Hamburg/Kiel. Hamburger Staatsrat sagt in Kiel, der Verdächtige habe im Gefängnis ständig provoziert. Behörden-Kommunikation wirft Fragen auf.

Es hatte sich Ärger angestaut zwischen Hamburg und Schleswig-Holstein – das wurde mehrfach deutlich bei der Sitzung des Innen- und Rechtsausschusses im Kieler Landtag, der sich am Mittwoch erneut mit der tödlichen Messerattacke von Brokstedt beschäftigte. Es sei erfreulich, sagte der CDU-Abgeordnete Tim Brockmann süffisant, dass die Hamburger Staatsräte Holger Schatz (Justiz) und Thomas Schuster (Inneres) „jetzt doch“ der Einladung gefolgt seien – die beiden hatten mit Verweis auf Terminüberschneidungen erst abgesagt, ihre Entscheidung jedoch revidiert.

Holger Schatz wiederum erklärte, er müsse „auf eine Facette zu sprechen kommen“, von der er glaube, „dass sie viele aufs falsche Gleis gesetzt“ habe, nämlich die Frage, wie und wann zwischen den Bundesländern kommuniziert worden sei. Es seien Vorwürfe an Hamburg gerichtet worden, dass Informationen nicht angekommen seien. „Es ist überhaupt nicht unser Anliegen, mit dem Finger auf andere zu zeigen“, sagte Schatz. Dennoch müsse er nun einiges „klarstellen“.

Messerattacke Brokstedt: Was Hamburg und Kiel aus der Tat lernen

Es habe im vergangenen Jahr in Richtung der Behörden in Schleswig-Holstein „zehn Meldungen durch Kontaktaufnahmen“ seitens Hamburgs gegeben, erklärte der Justizstaatsrat. Die Kieler Ausländerbehörde sei sowohl vom Hamburger Landeskriminalamt als auch von der Justizvollzugsanstalt Billwerder in Kenntnis über Ibrahim A. gesetzt worden. Schon am 21. Januar 2022, am Tag des Haftbefehls gegen Ibrahim A., habe sich die sogenannte Gemeinsame Ermittlungsgruppe zur Rückführung ausländischer Straftäter (Geras) in einer E-Mail an die Kieler Behörde gewandt und Personalien des Palästinensers sowie Informationen zu dessen Straftaten in Hamburg und Nordrhein-Westfalen übermittelt.

Weil keine Antwort gekommen sei, habe Geras am 10. Februar 2022 nachgefragt; eine dritte E-Mail sei an die Ausländerbehörde und die Zuwanderungsabteilung geschickt worden. Erst am 9. März habe es aus Kiel per Mail erste Nachfragen zu dem Fall gegeben, die Hamburg am 10. März beantwortet habe. Dem E-Mail-Verkehr vom 9. März lasse sich entnehmen, dass „nachrichtlich“ auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) eingebunden worden sei, sagte Schatz. Er deutete allerdings an, dass in zwei Fällen womöglich formale Mitteilungspflichten verletzt wurden.

Die Hamburger Justizbehörde habe das schleswig-holsteinische Justizministerium jetzt zu Gesprächen eingeladen, wie sich die Kommunikation der Behörden im Norden verbessern lasse. Dabei werde sich zeigen, dass die Lektionen auch für andere Bundesländer relevant seien.

Ibrahim A. war erst fünf Tage vor der Tat aus dem Gefängnis gekommen

Ibrahim A. soll am 25. Januar dieses Jahres in einer Regionalbahn von Kiel nach Hamburg eine 17-Jährige und einen 19-Jährigen getötet und weitere Menschen schwer verletzt haben. Der 33-Jährige war erst fünf Tage zuvor in Hamburg aus der Untersuchungshaft entlassen worden, wo er seit Januar 2022 wegen eines anderen Messerangriffs eingesessen hatte.

Zuletzt kam heraus, dass er sich in der Haftanstalt Billwerder mit dem Attentäter Anis Amri, der 2016 in Berlin 13 Menschen getötet hatte, verglichen und seine Tat indirekt angekündigt haben soll. Schleswig-Holstein ist von dem Fall auch betroffen, weil A. dort einig Zeit lang lebte; die dortige Ausländerbehörde ist für seinen Aufenthaltsstatus federführend.

Informationen offenbar nur per E-Mail übermittelt

Tim Brockmann von der CDU zeigte sich verwundert, dass etliche Informationen offenbar nur per E-Mail von Hamburg an Schleswig-Holstein übermittelt wurden. „Es ist definitiv fraglich, inwiefern diese Art der Kommunikation der richtige Weg ist und war“, sagte er. FDP-Ausschussmitglied Bernd Buchholz sagte, es hätten „alle Beteiligten irgendwo einzelne Fehler gemacht“.

Am Ende lasse sich aber nicht sagen, dass die Tat ohne diese Fehler hätte verhindert werden können. Ähnlich äußerte sich der SPD-Abgeordnete Niclas Dürbrook. Zuletzt hätten einige Beteiligte womöglich vorschnell von einem eklatanten Behördenversagen in Hamburg gesprochen. „Es sind an allen Orten kleinere Fehler gemacht worden, die insgesamt ärgerlich sind, die zu Verzögerungen geführt haben, aber die alle für sich keine Erklärung für die Tat sind.“

Kiels Ordnungsdezernent Christian Zierau sagte: „Wir sind noch am Anfang der Aufarbeitung.“ Klar sei, dass gesetzliche Mitteilungspflichten eingehalten werden müssten.

Messerattacke Brokstedt: Ibrahim A. wurde 16-mal von Psychiatern besucht

Hamburgs Justizstaatsrat Holger Schatz sagte, Ibrahim A. sei von Beginn der U-Haft an psychiatrisch betreut, insgesamt 16-mal von Psychiatern besucht worden. Bei den psychiatrischen Auffälligkeiten des Palästinensers habe es sich nicht um solche gehandelt, „die in einem erkennbaren Zusammenhang mit der furchtbaren Tat von Brokstedt stehen“, so Schatz.

„Ibrahim A. war ein furchtbar anstrengender Beschuldigter. Er hat gestört, er hat provoziert, er hat sich nicht an Regeln gehalten.“ Mit Ausnahme des von ihm geäußerten Vergleichs mit Anis Amri, den das Personal der JVA in einem sogenannten Wahrnehmungsbogen festhielt, habe es keine Indizien für einen terroristischen Hintergrund des Mannes gegeben.