Hamburg. Westen beweist die Relevanz: Maßnahmen im Rahmen des Projekts RISA sollen „Schwammstadt“ vor Fluten bewahren.

Auf den ersten Blick ist das Hein-Klink-Stadion an der Möllner Landstraße in Billstedt ein ganz normaler Sportplatz. Doch darunter verbirgt sich ein wegweisendes Projekt: Bei starkem Niederschlag wird das Wasser in riesige Tanks (Rigolen) unter dem Platz geleitet und versickert dort. Laufen diese bei extremem Starkregen voll, öffnet sich ein Überlauf und flutet den Sportplatz, der damit zum Regenrückhaltebecken wird. Mehr als 500.000 Liter Wasser können so zurückgehalten werden und entlasten das örtliche Regensiel.

Es ist nur eine von vielen Maßnahmen, mit denen Hamburg sich im Rahmen des 2009 initiierten Projekts RISA (RegenInfraStrukturAnpassung) vor Starkregenereignissen zu wappnen versucht. Wie nötig das ist, haben die Ereignisse in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz einmal mehr gezeigt, wo enorme Regenmengen in kurzer Zeit ganze Dörfer zerstört und mehr als 150 Todesopfer gefordert haben.

Starkregen in Hamburg verursachte Schäden

„Die Bilder von den verheerenden Zerstörungen in Westdeutschland mahnen uns: Die Anpassung an die Folgen des Klimawandels und die Schaffung von Versickerungspotenzial sind eine wichtige Aufgabe der Stadtplanung“, sagte Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) dem Abendblatt.

2011 mussten Helfer das Rudolf-Steiner-Haus am Mittelweg nach einem Starkregen vom Wasser befreien
2011 mussten Helfer das Rudolf-Steiner-Haus am Mittelweg nach einem Starkregen vom Wasser befreien © picture alliance / dpa | Christian Charisius

„Wenn wir uns nicht vorbereiten, treffen heftige Regenfälle auf immer stärker versiegelte Flächen mit abnehmender Möglichkeit für Versickerung, Rückhalt und Verdunstung von Regenwasser.“ Auch in Hamburg hat Starkregen schon zu teilweise schweren Schäden geführt, etwa 2011 in Winterhude oder 2018 in Bergedorf. Insgesamt wurden in den vergangenen zehn Jahren mehr als 180 Starkregenereignisse in Hamburg gezählt.

Hamburg soll „Schwammstadt“ werden

Das langfristige Ziel von Hamburg-Wasser und der für das Thema zuständigen Umweltbehörde ist daher, Hamburg zur „Schwammstadt“ zu machen. Der Schlüssel zum Erfolg liege darin, den Regen möglichst gar nicht erst in die Siele zu leiten: „Regenwasser soll gespeichert und langsam wieder abgegeben werden.“

So fördert die Stadt die Begrünung von Dächern. Bis zu 50 Prozent der Investitionssumme oder einmalig bis zu 100.000 Euro werden ausgezahlt. In Frage kommen dafür Dächer mit bis zu 30 Grad Neigung, das gilt für rund jedes zweite in der Stadt. Tatsächlich begrünt sind aber nur 2,2 Prozent der Dachfläche – da ist also noch viel Spielraum.

Interaktive Starkregenkarte für Hamburg

Schon 2012 wurde die Sielbenutzungsgebühr umgestellt: Statt allein anhand des Trinkwasserverbrauchs berechnet sie sich seitdem auch anhand der versiegelten Fläche – das soll Grundstücksbesitzer motivieren, möglichst wenig Fläche zu versiegeln. Wer sich informieren möchte, inwiefern ein Grundstück gefährdet ist, kann das seit kurzem mithilfe der interaktiven Starkregenkarte tun.

Feuerwehrleute pumpten 2011 in Hamburg das Souterrain eines Einrichtungsgeschäfts leer. Starkregen hatte in Hamburg zahlreiche Straßen unter Wasser gesetzt und Keller volllaufen lassen. Die Feuerwehr war im Dauereinsatz.
Feuerwehrleute pumpten 2011 in Hamburg das Souterrain eines Einrichtungsgeschäfts leer. Starkregen hatte in Hamburg zahlreiche Straßen unter Wasser gesetzt und Keller volllaufen lassen. Die Feuerwehr war im Dauereinsatz. © picture alliance / dpa | dpa Picture-Alliance / Christian Charisius

Hamburg-Wasser modernisiert und erweitert zudem seit Jahren das Sielnetz der Stadt. Um Alster, Elbe und Bille besser vor Überläufen aus der Kanalisation zu schützen, seien insgesamt fast 700 Millionen Euro investiert und 215.000 Kubikmeter zusätzliches Speichervolumen geschaffen worden. Unter anderem werde die Innenstadt nun durch „Abwasserautobahnen“ entlastet, so HamburgWasser.

