Hamburg. Justizsenatorin Anna Gallina und Innensenator Andy Grote wollen weiteichende Konsequenzen. Das betrifft auch das Thema Abschiebung.

Intensivere Begutachtung gewalttätiger Haftinsassen, bessere Behördenabstimmung und mehr Sicherheit in Zügen – mit diesen Maßnahmen reagiert der rot-grüne Senat in Hamburg auf die tödliche Messerattacke in einem Regionalzug von Kiel nach Hamburg.

Dabei soll der 33 Jahre alte Ibrahim A. am 25. Januar zwei junge Menschen getötet und weitere schwer verletzt haben. Er hatte zuvor wegen einer anderen Messerattacke in Hamburg in Untersuchungshaft gesessen und war erst wenige Tage vorher entlassen worden.

Nach Brokstedt: umfassende Fallbewertung bei auffälligen Häftlingen

Ein Psychiater hatte ihn im Laufe eines Jahres 16-mal untersucht und dabei nicht festgestellt, dass von dem Mann eine Gefahr ausging – obwohl er sich einmal mit dem Attentäter vom Berliner Weihnachtsmarkt, Anis Amri, verglichen hatte. Die mögliche Abschiebung des Palästinensers Ibrahim A. war unter anderem daran gescheitert, dass die zuständige Behörde nicht wusste, dass er in Hamburg in Haft saß.

Daraus zieht der Senat nun eine ganze Reihe von Konsequenzen, die Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne) und Innensenator Andy Grote (SPD) am Mittwoch unmittelbar vor der Sitzung des Justizausschusses zu dem Fall (siehe unten) vorstellten. Unter anderem soll es künftig immer dann, wenn Insassen wegen eines Gewaltdelikts in Untersuchungshaft sitzen und dabei psychisch auffällig, aggressiv und/oder drogenabhängig sind, eine gemeinsame „Fallbewertung“ von Justizvollzug, Sicherheitsbehörden, Staatsanwaltschaft, Ausländerbehörde und den zuständigen Sozialbehörden geben.

Besserung Zusammenarbeit zwischen den Behörden

Zweitens sollen sämtliche im Rahmen des Strafvollzugs auftretenden „Hinweise und Wahrnehmungen zu extremistischen Haltungen sowie Gefährdungspotenzialen“ an das Landesamt für Verfassungsschutz und den Staatsschutz bei der Polizei weitergeleitet werden.

Damit reagiert der Senat auf den Umstand, dass die Äußerungen von Ibrahim A. zu Anis Amri zwar von einem JVA-Mitarbeiter als „Wahrnehmung“ dokumentiert wurden, aber – wohl, weil sie nur einmal getätigt wurden – nicht an andere Stellen weitergeleitet wurden. Zudem sollen alle bereits angelegten „Wahrnehmungsbögen“ nun daraufhin überprüft werden, ob sie noch nicht gemeldete extremistische Äußerungen oder Handlungen von Gefangenen enthalten.

Behördenpanne verhinderte Weiterleitung von Informationen

Zu den „Sofortmaßnahmen“ gehört ferner die Überprüfung laufender Haftsachen im Hinblick auf Mitteilungspflichten zu ausländer- und asylrechtlichen Sachverhalten. Das klingt sperrig, betrifft aber einen springenden Punkt dieses Falls: Denn beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) lief wegen vorheriger Straftaten bereits ein Verfahren zur Aberkennung des subsidiären Schutzes, den A. in Deutschland genoss, das auch mit einer Ausweisung hätten enden können, wie Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) erst kürzlich betonte.

Es kam jedoch ins Stocken, weil das Bamf A. nicht mehr auffinden konnte. Dass er in Hamburg in Haft saß, hätte die hiesige Staatsanwaltschaft der Bundesbehörde mitteilen müssen. Nach Aussage von Gallina tat sie das nicht, weil die Ermittler keine Kenntnis vom Flüchtlingsstatus des Mannes hatten. Zusätzlich erschwert wurde der Fall, weil die ausländerrechtliche Zuständigkeit bei der Stadt Kiel lag, wo A. seinen letzten festen Wohnsitz hatte.

