Hamburg. F. richtete bei den Zeugen Jehovas ein Blutbad an. Familie befürchtete wohl schon länger eine psychische Erkrankung.

  • Philipp F. erschoss bei den Zeugen Jehovas sieben Menschen und sich selbst.
  • Amokläufer von Hamburg war ehemaliges Mitglied der Zeugen Jehovas
  • Angehöriger befürchtete schon zuvor eine psychische Erkrankung bei Philipp F.

Die Fassungslosigkeit über die Schießerei bei den Zeugen Jehovas, die am Donnerstagabend acht Menschen das Leben gekostet hatte, war in Hamburg auch am Freitag allgegenwärtig. Am Rathaus wurde ein Trauerflor gehisst, während drinnen die Entwicklungen engmaschig verfolgt wurden. Nun kommen immer mehr Details über den Schützen Philipp F. ans Licht, der sich nach seinem Amoklauf selbst richtete.

"Bei Philipp F. handelt es sich um ein ehemaliges Mitglied dieser Gemeinde, der Zeugen Jehovas, welches die Gemeinde vor etwa 1,5 Jahren freiwillig, aber offenbar nicht im Guten verlassen hat", sagt Thomas Radszuweit, Leiter des Staatsschutzes. "Er war offenbar ledig, lebte und arbeitete seit 2014 in Hamburg."

Der "Regionale Beauftragte für die Länder Bremen, Hamburg und Niedersachsen" bei den Zeugen Jehovas ist mit zwei Begleitern am Freitag in die Pressekonferenz ins Polizeipräsidium nach Alsterdorf gekommen. Er behauptet, seine Glaubensgemeinschaft habe Philipp F. nicht ausgeschlossen, der Mann sei freiwillig gegangen.

Ärger über einen Rausschmiss und Zoff mit dem Arbeitgeber, das sind die beiden möglichen Motive, die an diesem Tag in Hamburg die Runde machen. Geklärt ist es nicht. Wenig steht bislang fest zu Motiv und Hintergrund. Sicher ist sich die Hamburger Polizei nur: Opfer und Täter waren nicht verwandt. Das sagt Radszuweit.

Philipp F. tötete bei Amoklauf in Hamburg sieben Menschen

Fest steht dagegen: Philipp F. war Sportschütze im noblen Hanseatic Gun Club in der Hamburger Innenstadt. Die Tatwaffe, eine halbautomatische P30 des Herstellers Heckler & Koch, war seit Dezember 2022 auf ihn registriert. Philipp F. trug eine große Menge Munition bei sich, sowohl bei ihm selbst als auch in einer Tasche vor dem Gebäude wurden diverse Magazine und Schachteln mit Patronen gefunden.

Im Januar hatten die Behörden ein anonymes Schreiben erhalten, in dem gefordert wurde, dass Philipp F. überprüft werden solle. Der gebürtige Bayer könne an einer psychischen Erkrankung leiden, die aber bislang nicht ärztlich diagnostiziert wurde. F. soll einen Hass auf religiöse Anhänger, besonders die Zeugen Jehovas und seinen ehemaligen Arbeitgeber gehabt haben.

Philipp F. wurde von der Polizei kontrolliert

Philipp F. wurde daraufhin Anfang Februar von zwei Beamten der Waffenbehörde unangekündigt kontrolliert, dabei soll er sich kooperativ verhalten haben. Die Überprüfung, die unter anderem die Lagerung der Waffe beinhaltete, ergab demnach keine relevanten Beanstandungen.

"Der Täter ist der Staatsanwaltschaft bisher nicht bekannt. Das einzige, was uns vorliegt, sind Strafanzeigen, die von ihm bei der Staatsanwaltschaft eingereicht wurden, wegen des angeblichen Verdachts des Betruges. Einer dieser Strafanzeigen wird noch nachgegangen", sagt Ralf Peter Anders, Leiter der Staatsanwaltschaft Hamburg.

Philipp F. laut Angehörigem psychisch "sehr angeschlagen"

Doch schon Jahre zuvor hatte es offenbar Hinweise darauf gegeben, dass Philipp F. psychisch krank sein könnte. Der "Südkurier" will mit einem Angehörigen des Amokläufers gesprochen haben. "Ich hatte sofort die Befürchtung, dass er es ist", beschreibt der Mann den Moment, als er von dem Angriff auf die Zeugen Jehovas in Hamburg erfuhr.

Er habe gewusst, dass Philipp F. psychisch "sehr angeschlagen" gewesen sei, vieles habe auf eine Psychose hingedeutet, sagte der Angehörige, der sich nur anonym äußern möchte. Er und die Familie hätten ihn immer wieder darum gebeten, sich Hilfe zu suchen – anscheinend vergeblich.

Philipp F. sei "in kompletten Wahn verfallen"

Dem Bericht zufolge wuchs Philipp F. in einer Familie auf, die zur Gemeinde der Zeugen Jehovas in Kempten gehöre. Er habe ihn als "sehr sensibles Kind" in Erinnerung, wird der Angehörige zitiert.

