Hamburg. Früherer Bürgermeister ist erstmals als Bundeskanzler bei Hamburger Parteikonvent. Ein Beschluss auf dem SPD-Parteitag überrascht.
Da heißt es immer: Der Prophet gilt im eigenen Lande nichts. Bei der Hamburger SPD ist das anders. Bei seinem ersten Auftritt als Bundeskanzler auf einem Hamburger SPD-Landesparteitag wurde der frühere Erste Bürgermeister Olaf Scholz, in Berlin von Koalitions-Querelen gebeutelt und von schlechten Umfragewerten geplagt, geradezu stürmisch und überschwänglich empfangen.
Die rund 280 SPD-Delegierten begrüßten Scholz am Sonnabend Vormittag im Bürgerhaus Wilhelmsburg ohne hanseatische Zurückhaltung mit stehenden Ovationen, die in rhythmisches Klatschen übergingen.
Olaf Scholz erstmals als Bundeskanzler beim SPD-Landesparteitag in Hamburg
Und Scholz, der nicht dazu neigt, öffentlich Emotionen zu zeigen, schien einen Moment lang tatsächlich gerührt. „Es ist schön, hier zu sein“, sagte Scholz zu Beginn seiner als Grußwort apostrophierten Rede. Und als er 22 Minuten später zum Ende kam, fügte er hinzu: „Es ist schön, in Eure Gesichter zu blicken. Ich kann mich gar nicht sattsehen.“ Er schien den erneut aufbrandenden Beifall zu genießen.
Scholz’ Rede stand ganz im Zeichen der großen Krisen. „Wir leben in sehr ernsten Zeiten“, sagte Scholz und betonte, dass Deutschland angesichts des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine keine Alleingänge unternehme. „Wir werden die Ukraine unterstützen. Das ist die Richtschnur unseres Handelns. Deutschland ist mittlerweile der zweitgrößte Unterstützer der Ukraine nach den USA“, sagte Scholz.
Olaf Scholz erinnert an die Ostpolitik Willy Brandts und Helmut Schmidts
Um die Dimension der Herausforderung zu betonen, erinnerte der Kanzler an die Ostpolitik Willy Brandts und Helmut Schmidts. „Es werden in Europa keine Grenzen mit Gewalt verschoben. Dieser Grundsatz muss wieder gelten“, sagte Scholz. „Wir müssen aber auch für uns die Konsequenz aus der Zeitenwende ziehen und das Notwendige für die Landesverteidigung tun. Wir werden das Zwei-Prozent-Ziel für die Verteidigung im Bundeshaushalt erreichen“, fügte der Sozialdemokrat an.
Scholz bezeichnete es als „großes Geschenk“, dass die europäischen Staaten Deutschland nach den beiden Weltkriegen erneut vertraut hätten. „Umso mehr sind wir verpflichtet, Fortschritte in der EU zu erreichen. Aber wir müssen die Entscheidungsprozesse modernisieren. Es muss möglich sein, auch mit Mehrheit zu entscheiden und nicht nur einstimmig. Das ist wichtig“, sagte der frühere Bürgermeister unter dem Beifall der Delegierten.
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Auf den großen Streit über die Modernisierung und Erneuerung privater Heizungsanlagen in der Ampel-Koalition ging Scholz nicht ein., sondern beließ es beim generellen Bekenntnis, Deutschland bis 2045 CO2-frei zu machen. „Das ist ein sehr anspruchsvolles Ziel. Aber wenn wir das nicht angehen, wird die Erde nicht ein so lebenswerter Ort bleiben“, sagte Scholz. Deutschland könne bei der Umstellung der industriellen Produktion auf ressourcenschonende Produktionsweisen beispielgebend für andere Staaten sein.
Olaf Scholz’ Loblied auf die Leistungen der Ampel-Koalition
Ganz ohne Loblied auf die Leistungen der Ampel-Koalition ging es dann doch nicht. „Wir haben geschafft, was uns viele nicht zugetraut haben: Die Gasspeicher sind gefüllt und die Preise sind stabil geblieben“, sagte der Kanzler. Außerdem stünden im Bundeshaushalt 14 Milliarden Euro für den Wohnungsbau zur Verfügung. „Und wir haben den Mindestlohn auf zwölf Euro erhöht. Wir haben aus Respekt vor Millionen Menschen für eine Verbesserung ihrer Gehälter gesorgt“, sagte Scholz erneut unter starkem Beifall.