Andy Grote will Überwachung in Zügen

Grote sagte, er setze sich für eine Verbesserung der länderübergreifenden Zusammenarbeit bei der Abschiebung ausländischer Straftäter ein. Auch wenn die Ausländerbehörden anderer Bundesländer zuständig seien – wie im Fall Ibrahim A. – müssten Rückführungen aus der Haft „konsequent“ umgesetzt werden. Gallina will zudem künftig dokumentierte „Übergangsgespräche“ für weitere Hilfen nach der Entlassung aus der Untersuchungshaft anbieten und dafür „Übergangscoaches“ beschäftigen.

Mittelfristig will Hamburg zudem etliche weitere Maßnahmen anstoßen, etwa für mehr Sicherheit im Zugverkehr. Unter anderem setze man sich für die „regelhafte Einführung von Videoüberwachung in Zügen des Regional- und Fernverkehrs“ ein, heißt es – so wie es in Bussen und Bahnen im Nahverkehr, etwa im HVV, bereits üblich sei.

Waffenverbote in Zügen und Bahnhöfen könnte kommen

Grote sagte, er denke dabei auch an Systeme, die nicht nur einfach das Geschehen im Zug festhalten, sondern das Verhalten und die Bewegungen der Fahrgäste permanent hinsichtlich möglicher Gefährdungen analysieren, um Zugpersonal und Sicherheitskräfte schnellstmöglich auf eventuelle Gefahrensituationen aufmerksam machen zu können. „Aggressive Körperhaltung, Gruppenbild oder Taumeln“ könnten zum Beispiel Hinweise auf eine Gefährdung sein.

Zudem wolle man die Videoüberwachung an Bahnhöfen und im Umfeld von Bahnhöfen ausweiten, ebenso die Waffenverbote in Zügen und an Bahnhöfen sowie die Möglichkeit für Polizeibeamte in zivil, Züge im ÖPNV, Regional- und Fernverkehr kostenlos zu nutzen. Das alles könne Hamburg aber nicht im Alleingang beschließen, so Grote. Daher werde man sich mit anderen Bundesländern und dem Bund abstimmen.

CDU kritisiert Pläne des Senats und sprach von Ablenkungsmanöver

„Wir stehen alle noch immer unter dem Eindruck dieser furchtbaren Tat in Brokstedt“, sagte Gallina. Daher habe Hamburg die Aufklärung ins Zentrum gestellt und nunmehr „wichtige Maßnahmen bereits identifiziert“. Ob diese, wenn sie schon früher gegriffen hätten, die Tat hätten verhindern können, mochte sie nicht beurteilen. Das sei „spekulativ“. Es müsse nun darum gehen, die Wahrscheinlichkeit solcher Taten möglichst weitgehend zu reduzieren, sagte Grote.

CDU-Fraktionschef Dennis Thering sprach von einem Ablenkungsmanöver: „Insbesondere die Maßnahmen zur Steigerung der Sicherheit in Zügen und an Bahnhöfen sind geradezu grotesk, denn alles davon wird seit Jahren von uns gefordert, wie beispielsweise eine IT-gestützte Videoüberwachung oder eine Ausweitung von Waffenverboten. Es musste leider wieder erst etwas passieren, damit der rot-grüne Senat notwendige Maßnahmen zum Schutz der Menschen aufgreift.“ Angesichts der „Vielzahl von Fehlern, Pannen und Ungereimtheiten“ forderte Thering die Entlassung der Justizsenatorin: „Das ist spätestens jetzt alternativlos.“

Nach Brokstedt: Linke für mehr psychosoziale Betreuung von Gefangenen

Aus Sicht der Fraktionsvorsitzenden der Linkspartei, Cansu Özdemir, gehen die „halbgaren“ Lösungsvorschläge an den Problemen im Justizvollzug vorbei: „Wir benötigen einen deutlichen Ausbau der psychosozialen Betreuung von Gefangenen, insbesondere im Bereich der psychologischen und psychiatrischen Versorgung. Dafür müssen aber auch erst mal die personellen Ressourcen erheblich ausgebaut werden.“

Für die FDP-Abgeordnete Anna von Treuenfels-Frowein ist das Maßnahmenpaket des Senats „ein Eingeständnis des justiz- und sicherheitspolitischen Scheiterns von Rot-Grün“. Alle nun aufgelisteten Maßnahmen „hätten im Falle derart gefährlicher Personen wie Ibrahim A. längst stattfinden müssen“. Stattdessen habe man ihn „achselzuckend auf die Straße gesetzt. Die politische Verantwortung dafür ist und bleibt bei Justizsenatorin Gallina.“