Hamburg. Abhilfe kaum möglich. Hitzefrei gibt es in Hamburg selten – auch, weil der Nachholbedarf wegen Corona groß ist.
Flachdach und riesige Fensterfronten – so wurden über Jahrzehnte nicht nur in Hamburg Schulen konstruiert. Rolläden, Jalousien oder Markisen, die die Hitze abhalten könnten, gibt es oft nicht, Ventilatoren oder gar Klimaanlagen ohnehin nicht. Mit zunehmender Zahl und Intensität der Hitzewellen – die aktuelle war die längste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen – wird das vielerorts zum Problem: Die Klassenräume heizen sich unerträglich auf, konzentriertes Arbeiten ist oft nicht mehr möglich.
So wurden in einem Klassenraum der Marie-Beschütz-Schule, einer Eppendorfer Grundschule, schon an drei Tagen in Folge 30 Grad gemessen – und gestern erneut. Die Vorhänge könnten das Aufheizen kaum verhindern, Ventilatoren dürften wegen Corona nicht aufgestellt werden, und die Türen fielen sofort ins Schloss, heißt es aus Elternkreisen.
Aus Brandschutzgründen dürfe die Hausmeisterin auch keinen Haken anbringen, um die Tür zwecks Durchzugs feststellen zu können. Vor der Hitze ins Freie zu flüchten, werde auch nicht gern gesehen, weil sich dann die Gruppen auf dem Schulhof mischen könnten – Stichwort Corona.
Lüften ist vielerorts nicht möglich
Vom Gymnasium Ohmoor berichten Eltern, dass dort lüften – sei es aus Gründen des Infektionsschutzes oder wegen der Hitze oder beides – nicht möglich sei, weil man die Fenster nur einen Spalt öffnen könne. Dabei handele es sich um einen Neubau, den es so oder so ähnlich mehrfach an Hamburger Schulen gebe.
Ähnliches ist vom Alexander-von-Humboldt-Gymnasium (AvH) in Wilstorf zu hören. Dort habe das Digitalthermometer in einem Klassenraum in den vergangenen Tagen regelmäßig 30 Grad angezeigt, obwohl der Raum nicht einmal direkt der Sonne ausgesetzt sei. Im benachbarten Klassenraum mit Sonneneinstrahlung seien es sogar bis zu 32 Grad gewesen. Auch hier gilt: Das Gebäude ist brandneu. Das Ensemble aus einem Neubau für das Gymnasium und einer komplett neuen Lessing-Stadtteilschule galt als Vorzeigeprojekt des Schulbaus in Hamburg, aber mit der zunehmenden Sommerhitze hat es dennoch seine Probleme.
Temperaturen steigen auf mehr als 30 Grad
„Die Temperaturen im Neubau steigen im Laufe des Vormittags in einigen Räumen auf über 30 Grad“, bestätigte Schulleiterin Sabine Hansen auf Abendblatt-Anfrage. Noch diese Woche solle daher eine Begehung mit Vertretern der städtischen Immobilienfirma Gebäudemanagement Hamburg (GMH) stattfinden.
Aktuell nutze man nach Möglichkeit Schattenplätze auf dem Gelände oder Räume, die nach Norden ausgerichtet sind oder eine gute Querlüftung ermöglichen. Hitzefrei komme nach der corona-bedingten Schulpause noch weniger in Betracht: „Da wir gehalten sind, so viel Unterricht wie irgend möglich nach Stundentafel zu halten und außerdem eine verlässliche Betreuung gegeben sein muss, kann ein Unterrichtsabbruch wegen der Hitze nur das allerletzte Mittel sein“, sagte Hansen.