Die Wertschätzung des Bundeskanzlers ist bei den Hamburger Parteifreunden offensichtlich ungebrochen. Für sozialdemokratische Verhältnisse untypisch, musste sich Scholz im Anschluss an seine Rede für eine Serie von Selfies mit Parteimitgliedern bereithalten. Mit professionellem Lächeln absolvierte der Kanzler diese Sympathiebekundungen. Nach einer guten Stunde verließ Scholz den Landesparteitag. Die umfangreiche Beratung von insgesamt 76 Anträgen begann.
Zu Beginn des Parteitages hatte Bürgermeister Peter Tschentscher schon ein bisschen Wahlkampfstimmung verbreitet. „In den letzten Jahren haben wir uns mit großen, schweren Themen beschäftigen müssen: Pandemie, Ukraine-Krieg und Energiekrise. Jetzt werden wir uns wieder auf Hamburger Themen konzentrieren. Es stehen Wahlen bevor“, sagte Tschentscher. Im kommenden Jahr stehen die Bezirks- und Europawahlen an, 2025 die Bürgerschaftswahl.
Peter Tschentscher verbreitet schon etwas Wahlkampfstimmung
„Was ist den Bürgern wichtig? Wohnungsbau und bezahlbare Mieten - das berührt die Leute sehr“, gab Tschentscher seine Eindrücke aus Gesprächen mit Hamburgerinnen und Hamburgern wieder. „Nehmt zwei Zahlen mit: Wir haben seit 2011 90.000 Wohnungen gebaut, 10.000 davon von der Saga. Wenn wir das nicht gemacht hätten, stünden die Mieten noch stärker unter Druck“, so der Bürgermeister. Dass Unternehmen jetzt weniger Wohnungen bauten, läge an den veränderten Rahmenbedingungen wie etwa den hohen Zinsen. Unsere Antwort lautet: Wir bieten für den geförderten Wohnungsbau langfristige Kredite über 30 Jahre für ein Prozent an“, sagte Tschentscher. Derzeit lägen die Bauzinsen bei vier Prozent.
Anders als Scholz ging Tschentscher auf die aktuelle Diskussion über das Gebäudeenergiegesetz in der Ampel-Koalition ein. „Wir beteiligen uns an den Beratungen in Berlin. Wir werden dafür sorgen, dass in Hamburg niemand überfordert wird und wir die richtige Lösung für alle Quartiere finden“, sagte Tschentscher. Und dann hatte der Bürgermeister eine kleine Spitze angesichts des heftigen Streits zwischen Grünen und der FDP für seinen Vorgänger parat, der ihm aufmerksam zuhörte. „Lieber Olaf, wenn ihr eine Detailfrage nicht gelost bekommt, wir können die Antwort geben“, wandte sich Tschentscher an Scholz und sorgte für Heiterkeit.
Die SPD beschließt einen Stadtbahn-Antrag ohne das Wort „Stadtbahn“
Aus der mit Spannung erwarteten Diskussion über die Wiedereinführung der Straßenbahn, die in zwei Anträgen gefordert wurde, hatte die Parteispitze mit einem neuen Beschlussvorschlag im Vorfeld die Luft herausgelassen. Die Jusos und der SPD-Distrikt Neugraben-Fischbek hatten Machbarkeitsstudien für die Einführung des neuen Verkehrssystems vorgeschlagen. In dem mit großer Mehrheit beschlossenen Antrag tauchen die Wörter Straßenbahn oder Stadtbahn nicht mehr auf.
Statt dessen bekennt sich die SPD erneut zu den großen Infrastrukturprojekten bei U- und S-Bahnen wie dem Bau der U5 von Bramfeld zu den Arenen. Dann heißt es sehr vage: „Darüber hinaus werden wir prüfen, wo Kapazitäten der Metro- und Expressbuslinien absehbar nicht mehr ausreichen werden und mit welchem Verkehrsmittel hier eine erweiterte Kapazität angeboten und größere Passagiermengen komfortabel befördert werden können.“
SPD-Parteitag: Jusos zeigen sich in Sachen Stadtbahn kompromissbereit
Die Jusos zeigten sich kompromissbereit. „Wir können uns eine Stadtbahn als Ergänzung vorstellen. Aber wir tragen die vom Landesvorstand vorgeschlagene Lösung mit“, sagte der Juso-Landesvorsitzende Finn Nußbaum. Auch der SPD-Distrikt Neugraben-Fischbek zog mit und zog seinen Straßenbahn-Antrag zurück, der „das böse S-Wort“ enthielt, wie ein Delegierter aus dem Distrikt bemerkte.