Hamburg. Viele Flüchtlinge aus Drittstaaten suchen in Hamburg eine Perspektive – doch ihr Antrag wird häufig abgelehnt. Wie geht es weiter?
Kurz vor der entscheidenden Sitzung wollen Mohammadamin Fathollahi (22) und Soheil Bahrami (20) noch einmal einen Blick auf den Ort der Entscheidung werfen. Die beiden Iraner stehen am frühen Morgen auf dem Rathausmarkt. „Es ist wirklich ein sehr schönes Rathaus“, sagt Fathollahi auf Englisch. Sein Deutsch ist noch ausbaufähig. „B1“ heißt das in der Fachsprache.
Doch auch ein schönes Haus ist vor unschönen Entscheidungen nicht gefeit. Am vergangenen Donnerstag wurde ein Antrag der Linken, auf den nicht nur Fathollahi und Bahrami große Hoffnungen gesetzt hatten, in der Bürgerschaftssitzung abgelehnt. Die Zuerkennung des Paragrafen 24 des Aufenthaltsgesetzes für die iranischen Geflüchteten aus der Ukraine wurde nicht einmal in den Ausschuss überwiesen. Im Kern heißt das für Drittstaatenflüchtlinge, die dem Ukraine-Krieg entkommen sind, dass sie perspektivisch nicht in Hamburg bleiben dürfen.
Flüchtlinge Hamburg: Drittstaatenflüchtlinge aus dem Iran nur geduldet
„Ich weiß wirklich nicht, wie es weitergehen soll“, sagt Fathollahi, der vor vier Wochen eine Ausreiseverfügung mit einer Ausreisefrist bis zum 30. März bekommen hatte. Sein aktueller Status: Duldung bis zum 29. September. Er hat sich mit Bahrami nur wenige Meter von dem so schönen Rathaus entfernt in einem Starbucks-Café einen Cappuccino bestellt. Die beiden iranischen Medizinstudenten, die im vergangenen Jahr nach der russischen Invasion aus Charkiw in der Ostukraine über die Slowakei, Österreich bis nach Hamburg geflüchtet waren, sind verzweifelt.
„In Charkiw ist nichts mehr übrig, dahin können wir nicht zurück. Aber auch im Iran haben wir keine Zukunft mehr. Women. Life. Freedom“, sagt Fathollahi. Frauen, Leben, Freiheit. Das sind die Schlüsselwörter der iranischen Protestbewegung, die einerseits im Iran für ein besseres Leben sorgen sollen. Und andererseits eine sofortige Rückkehr der beiden Freunde unmöglich macht. „Wir haben so sehr gehofft, dass wir uns eine Zukunft in Hamburg aufbauen können.“
Seit 2020 gibt es keine Abschiebungen mehr in den Iran
Können sie aber nicht. Und das, obwohl Hamburg seit 2020 eigentlich keine Abschiebungen in den Iran mehr durchführt und sich auf der Innenministerkonferenz sogar für einen Abschiebestopp eingesetzt hatte. Vor einem halben Jahr hieß es in einer Antwort des Senats auf eine schriftliche Kleine Anfrage, dass Ausreiseaufforderungen derzeit nicht ausgesprochen würden – und nun das.
Nach Abendblatt-Informationen erlässt das Amt für Migration Hamburg aktuell zahlreiche Ausreiseverfügungen für iranische Staatsangehörige, die zuvor in der Ukraine studiert hatten und von dort nach Hamburg geflohen waren. Fathollahi und Soheil sind nur zwei einer langen Liste, die dem Abendblatt vorliegt. Andere Namen lauten Vahid Kashkooli (hat in der Ukraine im vierten Jahr Medizin studiert), Pouyan Akbari (hat seinen Elektrotechnik-Bachelor bereits abgeschlossen) oder Aynaz Yazdi (hat in der Ukraine promoviert).
Keine Zukunft: 3146 Drittstaatsangehörige aus Ukraine in Hamburg
Derzeit (Stand: 8. März) sind 3146 Drittstaatsangehörige aus der Ukraine in Hamburg registriert. Insgesamt 1048 Personen von ihnen gaben bei der Registrierung an, ein Studium in der Ukraine absolviert zu haben. Zu den konkreten Aussichten der iranischen Studenten teilte die Innenbehörde auf Abendblatt-Anfrage mit: „Der Themenkomplex bezüglich Ausreiseaufforderungen in den Iran befindet sich derzeit in der Überarbeitung. Zu den laufenden Gesprächen können wir keine Auskunft erteilen.“
Konkreter wird Carola Ensslen, die flüchtlingspolitische Sprecherin der Linken, und sie hat eine dezidierte Meinung: „Iraner und Iranerinnen aus der Ukraine zur Ausreise aufzufordern ist zynisch und in gleich mehrfacher Hinsicht großer Unsinn. Sie haben keinen Ort, an den sie ausreisen können – weder in die Ukraine noch in den Iran“, sagt die frühere SPD-Politikerin, die seit 2014 der Fraktion der Linken angehört. „Und abgeschoben werden können sie auch nicht. Daher werden diese überwiegend gut ausgebildeten Iraner und Iranerinnen in Hamburg nur geduldet.“
Flüchtlinge Hamburg: Eingeschränkter Zugang zu Sprachkursen und Arbeitsmarkt
Die Folgen: Fathollahi, Soheil und Co. bekommen nur eingeschränkt Zugang zu Sprachkursen und zum Arbeitsmarkt. „Mit anderen Worten: Sie werden aufs Abstellgleis gestellt und mit viel Aufwand verwaltet – was dann auch noch zusätzlichen Aufwand in der überlasteten Behörde produziert. Durch die Gleichstellung mit ukrainischen Staatsangehörigen könnten diese Menschen sich sinnvoll in Hamburg einbringen“, sagt Ensslen.
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Trotz der Ablehnung des Antrags wollen Fathollahi und Soheil ihre Träume nicht aufgeben. Bayern-München-Fan Fathollahi, der in der Ukraine sogar noch an einer professionellen Fußballkarriere arbeitete, will später mal als Orthopäde oder Sportmediziner arbeiten, Soheil hofft, ein plastischer Chirurg zu werden. „Wir wollen Deutschland auch etwas zurückgeben“, sagt Fathollahi.
Dazu muss Deutschland ihnen aber auch erst eine Chance geben.