Hamburg. Laut Senat wurden bis März kaum neue Wohnungen genehmigt. Behörde hat Überblick verloren. Was das für die Mieten bedeutet.
Explodierende Materialkosten, fehlendes Personal und steigende Zinsen: Der Wohnungsbau in Hamburg droht in eine große Krise zu geraten. Kürzlich hatte Hamburgs SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf im Abendblatt bereits von einer „Zeitbombe“ für die Gesellschaft gesprochen, denn fehlender Wohnraum führt zu weiter steigenden Mieten – und die Energiekosten waren ja zuletzt sowieso auf Rekordniveau.
Nun hat der Senat Zahlen vorgelegt, nach denen der Wohnungsbau auch in Hamburg zusammenzubrechen droht. In einer Antwort auf eine CDU-Anfrage teilte die Stadtentwicklungsbehörde von Senatorin Karen Pein (SPD) mit, dass im ersten Quartal 2023 gerade einmal 392 neue Wohnungen genehmigt worden seien – bei einem Ziel von mindestens 10.000 Genehmigungen im Jahr eine erschütternd niedrige Zahl. Die Zahl der bewilligten Sozialwohnungen lag mit 259 demnach auch weit unter den Erwartungen.
Mieten Hamburg: Großer Mangel auch an Flüchtlingsunterkünften
„Der Wohnungsbau in Hamburg hat riesige Probleme“, sagte CDU-Stadtentwicklungspolitikerin Anke Frieling, die die Anfrage gestellt hatte. „Explodierende Baukosten, hohe Zinsen, Inflation, immer mehr und höhere Auflagen und die neue Bodenpolitik von SPD und Grünen sorgen dafür, dass der Neubau von Wohnungen in Hamburg faktisch zum Erliegen kommt. Das zeigt sich jetzt auch deutlich in den aktuellen Genehmigungszahlen. Damit liegt das Erreichen des von SPD und Grünen selbst gesteckten Ziels von 10.000 Wohneinheiten für dieses Jahr in weiter Ferne.“
Auch beim Bau von Unterkünften für Geflüchtete sieht es nicht gut, wie die Senatsantwort zeigt. „Fördern & Wohnen wird demzufolge in diesem und im kommenden Jahr 177 Wohnunterkünfte für Geflüchtete und Wohnungslose fertigstellen“, so Frieling. „Bei 6500 Asyl- und Schutzsuchenden allein im ersten Quartal 2023 ist das nicht mal mehr ein Tropfen auf den heißen Stein.“ Eines stehe fest, so Frieling: „Hamburg braucht mehr Wohnungsbau, und das so schnell wie möglich. Dafür müssen die richtigen Anreize gesetzt werden, und vor allem muss dieser Senat auch endlich einmal Hürden abbauen.“
- Wohnungsbau in Hamburg ist in einer sehr, sehr schwierigen Lage – sagt der SPD-Fraktionschef
- Immobilien Hamburg: „Zeitbombe“ Wohnungsmangel: SPD-Promi attackiert Grüne
- Teures Wohnen: Wie Hamburg steigende Mieten bekämpfen will
Auf Abendblatt-Anfrage korrigierte sich die Stadtentwicklungsbehörde am Freitagnachmittag dann plötzlich. Die Zahl in der offiziellen Senatsantwort sei falsch, hieß es nun. In Wahrheit seien im ersten Quartal nicht 329, sondern 1321 neue Wohnungen genehmigt worden, man habe einen Fehler gemacht. Offenbar hatte man in der Behörde also angesichts der schwierigen Lage den Überblick verloren.
Behörde korrigiert sich, aber auch aktualisierte Zahl bleibt Minusrekord
Selbst nach der Korrektur aber bestätigt sich, wie negativ die Entwicklung ist. Denn auch mit der Genehmigung von 1321 Wohnungen in den ersten Monaten des Jahres steht die Stadt nach Behördenangaben so schlecht da wie nie zuvor seit Beginn der Wohnungsbauoffensive 2012. Selbst in den ersten beiden Jahren 2012 und 2013 lagen die Genehmigungszahlen im ersten Quartal immer deutlich über 1700, in den meisten Jahren weit über 2000 und einmal sogar bei mehr als 4400. Auch im Jahr 2021 wurden im ersten Quartal noch 2191 Wohnungen genehmigt.
