Hamburg. Bald nach dem Aus für die Straßenbahn begann die Debatte über ihre Wiedereinführung. Bislang sind alle Versuche gescheitert. Und jetzt?

  • Immer wieder kommt die Diskussion nach einer Stadtbahn in Hamburg auf
  • Nun bringt die SPD das Projekt wieder auf den Tisch. 2030 könnte es soweit sein
  • Bereits 1978, als die alte Stadtbahn abgeschafft wurde, schwang Bedauern mit

Vielleicht muss man bis zum Ersten Bürgermeister Hans-Ulrich Klose zurückgehen. Vielleicht muss man bis zu jenem Sozialdemokraten zurückgehen, der von 1974 bis 1981 im Rathaus regierte, um die ganze Absurdität, das Auf und Ab und die kuriosen Wendungen der Debatte um die Wiedereinführung der Hamburger Straßenbahn, aber auch die Faszination dieses Verkehrsmittels zu verstehen.

Die 1978 stillgelegte Straßenbahn ist seit Jahrzehnten geradezu ein Wiedergänger der Rathauspolitik. In anderen Städten wurde dieses heute meist Stadtbahn genannte Verkehrssystem nie abgeschafft oder inzwischen in moderner Form erneut aufs Gleis gesetzt. In Hamburg blieb es bislang beim Aus für die Tram.

Stadtbahn in Hamburg: Jetzt kommt wieder Bewegung in die Sache

Aber jetzt kommt wieder einmal Bewegung in die Sache. Die Sozialdemokraten diskutieren auf ihrem Landesparteitag an diesem Sonnabend gleich zwei Anträge, mit denen jedenfalls perspektivisch die Rückkehr der Straßenbahn eingeleitet werden soll.

Ausgerechnet die SPD, möchte man hinzufügen, die seit dem Ukas eines gewissen Olaf Scholz, damals Erster Bürgermeister, im Jahr 2011 jeden Versuch eines Revivals blockiert hat. Scholz, der auf U-Bahn-Ausbau und ganz viele Busse setzte, verbot die Diskussion über die Stadtbahn geradezu.

Und heute? „Ich bin nicht gegen die Stadtbahn“, sagt SPD-Bürgerschafts-Fraktionschef Dirk Kienscherf jetzt dem Abendblatt. Ein doch recht erstaunlicher Wandel, dazu später mehr.

Kräftiges Bedauern schwang schon bei Abschaffung der Straßenbahn 1978 mit

Rückblende: „Es kann sein, dass das ein Fehler gewesen ist“, schwante dem häufig zu öffentlicher Nachdenklichkeit neigenden Hans-Ulrich Klose ausgerechnet schon an jenem Tag, als die letzte Straßenbahn der letzten Linie 2 von Niendorf zum Rathaus fuhr. Das war am 1. Oktober 1978.

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Angeblich säumten 300.000 Hamburgerinnen und Hamburger die Strecke während der Abschiedstour. Dabei schwang bei vielen sicherlich eine kräftige Portion Nostalgie mit, aber die Straßenbahnen sind offensichtlich auch heute noch Sympathieträger.

Damals galten die Straßenbahnen mit ihrem aufgeregten Gebimmel vielen Planern und auch Politikern als Verkehrsmittel von gestern, aber vor allem standen sie mit ihrer starren Streckenführung dem stark wachsenden motorisierten Individualverkehr buchstäblich im Wege. In das Konzept der autogerechten Stadt passte die Tram in Hamburg mit seinen zum Teil eng bebauten Quartieren und relativ schmalen Straßen nicht mehr. Doch mit dem Aufkommen der Umweltbewegung und dem Erstarken der Grünen setzte sehr bald eine Gegenbewegung ein.

Gutachter empfahlen bereits 1991, die Stadtbahn schnell wiedereinzuführen

Schon dreimal hat sich der Senat seitdem in unterschiedlichen Regierungskoalitionen sehr ernsthaft mit der Wiedereinführung des Verkehrssystems auseinandergesetzt. Bereits 1991 – der Erste Bürgermeister hieß Henning Voscherau (SPD) – ergab ein von der Wirtschaftsbehörde beauftragtes Gutachten, dass ein Netz mit vier Linien auf einer Gesamtlänge von 46 Kilometern sinnvoll sein könnte.

