Hamburg. Mehr Trinkbrunnen, kostenloser HVV für Bedürftige oder Zuschlag für arme Rentner: Ideen gibt es. Woran die Umsetzung scheitert.

Dieser 20. Juli 2022 dürfte in die Geschichtsbücher Hamburgs eingehen. 40 Grad im Schatten zeigten einige Thermometer am Mittwoch an – das hatte es nie zuvor gegeben. Wer trotzdem in der Stadt unterwegs war, hätte sich da vermutlich über Wasserspender gefreut, an denen man mal schnell die ausgedörrte Zunge anfeuchten oder die mitgeführte Trinkflasche auffüllen kann. Allein: Davon gibt es in ganz Hamburg genau vier – zwei an der Alster und je einen an den Landungsbrücken und im Stadtpark.

„Das ist für eine Stadt mit fast zwei Millionen Einwohnern geradezu lachhaft“, monierte Klaus Wicher, der Landesvorsitzende des Sozialverbands SoVD. Nicht nur, aber gerade für Obdachlose und andere weniger Begüterte sei angesichts der immer heißeren und trockeneren Sommer eine flächendeckende Versorgung mit Wasserstellen nötig: „Wir brauchen Wasserspender an öffentlichen Plätzen, in den Einkaufszonen der Stadt, an zentralen Stellen in den Stadtteilen“, so Wicher, der darauf verwies, dass es im gleichgroßen Wien 1000 Trinkbrunnen gibt. Auch in Amsterdam sprudelt an jeder Ecke frisches Wasser, und in Paris gehören die fast 80 gusseisernen Wallace-Brunnen seit 150 Jahren zum Stadtbild.

Hamburger Senat: Trinkbrunnen haben keine Priorität

Das 9-Euro-Ticket sorgt für volle Züge, wie hier am Hauptbahnhof. Eine dauerhafte Absenkung der Fahrpreise ist umstritten.
Das 9-Euro-Ticket sorgt für volle Züge, wie hier am Hauptbahnhof. Eine dauerhafte Absenkung der Fahrpreise ist umstritten. © dpa | Christian Charisius

Und in Hamburg? Nun ja, zur Wahrheit dazu gehört, dass die Stadtreinigung die öffentlichen Toiletten modernisiert und nach und nach mit Trinkwasserspendern ausstattet. 21 gibt es schon, weitere 27 sollen noch folgen. Allerdings stehen die naturgemäß nicht direkt an den meistfrequentierten Orten, sondern etwas abseits. Daher hatten SPD und Grüne in der Bürgerschaft schon 2019 beschlossen, dass HamburgWasser weitere Trinkbrunnen aufstellen solle, zehn Prototypen bis 2021, danach „mindestens 100“ weitere. Umgesetzt wurde davon – nichts. Man arbeite noch an dem Prototyp, heißt es bei HamburgWasser. Auch die Finanzierung sei noch fraglich.

Dem Eindruck, dass das Thema bei Rot-Grün nicht gerade allerhöchste Priorität genießt, tritt Jennifer Jasberg, die Fraktionsvorsitzende der Grünen, jedoch entgegen. „Dass da bislang so wenig passiert ist, hat mich auch geärgert“, räumt sie ein und verspricht: „Angesichts der zunehmenden Hitzetage werden wir uns dafür einsetzen, dass das zügiger geht.“

Nur wenige Freibäder in Hamburg

Nun hängt das Wohl und Wehe Hamburgs nicht an der Zahl der Trinkbrunnen. Aber die Geschichte steht stellvertretend für viele kleine und größere Vorschläge, die dieser Tage in der Diskussion sind, weil sie vor allem den von Inflation und steigenden Energiekosten besonders betroffenen Menschen sofort helfen könnten – aber im Rathaus kein oder kaum Gehör finden.

