Hamburg. Die Reform von Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat weitreichende Folgen. Wird das medizinische Angebot geschrumpft?
Ob Asklepios, das UKE, Marienkrankenhaus oder Albertinen – die Hamburger Krankenhäuser werden sich in Zukunft auf eine Zusammenarbeit untereinander und mit den Arztpraxen einstellen müssen, die noch vor Wochen unvorstellbar schien. Im Zuge der Krankenhausreform, die Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sowie die Bundesländer mit maßgeblicher Beteiligung von Hamburgs Sozialsenatorin Melanie Schlotzhauer (SPD) erarbeiten, werden einzelne Bereiche an einigen Häusern zusammengelegt, ausgebaut oder geschlossen.
Ob es bei dem im Abendblatt bereits skizzierten Beispiel-Szenario „Biete Urologie, nehme HNO“ bleibt, muss man abwarten. Zu Krankenhaus-Schließungen soll es in Hamburg nicht kommen. Ende Juni sollen die nächsten Details zum Komplettumbau der deutschen Kliniklandschaft zwischen Lauterbach und den Ländern beschlossen werden, Anfang Juli hat Schlotzhauer erneut die Hamburger zum Gespräch geladen.
Krankenhaus Hamburg: Welche Stationen werden zusammengelegt?
Schlotzhauer sagte am Donnerstag beim Krankenhaustag, die Reform solle die Krankenhaus-Landschaft besser machen, nicht zerstören. „Wir haben in Hamburg ja noch gut reden, wenn ich an die Kolleginnen und Kollegen denke, die in der Fläche sind. Wenn der letzte niedergelassene Arzt seine Praxis aufgibt, muss man darüber nachdenken, wie man überhaupt die Versorgung sicherstellen kann.“ An die versammelten Krankenhaus-Verantwortlichen gerichtet sagte sie: „Es wird für Sie darum gehen, Kooperationspartner zu finden.“ Das könnten auch Konkurrenten sein.
Von den Behandlungen, die Häuser gut könnten, sollten sie mehr machen. „Zusammenfassen“ müsse man medizinische Angebote, die in geringer Menge da und dort gemacht würden. „Das kennen wir aus anderen Themen auch. Gesundheitspolitik ist immer auch ein Stück Wirtschaftspolitik“, so Schlotzhauer. In einer geschickten rhetorischen Figur sagte sie, der besondere „Hamburger Spirit“ mache es ihr leichter, die finanziellen Forderungen der Krankenhäuser auch zu unterstützen. „Ich bedanke mich bei Ihnen, dass ich Ihre Themen einfacher transportieren kann.“
35.800 Arbeitsplätze in Hamburger Kliniken
Und genau die haben es in sich. Der 1. Vorsitzende der Krankenhausgesellschaft, Joachim Gemmel (Asklepios-Vorstand), rechnete vor, dass 96 Prozent aller Häuser mit ihren Einnahmen die Kosten nicht mehr decken könnten. 250 Millionen Euro fehlten den Hamburger Kliniken bis Ende des Jahres, wenn nichts passiere. Es gehe um 35.800 Arbeitsplätze. Gemmel sagte: „Auch wenn wir großes Vertrauen haben, kritisieren wir weiterhin, dass die Krankenhäuser keine aktive Rolle im Reformprozess hatten.“ Lauterbach hatte seine Kommission „frei von Lobbyisten“ halten wollen. In deren Reihen fehlten Klinikmanager oder Krankenkassenexperten.
Was Lauterbach Kritik einbrachte: Er selbst holte einen „alten Bekannten“ rein, Prof. Boris Augurzky, der heute Vorstandsvorsitzender der Rhön-Stiftung ist. Im Aufsichtsrat des Klinikkonzerns Rhön saß der Abgeordnete Lauterbach über viele Jahre, ordentlich nebenberuflich honoriert. In Hamburg vergriff sich Augurzky in seiner Wortwahl, als er von „Spiel“ sprach, in dem Ärztinnen und Ärzte sowie Pflegekräfte hin- und hergeschoben würden. Er meinte: Szenario.
Krankenhaus-Reformer Prof. Augurzky: Medizin rationieren
Mit Blick auf die erheblich gesunkenen Behandlungszahlen in den deutschen Krankenhäusern sagte er: „Wo sind die Fälle hin? Datenmäßig sind wir noch mitten in Corona.“ Er kalkulierte, dass 47 Prozent aller Kliniken 2023 mit einem Jahresverlust beenden dürften. Ihm sei bewusst, dass die Häuser nicht die Preise erhöhen könnten. Gemmel hatte gesagt: „Wir sind ja keine Tankstellen.“ Augurzky räumte sogar ein, dass nach seiner Schätzung die Reform einen buchstäblichen „Umbau“ erfordere, den er mit 25 bis 50 Milliarden Euro über mehrere Jahre bezifferte. Zum Nulltarif, wie Lauterbach offenbar glaubt, wäre diese Reform demnach nicht zu haben.
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Der Ökonom riet den Ärzten und Managern, „das zu machen, was man in der Notfallmedizin macht: triagieren“. Das hieße: auswählen, wen man zuerst behandelt nach größter Sterbewahrscheinlichkeit. Augurzky wies auf die allseits bekannten Prognosen hin, dass weniger Personal im Krankenhaus in Zukunft wegen der alternden Gesellschaft mehr Patienten versorgen müsse. Dabei nahm er sogar das Tabuwort „Rationierung“ in den Mund, das die Verknappung des medizinischen Angebots meint.
Krankenhaus Hamburg: Wo bleiben die Patienten?
Das wären keine guten Nachrichten für Patientinnen und Patienten. Deren Belange mahnte der Sozialverband VDK an. Präsidentin Verena Bentele erklärte: „Das Gleichgewicht zwischen Erreichbarkeit, schneller Notfallversorgung und von Spezial-Kliniken ist wichtig und richtig! Für Notfälle, Geburten und einfache OPs muss es weiterhin ein schnell erreichbares Krankenhaus geben. Aber für planbare und komplizierte Eingriffe ist ein auf diese Fälle spezialisiertes Krankenhaus die bessere Alternative.“
Bentele nannte Schlaganfälle als Beispiel dafür, dass „Stroke Units“ eine Chance auf Genesung verbesserten. In Hamburg, das sich seiner Spezialisierung rühmt, ist tatsächlich die Behandlung von akuten Schlaganfällen bundesweit führend.
TK: Reform darf nicht verkompliziert werden
Der stellvertretende Vorsitzende der Techniker Krankenkasse, Thomas Ballast, mahnte, die Reform dürfe nicht „verkompliziert“ werden. Schon Asklepios-Vorstand Gemmel hatte gewarnt, dass Ärzte und Pflegekräfte die Hälfte der Arbeitszeit für Dokumentationen investierten. Die Reform könne die Bürokratie noch ausweiten. TK-Vize Ballast sagte: „In vielen Punkten sind sich Kliniken und Krankenkassen einig. Und ich würde mich freuen, wenn wir diese Partnerschaft auch im weiteren Prozess beibehalten, um schlussendlich für unsere Versicherten beziehungsweise Patienten gemeinsam die beste Versorgungsstruktur zu organisieren.“