Die Strecken werden zum Teil auch heute noch diskutiert: vom Osdorfer Born nach Altona, von Niendorf Markt über die City nach Bramfeld, von Altona über Eppendorf nach Bramfeld sowie von Steilshoop nach Bramfeld.

In den 90er-Jahren: Der damalige Erste Bürgermeister Henning Voscherau (l., SPD) und der Abgeordnete Joachim Christian Becker (CDU) mit einem Modell der Straßenbahn in der Hamburgischen Bürgerschaft.
In den 90er-Jahren: Der damalige Erste Bürgermeister Henning Voscherau (l., SPD) und der Abgeordnete Joachim Christian Becker (CDU) mit einem Modell der Straßenbahn in der Hamburgischen Bürgerschaft. © ullstein bild - Lüttgen

Obwohl die Gutachter empfahlen, die Stadtbahn, wenn überhaupt, dann schnell einzuführen, tat sich lange nichts. Voscherau galt nicht als Befürworter des Verkehrssystems. Erst als sein Nachfolger Ortwin Runde (SPD) die Grünen, damals noch Grün-Alternative Liste (GAL), 1997 erstmals in den Senat holte, ging es voran.

Im Juli 2001 beschloss der rot-grüne Senat die Einleitung eines Planfeststellungsverfahrens für den ersten Abschnitt eines jetzt auf 40 Kilometer angelegten Netzes: zwölf Kilometer vom Hauptbahnhof nach Steilshoop. Die Stadtbahn war jetzt Teil des offiziellen Verkehrsentwicklungsplans des Senats.

CDU stoppte Stadtbahn-Projekt nach dem rot-grünen Machtverlust

Allein: Nach dem rot-grünen Machtverlust bei der Bürgerschaftswahl Ende 2001 stoppte der neue CDU-Schill-FDP-Senat alle Stadtbahn-Planungen. Die CDU war prinzipiell gegen die Renaissance des Verkehrsträgers. Und erneut wiederholte sich die Geschichte: Als es 2008 zu schwarz-grünen Koalitionsverhandlungen kam, setzten die Grünen die Einführung der Stadtbahn durch.

Geplant war ein nun 50 Kilometer langes Netz mit wiederum vier Linien. Ende Oktober 2010 begann das Planfeststellungsverfahren für den ersten 7,7 Kilometer langen Streckenabschnitt vom Bramfelder Dorfplatz über Steilshoop und dem Winterhuder Marktplatz zur U-Bahn-Station Kellinghusenstraße (Eppendorf).

Zwar sollte die geplante Strecke weitgehend über eine eigene, von Straßen getrennte Trasse führen, aber eben auch durch eng bebautes Wohngebiet etwa in Winterhude. Und hier regte sich sofort kräftiger Widerstand gegen die Stadtbahn-Planungen.

Olaf Scholz wollte als Erster Bürgermeister von Stadtbahn-Planungen nichts wissen

Nachdem die Grünen das schwarz-grüne Bündnis vor allem infolge der Turbulenzen nach dem verlorenen Volksentscheid über die Primarschule und dem Rücktritt von Ole von Beust als Erster Bürgermeister aufgekündigt hatten, senkte dessen Nachfolger Christoph Ahlhaus (CDU) den Daumen: Ende November 2010 stoppte Ahlhaus alle Stadtbahn-Planungen. Auch an der CDU-Basis hatte es Protest gegen die geplante Streckenführung gegeben. Und die Stadtbahn war eben ein Kernanliegen der Grünen, die dem Senat nun nicht mehr angehörten.

Es war nicht zuletzt die Erfahrung des Vorgängersenats mit den Protesten gegen die Stadtbahn vor Ort, die Olaf Scholz veranlassten, von dem neuen Verkehrsträger die Finger zu lassen. Der heutige Bundeskanzler setzte das Jahrhundertprojekt der komplett neuen U-Bahn-Linie U5 durch, die über 24 Kilometer von Bramfeld über die Innenstadt zumeist unterirdisch bis zu den Arenen führen soll. Auf dem ersten Bauabschnitt von Bramfeld bis zur City Nord haben sich bereits massive Kostensteigerungen ergeben.

