Politik, trafen sich zweimal mit dem damaligen Bürgermeister Olaf Scholz und wurden von diesem an den Finanzsenator und heutigen Bürgermeister Peter Tschentscher (beide SPD) verwiesen. Kurz darauf entschieden Finanzamt und
-behörde, das Geld nicht zurückzufordern.

Scholz und Tschentscher streiten jegliche Einflussnahme vehement ab

2017 gab es einen vergleichbaren Fall: Da hätten die Behörden rund 43 Millionen Euro von Warburg zurückfordern können, wollten aber ebenfalls davon absehen. Dem schob aber das Bundesfinanzministerium einen Riegel vor und wies Hamburg an, die Steuern einzutreiben. Auch in dem Jahr hatten die Warburg-Chefs bei Scholz vorgesprochen.

Die springende Frage ist seitdem: Haben Scholz oder Tschentscher Einfluss auf die Entscheidungen genommen? Beide bestreiten das vehement. Scholz hatte sich bei seinen Vernehmungen im PUA im Frühjahr 2021 und Spätsommer 2022 darauf zurückgezogen, dass er sich an die Gespräche mit den Warburg-Vertretern gar nicht mehr erinnere. Dass sie wohl so stattgefunden haben müssen, wie Warburg-Gesellschafter Christian Olearius sie in seinen von den Ermittlern beschlagnahmten Tagebüchern geschildert hat, hatte er aber eingeräumt. Aus den Tagebüchern geht nicht hervor, dass Scholz sich aktiv eingemischt hat.

Union will untersuchen, ob Scholz’ Erinnerungslücken glaubhaft sind

Vor dem Finanzausschuss des Bundestags könnte der damalige Finanzminister dagegen im Juli 2020 doch noch einige Details der Treffen im Kopf gehabt haben – darauf deutet zumindest das Protokoll hin. Die Unionsfraktion will nun auch klären lassen, ob es diese Erinnerungen wirklich gab und – falls ja – wie das zu den später geltend gemachten Erinnerungslücken passt. Scholz hatte hierzu im Hamburger PUA bereits gesagt, dass er sich auch an die Sitzung des Finanzausschusses nicht mehr erinnere.

Tschentscher hatte stets darauf verwiesen, dass die Cum-Ex-Geschäfte nicht wasserdicht nachzuweisen waren und dass es daher die „Strategie“ der Finanzbehörden gewesen sei, eine eventuelle strafrechtliche Verurteilung der Bank abzuwarten und sich das Geld auf dieser Basis zurückzuholen.

Kein Schaden für die Stadt – aber CDU spricht von „Machenschaften“

So kam es auch: Nachdem die Geschäfte vor Gericht als illegal eingestuft worden waren, zahlte Warburg die zu Unrecht einbehaltene Summe – samt Zinsen gut 170 Millionen Euro – zurück. Der Stadt Hamburg, so argumentiert das SPD-Lager, sei überhaupt kein Schaden entstanden, Scholz und Tschentscher hätten sich nichts zuschulden kommen lassen.

Dennis Thering, Vorsitzender der CDU-Fraktion in der Bürgerschaft, ist hingegen der Meinung, dass der Aufklärungswille der Betroffenen „zu wünschen übrig“ lässt. Er begrüßte den Vorstoß seiner Parteifreunde auf Bundesebene: „Die Erkenntnisse des Untersuchungsausschusses in Hamburg zeigen, dass eine weitreichendere Aufklärung auch auf Bundesebene notwendig ist. Spätestens dort wird sich Scholz nicht mehr auf seine fragwürdigen Erinnerungslücken berufen können und dann wird auch die Rolle des früheren Finanzsenators und heutigen Bürgermeisters Tschentscher erneut zu hinterfragen sein.“

Linke: Bundes-PUA kann Schwachstellen bei Behörden-Zusammenarbeit besser aufklären

Auch bei der Linksfraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft stieß die Ankündigung der Union auf Zustimmung: „Die Aufklärung dieses dreisten Steuerraubs und seine Verschleierung durch Behörden und politische Institutionen bleiben wertvoll“, sagte Norbert Hackbusch, Obmann der Linken im PUA. Seine Hoffnung: „Durch seine Bundeskompetenzen kann der Bundes-PUA bisherige Schwachstellen in der Zusammenarbeit zwischen den Hamburger Steuerbehörden und Bundesbehörden besser aufklären. Außerdem wird er die Erinnerungslücken des Bundeskanzlers besser ausforschen.“

Hackbusch zufolge sollen am 14. April 19 Bundestagsabgeordnete zu ihren Erinnerungen an die Aussagen von Scholz im Finanzausschuss befragt werden, anschließend werde Scholz selbst erneut befragt. Das werde auch dem Bundes-PUA helfen. „Jede Aufklärung ist wichtig – daher begrüßen wir einen solchen PUA im Bundestag.“

SPD spricht von „Polittheater“: Vorwurf der Einflussnahme längst widerlegt

Die SPD-Fraktion in der Bürgerschaft warf der Union hingegen vor, „wider besseren Wissens“ zu agieren: „Die wertvolle Aufklärungsarbeit des PUA Cum-Ex kann nicht einfach ignoriert werden, weil einem das Ergebnis politisch nicht gefällt“, sagte Fraktionschef Dirk Kienscherf. „Leider liegt der Schluss nahe, dass es – sowohl in Hamburg als auch im Bund – nicht das Erkenntnisinteresse ist, das die CDU antreibt. Hier wird ein komplexes Thema instrumentalisiert, um den Kanzler mit andernorts bereits widerlegten Vorwürfen zu beschädigen.“

Milan Pein, SPD-Obmann im PUA, sagte: „Das ist Polittheater. Aussagen von über 50 Zeugen belegen, dass alle an dem Fall beteiligten Personen das Geld zurückholen wollten. Die Frage der politischen Einflussnahme konnte der PUA in Hamburg klar beantworten: Es hat sie nicht gegeben.“

Bürgerbewegung fordert, auch Milliardenschaden durch Cum-Cum aufzuklären

Differenziert betrachtete es Gerhard Schick, Vorstand der Bürgerbewegung Finanzwende und seinerzeit für die Grünen Mitglied im ersten Bundestags-Untersuchungsausschuss zu Cum-Ex. „Bundeskanzler Scholz darf mit seiner Verschleierungstaktik nicht durchkommen“, sagte Schick und begrüßte einerseits den Vorstoß der Union.

Es sei aber falsch, nur diesen einen Fall anzuschauen „und den viel größeren Fall zu ignorieren“. Während bei Warburg über eine einzelne Bank und etwa 90 Millionen Euro gesprochen werde, gehe es bei den Cum-Cum-Geschäften „unter Verantwortung des damaligen Finanzministers Wolfgang Schäuble um über hundert Banken und eine Begünstigung von über 28 Milliarden Euro“, so Schick. Sein Vorwurf: „Der ehemalige Finanzminister ordnete 2016 die Bundesländer an, diese Milliarden an illegalen Cum-Cum-Profiten nicht von den Banken zurückzuholen.“ Sinn ergebe ein neuer Untersuchungsausschuss daher nur, „wenn er auch den richtig großen Fall aufklärt“.