Um bei der Hitze zu bleiben: Zu den beliebtesten Orten an heißen Tagen zählen Freibäder, zumal bei denen, die nicht einfach mal eben an die Ostsee düsen oder nach Malle jetten können. Doch während es im Umland in jedem zweiten 10.000-Einwohner-Dorf ein 25-Meter-Becken mit Sprungturm und Rutsche gibt, kommen in der Hansestadt ungefähr 100.000 Menschen auf ein Freibad – private Einrichtungen und Badeseen mal außen vor gelassen, doch auch davon findet man auf dem Land mehr.

Enormes Kultur-, Sport- und Eventangebot

Pläne, das Angebot auszubauen, gibt es dennoch nicht. „Wir haben ja schon bei den bestehenden Freibädern Probleme, die Betriebszeiten aufgrund des Personalmangels aufrechtzuerhalten“, sagt SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf. „Da sind wir dran. Aber neue Projekte halte ich für schwierig.“ Freibäder seien sehr kostenintensiv, und dafür seien derzeit keine Mittel vorhanden. Dass Umlandgemeinden ihren Bewohnern mehr bieten als Hamburg, sehe er nicht so: „Viel mehr als Freibäder haben die nicht. Dafür blicken Eltern dort neidisch auf Hamburg, weil hier die Kitagebühren so niedrig sind.“

Der Hinweis auf die Wohltaten und Hilfen in Hamburg ist durchaus berechtigt. Sowohl Kienscherf als auch Jasberg betonen, dass Hamburg sich mit mehr als 600 Millionen Euro an den Entlastungspaketen des Bundes beteilige und dass man Stromsperren und Kündigungen von Mietverhältnissen für Menschen, die ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen können, ausschließe. Zudem verweisen sie darauf, dass es nahezu gebührenfreie Kitas und eine kostenfreie Nachmittagsbetreuung an allen Schulen gibt. Und klar: Das enorme Kultur-, Sport- und Eventangebot ist natürlich ein Neidfaktor.

Hamburger Senat soll Rentner besser unterstützen

In diesem Punkt ist der Senat sogar alles andere als knauserig: Nach der Elbphilharmonie soll bald ein Digital Art Museum eröffnen, gefolgt vom neuen Deutschen Hafenmuseum und vermutlich auch einem neuen Naturkundemuseum. Auch die Pläne für ein „Haus der digitalen Welt“ verfolge man emsig, frohlockte Kultursenator Carsten Brosda (SPD) vorige Woche. Woher die dreistellige Millionensumme für den Bau (in Teilen wohl vom Bund) und weitere Millionen für den Betrieb kommen, sei zwar noch nicht ganz klar, aber auf jeden Fall werde dafür nicht an anderer Stelle im Kulturetat gespart.

Dann sollte es ja eigentlich kein Pro­blem sein, Empfängern von Grundsicherung im Alter 20 Euro zusätzlich im Monat zu zahlen, um ihnen das teure Leben in Hamburg etwas leichter zu machen, oder? Von wegen. Mit dieser Forderung läuft Sozialverband-Chef Wicher, selbst ein Sozialdemokrat, regelmäßig gegen die verschlossene Rathaustür. „Rentner und Rentnerinnen, die so wenig haben, dass sie von Grundsicherung leben müssen, brauchen in Hamburg eine direkte finanzielle Unterstützung durch die Stadt“, fordert er seit Jahren – und erst recht, seit diese Gruppe nicht von den Entlastungspaketen profitiert hat. Der Senat müsse nur dem Beispiel Münchens folgen und aus eigenen Mitteln 20 Euro im Monat obendrauf legen: „Das kann und muss sich die Stadt leisten“, findet Wicher.

Hamburger Senat hartleibig bei HVV-Preisen

Und warum tut sie das nicht? „Weil wir bisher davon ausgegangen sind, dass man sein Leben trotz aller Herausforderungen von diesen Sätzen bewältigen kann“, sagt SPD-Fraktionschef Kienscherf. Im Übrigen sei Grundsicherung ein Bundesthema, und das solle es auch bleiben – auch wenn er „bei der Höhe der Sätze durchaus Handlungsbedarf sehe“. Sozialpolitiker innerhalb der Partei drücken es kritischer aus: Für Prestigeprojekte sei Geld da, für das Notwendige oft nicht, meint einer.