Dass die Wiederbelebung der Debatte nun von der SPD ausgeht, ist überraschend

Die Grünen haben das Projekt Stadtbahn nicht aufgegeben, haben sich aber bislang an der SPD-Mauer die Zähne ausgebissen. Das war in den rot-grünen Koalitionsverhandlungen 2015 der Fall und ebenso bei der Wiederauflage 2020.

Zwar setzen die Grünen auch auf den von der SPD forcierten Ausbau des U- und S-Bahn-Netzes, wollen aber „die Stadtbahn perspektivisch als zusätzlichen Verkehrsträger etablieren – insbesondere als Ersatz für die Expressbusse“, wie es im grünen Wahlprogramm für die Bürgerschaftswahl 2020 heißt. Dass die Debatte über die Wiedereinführung der Stadtbahn nun ausgerechnet aus der SPD heraus angefacht wird, ist dann doch überraschend.

Die Jusos fordern in ihrem Antrag für den SPD-Landesparteitag am heutigen Sonnabend „die Aufnahme einer modernen Niederflur-Straßenbahn als Ergänzung zum Schnellbahnausbau“. Und wie 1991, 2001 und 2010 soll die Hamburger Hochbahn AG (HHA) mit der Erstellung einer Machbarkeitsuntersuchung beauftragt werden – diesmal unter anderem für die Strecke „zwischen Altona und der City Nord mit einer Weiterführung über Farmsen bis nach Rahlstedt als Ergänzung zum Bau der U5“. Ausführlich beschreiben die Jusos die Vorzüge der Stadtbahn gegenüber den Bussen und deren Kapazitätsgrenzen angesichts der erstrebten Verkehrswende.

Zwei Anträge auf SPD-Landesparteitag fordern die Renaissance der Straßenbahn

Auch der SPD-Distrikt Neugraben-Fischbek favorisiert in einem Antrag die Stadtbahn und schlägt – nicht ganz uneigennützig – die Strecke vom Harburger Südosten über den Bahnhof Harburg Richtung Westen als Ergänzung und Zubringer zur S3 vor. In beiden Parteitagsanträgen wird die SPD-Bürgerschaftsfraktion aufgefordert, entsprechende Beschlüsse zu fassen.

Deren Vorsitzender Kienscherf will vermeiden, dass nun sofort eine Grundsatzdebatte über das Für und Wider der Stadtbahn und über einzelne Streckenverläufe beginnt. Erst mal müsse Hamburg seine ehrgeizigen Verkehrsinfrastrukturprojekte, allen voran die U5, über die Bühne bringen.

„Aber mittelfristig müssen wir mal gucken, ob die Buslinien in den Tangentialverbindungen ausreichen. Dabei kann ein weiteres Schienensystem rauskommen. Das haben wir nie abgelehnt“, sagt Kienscherf. Nun denn. Der Erste Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) hatte die Stadtbahnen noch im vergangenen Jahr als „altmodische Stahlungeheuer“ bezeichnet, die Verkehrsräume durchschnitten.

SPD könnte Tür zur Stadtbahn für die Zeit nach 2030 ein bisschen öffnen

Kienscherf ist jedenfalls zuversichtlich, sich mit den Jusos auf einen gemeinsamen Antrag einigen zu können, der die Tür zur Stadtbahn für die Zeit nach 2030 ein bisschen öffnet. Verkehrssenator Anjes Tjarks (Grüne) hatte bereits im Abendblatt-Interview Anfang Mai gesagt, als Ergänzung zur U5 bei fehlenden Querverbindungen komme eine Stadtbahn durchaus in Betracht. „Momentan gibt es dazu keinen Plan, aber das heißt ja nicht, dass es nicht irgendwann mal einen geben kann“, sagte Tjarks.

Vielleicht, irgendwann. Und so schöpfen die Befürworter der Stadtbahn 45 Jahre nach dem Aus der Straßenbahn Hoffnung. Nicht zum ersten Mal.