Seit 2014 lebte Philipp F. in Hamburg. Wie der Verwandte schildert, soll er dort erst 2020 wieder mit den Zeugen Jehovas in Kontakt getreten sein und schloss sich offenbar der Gemeinde an. Doch eineinhalb Jahre später sei er wieder ausgetreten "und dann in kompletten Wahn verfallen", wie der Verwandte sagt.

Besondere Wut auf die Zeugen Jehovas?

Auch die Ermittler der Polizei gehen davon aus, dass F. möglicherweise psychisch krank gewesen sei. Es habe Hinweise darauf gegeben, dass er eine besondere Wut auf religiöse Anhänger, insbesondere gegenüber den Zeugen Jehovas und seinem ehemaligen Arbeitgeber gehegt habe, wie Hamburgs Polizeipräsident Ralf Martin Meyer am Freitag sagte.

Wer also ist der Mann, der im Königreichssaal an der Deelböge um sich geschossen und zahlreiche Menschen und Familien ins Leid gestürzt hat? Sich selbst stellte Philipp F. als erfolgreichen Geschäftsmann dar und verbreitete zugleich krude Thesen: Noch am Tag der Amoktat hatte er sein LinkedIn-Profil mit einem Hinweis auf sein Buch "The Truth about God, Jesus Christ and Satan – A New Reflected View of Epochal Dimensions" aktualisiert.

In dem Buch über "Gott und den Teufel" wollte er das "Geheimnis des 1000-Jährigen Reiches Christi" lüften und damit aufräumen, so heißt es, dass Gott, Jesus Christus und der Teufel nur abstrakte Wesen seien. Sie seien in Wahrheit mächtige Wesen, die wie Menschen handeln würden, manchmal auch impulsiv und aus ihren Gefühlen heraus. Das Buch preist Philipp F. als Standardwerk und Pflichtlektüre für quasi alle und jeden an.

Philipp F. wurde in Memmingen geboren

Geboren wurde Philipp F. im bayrischen Memmingen. Er sei ein aktiver und multikultureller Mensch gewesen, der sich bei schönem Wetter gerne am Wasser aufhielt. Darüber hinaus sei F. glühender Anhänger des englischen Fußballclubs FC Liverpool gewesen. 2007 war er erstmals bei einem Heimspiel der "Reds" an der Anfield Road.

Seine Ausbildung machte er seinem LinkedIn-Profil zufolge von 2009 bis 2011 auf der Fachhochschule Kempten, eine Hochschule für Technik und Wirtschaft. Es folgte offenbar ein Studium an der Hochschule München, wo F. im Bereich "Finance und Controlling" seinen Master of Science gemacht haben will.

Seine berufliche Laufbahn startete F. nach eigenen Angaben bei der Deutschen Bank in Kempten. Nach einem Praktikum bei der Commerzbank und mehreren Beratertätigkeiten im Bereich Finanzen zog es ihn 2014 nach Hamburg. Als Projektmanager Strategie und Finanzen arbeitete der mutmaßliche Todesschütze bei Tchibo. Doch bereits acht Monate später endete seine Laufbahn bei dem Hamburger Kaffeeunternehmen.

Philipp F. arbeitete für prominente Hamburger Unternehmen

Knapp drei Jahre lang war er anschließend beim Energieunternehmen Varo Energy angestellt, ehe er im Oktober 2020 für 17 Monate ein Sabbatical einlegte, um "diverse persönliche Projekte" umzusetzen. Nach seiner Rückkehr ins Berufsleben wechselte Philipp F. zu einem weiteren Hamburger Traditionsunternehmen.

Beim Energieversorger Vattenfall war der mutmaßliche Todesschütze von Alsterdorf aber nur drei Monate (Juni 2022 bis August 2022) beschäftigt. Anschließend machte er sich als Unternehmensberater im September vergangenen Jahres mit einer Firma, die am Ballindamm ein Büro hat, selbstständig.

Am Freitagnachmittag hat sich die Büroflächenvermietung "Satellite Office GmbH" am Ballindamm 27, wo der Täter ein Büro laut seiner Webseite angemietet haben soll, geäußert: Der Vermieter der Räume wollte sich aus "Datenschutzgründen nicht im Detail zu den Vertragsverhältnissen" mit dem Täter von Alsterdorf äußern, bestätigte dem Abendblatt gegenüber aber, dass ein Vertragsverhältnis mit Philipp F. bestand. Allerdings habe Philipp F. kein festes Büro gemietet und sich auch nicht in den Büros in der Innenstadt aufgehalten.

Auf seiner Internetseite verwies F. auf viel Erfahrung im Bereich Finanzberatung. Sein Beraterhonorar bezifferte er mit dem astronomischem Betrag von 250.000 Euro pro Tag, zuzüglich 19 Prozent Mehrwertsteuer. Sein Engagement – so heißt es auf der Internetseite – würde Klienten mindestens 2,5 Millionen Euro einbringen.

An jenem 9. März hat er vor allem eines erbracht. Leid für die Menschen in Hamburg. Polizeilich war Philipp F. nicht bekannt. Die einzigen Strafverfahren, die im Zusammenhang mit ihm bekannt sind, seien Anzeigen wegen Betrugs, die F. selbst gestellt hatte.