„Während sich 2022 die Genehmigungstätigkeit trotz der schwierigen Rahmenbedingungen (Folgen der Corona-Pandemie, Baukostensteigerung, wirtschaftliche Eintrübung durch den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine) noch robust zeigte, schlagen diese Entwicklungen nun auch auf die Genehmigungstätigkeit durch“, teilte die Stadtentwicklungsbehörde zu den Ursachen mit.
Wohnungsbau Hamburg: Auch bei den Fertigstellungen dürfte es bergab gehen
Bei der Fertigstellung von Wohnungen muss man wohl ebenfalls von einer negativen Entwicklung ausgehen. Zwar wird die Zahl der 2022 fertiggestellten Wohnungen erst Ende Mai vorgelegt. Schon jetzt aber hat der Senat in seiner Antwort auf die CDU-Anfrage die Zahl der 2022 fertiggestellten Sozialwohnungen mitgeteilt – das waren genau 2430.
Legt man den sogenannten „Drittelmix“ zugrunde, nach dem ein Drittel der Neubauwohnungen Sozialwohnungen seien, so könnte man grob auf eine Gesamtzahl von um die 7300 fertiggestellten Wohnungen im vergangenen Jahr schließen. Das wäre ein weiterer Rückgang gegenüber dem Jahr 2021, als laut Behörde noch 7836 Wohnungen fertig wurden. Schon damit war das Ziel 10.000 neuer Wohnungen deutlich verfehlt worden. 2020 waren noch 11.269 neue Wohnungen bezugsfertig geworden.
Mieten Hamburg: SPD-Fraktionschef warnt vor „tickender sozialer Zeitbombe“
Auch wenn man offiziell an dem Ziel festhält: Offenbar glaubt man auch im Senat nicht mehr an die 10.000 Genehmigungen im laufenden Jahr. „Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen werden das Erreichen der Zielzahl deutlich erschweren“, teilte die Stadtentwicklungsbehörde auf Abendblatt-Anfrage mit. „Alle Beteiligten arbeiten intensiv daran, auch 2023 eine hohe Zahl von Wohneinheiten zu genehmigen.“
Was die Einbrüche beim Wohnungsbau für Mieten bedeuten, liegt auf der Hand: Weil der Wohnraum nicht hinreichend wächst, die Bevölkerung Hamburgs aber weiter leicht zunimmt, dürften die Mieten wieder schneller steigen. „Die Probleme beim Wohnungsbau sind mittlerweile eine tickende soziale Zeitbombe“, hatte SPD-Fraktionschef Kienscherf dem Abendblatt schon im Februar gesagt – und einen Wohnungsgipfel des Bundes gefordert. Zweite Forderung des SPD-Mannes damals: „Wir müssen mit nicht sinnvollen sehr hohen Auflagen zum angeblichen Klimaschutz runter.“
Senatorin hofft auf mehr Sozialwohnungen durch neue Initiative
Der neuen Stadtentwicklungssenatorin Karen Pein ist vor allem der soziale Wohnungsbau wichtig. „Hamburg bleibt eine wachsende Stadt mit steigendem Wohnraumbedarf. Es muss daher jetzt und in Zukunft weiterhin möglichst viel bezahlbarer Wohnraum entstehen“, sagte sie dem Abendblatt. „Deshalb haben wir unsere soziale Wohnraumförderung zu Beginn des Jahres gemeinsam mit den wohnungswirtschaftlichen Partnern im Bündnis für das Wohnen in Hamburg passgenau weiterentwickelt und deutlich erhöht. Wir sind daher zuversichtlich, dass sich die zuletzt schlechten Bewilligungszahlen im geförderten Wohnungsbau wieder erhöhen werden.“