Hamburg. Drei kostenlose Rundgänge zu „kolonialen Orten“. Scharfe Kritik an der HafenCity: Wird das koloniale Erbe fürs Marketing missbraucht?
Die Kolonialgeschichte der Hansestadt ist derzeit umstritten wie selten. Hamburg war Deutschlands Kolonialmetropole und geht nun bei der Aufarbeitung seines kolonialen Erbes neue Wege: Jede und jeder kann sich anhand einer App, die am Mittwoch vorgestellt wurde, vor Ort an den Schauplätzen der Historie selbst ein Bild machen und informieren. Dafür, dass die Darstellungen fundiert und auf dem neusten wissenschaftlichen Stand sind, bürgt die Universität Hamburg. Sie hat die App entwickelt. Wo vormals das Kolonialinstitut für den Dienst in Übersee ausbildete, hat das Team der Forschungsstelle „Hamburgs (post-)koloniales Erbe“ unter der Leitung von Prof. Jürgen Zimmerer die App erarbeitet, die Hamburgs Kolonialgeschichte mit dem Smartphone zugänglich macht.
Die Applikation „Koloniale Orte“ wurde mit Mitteln der Exzellenzstrategie ermöglicht. Sie sei „ein sehr gutes Beispiel für die Transfer-Aktivitäten der Universität Hamburg und für die ,Öffnung in die Gesellschaft’“, sagt Uni-Präsident Prof. Hauke Heekeren.
Das heißt: Wissenschaftliche Erkenntnisse werden für möglichst viele Menschen zugänglich gemacht. Vorwissen brauche man nicht, die App sei kostenlos und bereits frei verfügbar. „Mit ihr kann man sich interaktiv auf Spurensuche begeben und die viel zu lange unsichtbaren dunklen Kapitel unserer Geschichte endlich sichtbar machen – egal, ob bei einem Spaziergang oder vom Sofa aus“, sagt Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank (Grüne).
Universität Hamburg: App bietet drei Rundgänge zu Kolonialgeschichte
Auf drei thematischen Rundgängen können die Nutzer eine Stadttour der anderen Art erleben und die kolonialen Verbindungen verschiedener Orte in Hamburg kennenlernen – in Form von Texten und Audiobeiträgen an jeder Station.
Beispiel Wirtschaft und Handel: Hier geht es auf einer vier Kilometer langen Tour von der Handelskammer zum Laeiszhof der Firma Ferdinand Laeisz. Der bietet laut App ein „eindrucksvolles Beispiel“ dafür, „welche Karrieren der globale Handel im Hamburg des 19. Jahrhunderts ermöglichte“. Nach Stationen beim Afrikahaus, dem Chilehaus der Familie Sloman, deren Mitglieder seit dem 19. Jahrhundert zu den wichtigsten Kaufleuten und Reedern gehörten, geht es zu den Denkmälern für die Entdecker Kolumbus und Da Gama in der Speicherstadt, zum Museum Godeffroy, in die Stockmeyerstraße, benannt nach Hamburgs „erstem Industriellen“, dessen Reichtum maßgeblich auf seine Verstrickungen im Kolonialismus beruhte, und weiter zum Baakenhafen.
Scharfe Kritik an „Kolonialnostalgie in der HafenCity“
Als zehnte und letzte Station wird die „Kolonialnostalgie in der HafenCity“ thematisiert. Im neuen Stadtteil gebe es viele Bezeichnungen, die „eine romantisierende Wiederbelebung“ von kolonialen Begriffen darstellten – etwa Überseequartier, Stockmeyerstraße, die Magellan- und Marco-Polo-Terrassen oder der Vespucci-Platz. Dieses ziehe „sich konsequent durch die Benennung von Straßen, öffentlichen Plätzen und einzelnen Gebäuden“ in der HafenCity, so der Infotext der App.
Die Kritik an der HafenCity ist scharf: „Hamburg wird als kosmopolitische Metropole inszeniert, deren Kernelemente der Hafen und der damit verbundene Handel ist. Das koloniale Erbe wird hier zur Identitätsstiftung und zum Marketing eingesetzt. Die HafenCity präsentiert die Spuren des europäischen Kolonialismus als geschöntes touristisches Image.“
Ein weiterer Rundgang thematisiert die politische, kulturelle und soziale Dimension von Kolonialismus: Start ist hier am Überseeclub an der Binnenalster, einem Ort, an dem laut App „die lokalen Eliten aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft zusammenkamen, um informelle Absprachen zu treffen und Kontakte zu pflegen – insbesondere angesichts des ,Verlusts´ der deutschen Kolonien“. Weiter geht es zum Rathaus, zur Gefallenengedenktafel in St. Michaelis für Kolonialsoldaten, zum Gottorper Palais Heinrich Carl Schimmelmanns und zum derzeit stark umstrittenen Bismarck-Denkmal im Alten Elbpark, „Deutschlands höchstem Kolonialdenkmal“.
Hamburgs Kolonialgeschichte: „Menschenschauen“ bei Hagenbecks Tierpark
Thematisiert werden auch die „Menschenschauen“ bei Hagenbecks Tierpark, das Chinesenviertel rund um die Schmuckstraße auf St. Pauli, das „Projektionsfläche für rassistische, exotisierende Klischees und zum Ziel rassistischer Politik wurde“, wie es in der App heißt. Schlusspunkt ist der Altonaer Balkon. Altona war bekanntlich von 1664 bis 1864 dänisch und weite Teile des Hafens, über den man vom Altonaer Balkon aus schaut, waren „nach dem Kopenhagens der wohl wichtigste für den dänischen Kolonialismus“.
Auch die Wissenschaft und ihr eigenes Haus sparen die Forscher der Uni Hamburg nicht aus – der dritte Rundgang führt zu Orten von Kolonialismus in Wissenschaft und Forschung. Von der deutschen Seewarte, die im Dienst der praktischen Seefahrt stand, geht es zum Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin, das 1900 gegründet wurde, weil angesichts der kolonialen Globalisierung Reisende zwischen den Kolonien und Europa teils unbekannte Erkrankungen hin- und hertrugen.
Universität Hamburg: Auch Staatsbibliothek als kolonialer Ort
Weitere Stationen sind das Weltwirtschaftsarchiv, das 1908 gegründete Hamburger Kolonialinstitut, das später nach deren Gründung in der Universität Hamburg aufging, und sogar die Staats- und Universitätsbibliothek, deren Verbindung zum Kolonialismus eher überrascht. Sie beherbergt laut der Forscher Objekte wie Manuskripte, die aus den Kolonien nach Hamburg gebracht worden waren. Genannt wird zu den einzelnen Stationen stets auch weiterführende Literatur.
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„Es erfüllt mich mit Stolz und Freunde, dass wir gerade in diesem Jubiläumsjahr, 140 Jahre, nachdem Hamburger Kaufleute den Anstoß zur Kolonialreichsgründung gaben und 115 Jahre nach der Gründung des Hamburgischen Kolonialinstituts, eine App vorlegen können, die unsere Forschungsergebnisse unmittelbar mit den Hamburgerinnen und Hamburgern teilt“, sagt Prof. Jürgen Zimmerer. „Die App zeigt auch, wie eine moderne Geschichtsaufarbeitung aussehen kann und was die Geschichtswissenschaft zu den großen gesellschaftlichen Debatten unserer Zeit beitragen kann – für alle Generationen und mit der Nutzung modernster technischer Möglichkeiten.“