Hartleibig zeigt sich Rot-Grün auch bei allen Forderungen nach einer Absenkung der HVV-Preise. Mit am weitesten geht auch hier der Sozialverband: „Kostenfreie Nutzung des ÖPNV für bedürftige Menschen“, fordert Wicher. Das diene einerseits dem Klimaschutz, andererseits den ärmeren Menschen. Auch die Linkspartei fordert nicht nur angesichts der großen Nachfrage nach 9-Euro-Tickets eine dauerhafte Senkung der Tarife: „Für den Klimaschutz und aus sozialen Gründen muss der HVV alternativlos werden. Und das läuft nicht mit hohen Preisen“, sagt ihre Verkehrsexpertin Heike Sudmann.

Senat will Ausbau der Bahnen finanzieren

Indes: Alle Vorstöße in diese Richtung, etwa die CDU-Forderung nach einem 365-Euro-Jahresticket, hat Rot-Grün abgelehnt. Hinweise, dass in Luxemburg Mobilität inzwischen ebenso kostenlos ist wie in Estlands Hauptstadt Talinn und bald auch in Malta, fruchten bislang nicht – hier möchte der Senat kein Vorreiter sein. Vorrang habe Ausbau und Modernisierung von Bahnen und Bussen, und das koste viel Geld, lautet das Hauptargument – verbunden mit dem Hinweis auf bestehende Vergünstigungen.

In der Tat hat sich da einiges getan. Schüler und Azubis fahren inzwischen für 30 Euro im Monat, und wer staatliche Leistungen bezieht, kann den Sozialrabatt von 23 Euro pro Monat auf Zeitkarten in Anspruch nehmen. Derzeit kosten alle Zeitkarten ohnehin höchstens neun Euro, und Leistungsbezieher müssen gar nichts bezahlen – für sie übernimmt die Sozialbehörde die neun Euro. Es geht also.

Vier Kultureinrichtungen, aber keine Absenkung der Fahrpreise?

Wie die Preise künftig aussehen werden, ist noch offen, aber immerhin ist für Rot-Grün klar, dass es keine Rückkehr zum alten Tarifsystem vor dem 9-Euro-Ticket geben wird. An einer dauerhaften Absenkung der Fahrpreise müsse sich aber der Bund beteiligen, heißt es: „Das werden die Länder allein nicht schaffen.“

Klar ist aber auch: Wenn man parallel vier neue Kultureinrichtungen plant, wird es noch schwieriger. Ob die dann wenigstens für Bedürftige kostenfrei sein werden, um sie nicht weiter von der Gesellschaft auszuschließen, wie es der Sozialverband ebenfalls fordert? Wohl kaum. In der Kulturbehörde hätte man dafür sogar Sympathie, fragt sich allerdings, wie das finanziert werden solle. Im Übrigen gebe es in nahezu allen Einrichtungen bereits soziale Vergünstigungen sowie kostenfreien Eintritt für Kinder und Jugendliche in allen öffentlichen Museen und freien Eintritt für alle am Reformationstag.

Senat überlegt, Eintritt für Elbphilharmonie-Plaza zu nehmen

Umgekehrt läuft es bei der Elbphilharmonie-Plaza: Während zumindest der Spontanbesuch noch kostenlos ist, überlegt der Senat nun, künftig Eintritt zu nehmen, weil die Betreibergesellschaft rote Zahlen schreibt. Was wohl Brosdas Vorgängerin Barbara Kisseler dazu sagen würde? „Als Platz für alle unterstreicht die Plaza den öffentlichen Charakter der Elbphilharmonie“, sagte sie einst, auch daher werde das Konzerthaus „einer der spektakulärsten öffentlichen Plätze Hamburgs“.

Aber öffentliche Plätze, so erinnerte Linken-Haushaltsexperte Norbert Hackbusch in der Bürgerschaft kürzlich, „müssen kostenlos bleiben, das ist das Prinzip.“ Vielleicht nicht in Hamburg, der Stadt mit den vier Trinkbrunnen.