325.000 Hamburger durch Sturmflut gefährdet

Da auch das Regenwasser am Ende in der Elbe landet, zählt die Umweltbehörde nicht zuletzt die permanente Anpassung der 103 Kilometer Hauptdeichlinie in der Stadt zu den „Daueraufgaben“ im Kampf gegen Überschwemmungen – auch wenn die größere Gefahr hier weniger vom Regen als vom Wind ausgeht: Eine schwere Sturmflut könnte die Hälfte der Stadtfläche unter Wasser setzen, allein 325.000 Menschen leben in sturmflutgefährdeten Bereichen.

Jüngster Höhepunkt des Hochwasserschutzprogramms war der terrassenartig angelegte „Elbe-Boulevard“ am Baumwall: Das fast 1,3 Kilometer lange Bauwerk hat zwar 136 Millionen Euro gekostet, ist aber ein nützlicher Hingucker, oder wie Jens Kerstan sagte: „Die vielleicht schönste Klimaanpassung der Welt“. Der Umweltsenator betonte zudem, dass die im Rahmen von RISA entwickelten Maßnahmen und Ansätze künftig „verbindlich bei allen Stadtentwicklungsprojekten umgesetzt werden müssen“.

Hamburg ist nicht ausreichend vorbereitet?

Für die Opposition in der Bürgerschaft greifen die Projekte dennoch zu kurz. CDU, Linke und AfD befürchten, dass Hamburg einem extremen Starkregen kaum gewachsen sei. Asphalt, Beton und Pflastersteine würden die Stadt zu großen Teilen versiegeln. Es fehle an Ausgleichsflächen, weshalb große Niederschlagsmengen kaum versickern könnten.

„Starkregenphasen werden immer häufiger vorkommen“, sagt der CDU-Abgeordnete Sandro Kappe. Die Stadt sei darauf nicht ausreichend vorbereitet. Deshalb fordert der Umweltexperte: „Wir müssen umdenken. Vollbetonierte Straßenzüge wie am Rathaus darf es nicht mehr geben. Wir brauchen Anreize für Veränderung.“ Das Auffangbecken unter dem Hein-Klink-Station sei ein erster Schritt, um die Umgebung vor Überschwemmung zu schützen.

Katastrophenschutz: „Hamburg muss mehr tun"

Auch der Linken-Angeordnete Stephan Jersch kritisiert die weiträumige Versiegelung der Stadt. „Wir brauchen Entsiegelungsprogramme. Die gibt es bisher nicht“, sagt der Umweltpolitiker. Ausgleichsflächen allein seien aber nur ein Teil der Lösung. „Wir brauchen eine funktionierende zweite Deichlinie, um die Vier- und Marschlande vor Binnenhochwasser zu schützen.“ Für die Finanzierung sieht Jersch die Stadt, den Bund und die EU in der Pflicht.

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Auch der AfD-Fraktionschef Dirk Nockemann fordert die Stadt zu einem besseren Katastrophenschutz auf. Die technischen Geräte seien teilweise veraltet und hielten den modernen Einsatzanforderungen nicht stand. „Wer jetzt vom Klima redet, der sollte nicht vom eigenen Versagen ablenken“, sagt er. „Hamburg muss mehr tun, um die Bürger vor Hochwasser zu schützen.“

„Klimaanpassungsmaßnahmen dringend nötig"

Die Kritik der Opposition verhallt bei den Regierungsparteien nicht. „Diese Katastrophe macht einmal mehr deutlich, wie dringend nötig Klimaanpassungsmaßnahmen sind, um sich strategisch auf die wachsenden Herausforderungen von Extremwetterereignissen einzustellen, die auch in Hamburg immer häufiger stattfinden“, sagt Grünen-Fraktionschef Dominik Lorenzen. Rot-Grün werde beantragen, das Thema Binnenhochwasserschutz in den Fachausschüssen zu behandeln.

Darüber hinaus ruft der Vorsitzende der SPD-Bürgerschaftsfraktion Dirk Kienscherf zu einer „Bestandsaufnahme“ der Maßnahmen auf.

Hamburg soll bei Starkregen Wasser aufnehmen

Dazu zählen die Entsiegelung von Flächen, die Renaturierung von Wasserläufen, der Ausbau der Entwässerungssysteme sowie eine bessere Ableitung von Oberflächenwasser. Die Stadt müsse den Binnenhochwasserschutz sehr ernst nehmen und in der Stadtplanung berücksichtigen, sagt Kienscherf. Mehr noch: „Hamburg soll eine Schwammstadt werden, die bei Starkregen Wasser aufnimmt und verzögert abgeben kann.“