Entscheidung über hitzefrei liegt bei den Schulen
Das entspricht der Haltung der Schulbehörde. Sie überlässt den Schulen die Entscheidung, bis zu welchen Temperaturen in einem Raum oder an der ganzen Schule unterrichtet werden kann: „Die Schulleitungen haben die beste Kenntnis ihrer Lernbedingungen vor Ort und entscheiden, ob, wo und in welcher Form Unterricht stattfinden kann“, teilte Behördensprecher Peter Albrecht auf Anfrage mit, betonte aber auch: „Natürlich hat immer erste Priorität, dass der Unterricht stattfindet.“
Zunächst würden daher alternative Unterrichtsorte im Gebäude, auf dem Schulgelände oder auch darüber hinaus gesucht. „Wenn diese Möglichkeiten ausgeschöpft sind, können Schulleitungen altersangemessen auch Hitzefrei geben, müssen aber immer die Sorgeberechtigten informieren und eine Notbetreuung aufrechterhalten.“
Nagelneue Gebäude heizen sich auf
Und wie kann es sein, dass sich nagelneue Gebäude derart aufheizen? Die für die Firmen GMH und Schulbau Hamburg (SBH) zuständige Finanzbehörde verweist darauf, dass alle Schulgebäude den gesetzlichen „Mindestanforderungen an den Wärmeschutz“ genügen müssten. „Hier erfolgen auch im Hinblick auf den Klimawandel ständige Anpassungen, die dann in die Hamburger Schulbauplanungen einfließen“, so Behördensprecher Claas Ricker. Aus den technischen Vorgaben ergebe sich, ob ein Gebäude außen liegenden Sonnenschutz benötige oder eine Wärmeschutzverglasung ausreichend ist.
Gründächer sollen Erwärmung entgegenwirken
Wie berichtet, benötigt Hamburg in den kommenden Jahren 44 komplett neue Schulen, mehr als 120 müssen erweitert werden. Parallel läuft das begonnene Sanierungsprogramm noch bis zum Jahr 2027 weiter. Insgesamt werden rund vier Milliarden Euro investiert. Dabei werde selbstverständlich nach den geltenden gesetzlichen Standards und Vorschriften gebaut, auch zum Wärmeschutz, sagte Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) dem Hamburger Abendblatt.
„Zusätzlich werden die Neubauten seit etwa zwei Jahren mit Gründächern errichtet, die einer sommerlichen Erwärmung entgegenwirken. Auch wenn bei Hitzeperioden wie der aktuellen jedes Gebäude früher oder später an seine Grenzen kommt, ist SBH/GMH die Herausforderung des zunehmend erforderlichen sommerlichen Wärmeschutzes bewusst.“ Die Unternehmen planten daher bei zukünftigen Neubauten, dort, wo es die Bodenverhältnisse zulassen, den Einsatz von Wärmepumpenanlagen und Erdsonden, „die nicht nur zum Heizen im Winter, sondern auch zum Kühlen im Sommer geeignet sind“, sagt Andreas Dressel.
Schulmief kann krank machen
Bei der Elternkammer Hamburg war die Hitze in den Schulen noch kein gesondertes Thema, sagte der Vorsitzende Marc Keynejad dem Abendblatt. Allerdings dränge man immer wieder auf „lerntaugliche Umgebungsbedingungen“, dazu gehöre das regelmäßige Lüften, gerade in Corona-Zeiten. „Der sprichwörtliche ,Schulmief‘, an den sich viele von uns noch aus der Schulzeit unangenehm erinnern, ist – bis zum Beginn der Pandemie – nur ein lästiger Begleiter gewesen. Jetzt kann er wirklich krank machen“, hieß es in einer Mitteilung der Kammer zur Wiederaufnahme des regulären Schulbetriebs. Darin wurde auch kritisiert, dass in vielen Klassenräumen lüften „schwierig bis unmöglich“ sei.
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Ironie der Geschichte: Je konsequenter Schulen lüften, desto heißer könnte es auch in relativ neuen Gebäuden werden. „Die aktuelle Corona-Situation mit der Notwendigkeit einer regelmäßigen Stoßlüftung tagsüber verstärkt die Erwärmung noch, weil dadurch große Mengen warmer Luft in das Gebäude gelangen“, heißt es aus der Finanzbehörde im Namen von GMH und SBH. Viele Neubauten, auch der am Alexander-von-Humboldt-Gymnasium, hätten aber „einbruchgeschützte Lüftungsflügel“, die nachts geöffnet bleiben können, damit sich das Gebäude abkühlen kann. Nur müssten die Schulen das auch nutzen. Die Reinigungsfirma sei nochmals darauf hingewiesen worden.