Hamburg. Gesellschaft, Klima, Energie: Worin Hamburgs Politiker und Politikerinnen die größten Herausforderungen für 2023 sehen.
Nach drei Krisenjahren geht es für die meisten Spitzenpolitiker und andere Hamburger Prominente vor allem darum, die Stadt und das Land zusammenzuhalten. Das war in vielen Gesprächen auf dem Neujahrsempfang des Hamburger Abendblatts zu hören.
„Die größte Herausforderung für dieses Jahr ist, dass wir uns nach den vergangenen, wirklich schwierigen Jahren darauf besinnen, was Hamburg eigentlich stark macht – nämlich der Zusammenhalt, die Vielfältigkeit und unser Innovationsgeist“, sagte Wirtschaftssenatorin Melanie Leonhard. „Dann haben wir allen Grund zur Zuversicht.“ Nachdem die SPD-Landesvorsitzende kurz vor Jahreswechsel von der Sozial- in die Wirtschaftsbehörde gewechselt war, will sie „Hamburg wieder zu dem prosperierenden, interessanten Standort machen, der er auch vor Corona war“.
Herausforderungen für 2023: Wie halten wir Hamburg zusammen?
Nach Ansicht der Zweiten Bürgermeisterin und Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank (Grüne) bleibt der russische Angriffskrieg auf die Ukraine die „alles überschattende Frage“, auch weil sich daraus diverse Probleme ableiteten: hohe Energiepreise, Inflation, gestörte Lieferketten. „Deshalb wird es auch 2023 die größte Aufgabe sein, auf jeder Ebene daran zu arbeiten, dass dieser Krieg aufhört“, sagte Fegebank. Innenpolitisch müsse es darum gehen, „mit Mut, Optimismus und Tatkraft die Veränderungsprozesse anzupacken“. Politik dürfe „nicht nur Löcher stopfen und Rettungsschirme spannen“, sondern müsse auch bei der großen Frage, wie sich Deutschland als Industrie-, Wirtschafts- und vor allem als Wissensnation entwickelt, „die richtigen Weichen stellen“.
CDU-Bürgerschaftsfraktionschef Dennis Thering sieht die Zukunft Europas, den Krieg in der Ukraine, die Energiekrise und die hohe Inflation als große Herausforderungen des Jahres. „Bundeskanzler Olaf Scholz muss seine zögerliche Haltung in Bezug auf Waffenlieferungen in die Ukraine aufgeben. Deutschland muss jetzt schnellstmöglich den Kampfpanzer Leopard II in die Ukraine liefern – natürlich in Abstimmung mit den Alliierten“, sagte Thering. In Hamburg müsse es unter anderem darum gehen, dass es weiterhin bezahlbaren Wohnraum gibt: „Der faule Kompromiss zwischen Senat und den Volksinitiativen wird dazu führen, dass der Wohnungsbau zum Erliegen kommt.“
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Für den FDP-Landesvorsitzenden und Bundestagsabgeordneten Michael Kruse wird mit seinem 40. Geburtstag ein neues Jahrzehnt anbrechen. Doch auch politisch hofft der FDP-Politiker auf eine Wende: „Wir müssen endlich aus dem Krisenmodus herauskommen und es schaffen, nicht immer nur aus der Not zu handeln.“ Er spüre bei vielen Bürgerinnen und Bürgern aufgrund der Inflation und des Ukrainekriegs eine gewisse Abstiegsangst: „Dieser Angst müssen wir mit neuen Perspektiven und Chancen entgegentreten.“
Auch Niels Annen (SPD), Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, sieht die große Herausforderung darin, „unter diesen schwierigen Bedingungen diese Gesellschaft zusammenzuhalten.“ Es sei wichtig, nicht nur die Ukraine weiterhin zu unterstützen, sondern auch bei den Reformen in Deutschland nicht nachzulassen: „Wir haben angefangen mit dem Mindestlohn, wir reformieren unser Sozialsystem – das ist ganz wichtig, damit diese Gesellschaft nicht auseinanderdriftet. Aber wir haben eine starke Wirtschaft, die Inflation geht langsam wieder runter, und wir müssen alles dafür tun, dass sich diese positiven Trends verstärken.“
Um trotz der Krise eine nachhaltige, saubere Energieversorgung aufzubauen, müssten die Bürger an einem Strang ziehen, sagte Mojib Latif, Klimaforscher und Präsident der Akademie der Wissenschaften in Hamburg. „Ich habe manchmal das Gefühl: Egal, worüber diskutiert wird, es gibt immer eine Gruppe, die sehr lautstark ist und die Dinge bekämpft“, sagte er. „Wir laufen Gefahr, dass unsere Gesellschaft sich spaltet.“ Das „Schreckgespenst“ seien für ihn die USA. „Wir müssen wieder lernen, fair miteinander zu kommunizieren. Wenn wir das nicht tun, sind wir nicht mehr zukunftsfähig.“
Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) plädiert dafür, die Energiekrise auch als Chance zu sehen. Viele Menschen achteten nun mehr darauf, Energie zu sparen. Damit sparten sie nicht nur Geld, sondern leisteten auch einen wichtigen Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel, sagte Kerstan. Zudem sei klarer als je zuvor, wie dringend Deutschland erneuerbare Energien brauche, um weniger abhängig von Gas, Öl und Kohle aus anderen Ländern zu sein. „Da müssen wir mit Hochdruck rangehen“, sagte der Umweltsenator.
„Ich habe die Sorge, dass die Energiekrise den Industriestandort Hamburg bedroht. Wir dürfen nicht den Fehler machen wie Großbritannien in den 1980er- Jahren, als dort einseitig auf die Finanzwirtschaft gesetzt wurde“, sagt Schulsenator Ties Rabe (SPD). Außerdem müsse über die Entwicklung der Arbeitswelt diskutiert werden, die jetzt „im Nirwana zwischen Homeoffice und Arbeitsplatz im Betrieb“ angesiedelt sei. Und der Senator bekannte: „Ich habe große Angst, dass wir in der Ukraine zur Kriegspartei werden und in den Konflikt schlittern.“
Auch Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit (SPD) beschäftigt dieses Thema: „Die große Herausforderung ist die Unterbringung der Geflüchteten aus der Ukraine. Das macht Hamburg bisher ganz hervorragend.“ Das wichtigste Stichwort für die Zukunft sei der Zusammenhalt in der Zivilgesellschaft, so Veit.
Für die CDU-Bundestagsabgeordnete Franziska Hoppermann stehen die Wirtschafts- und die Energiekrise im Vordergrund: „Deutschland muss seine Führungsrolle in Europa stärker wahrnehmen. Auch mit Blick auf die Protestwelle im Iran kann Deutschland mehr machen und zum Beispiel die Revolutionsgarden auf die Sanktionsliste setzen.“
Etwas anders sieht die Prioritätenliste bei der Altonaer Bezirksamtsleiterin Stefanie von Berg (Grüne) aus: „Für mich steht ganz obenauf der Klimaschutz und die Klimapolitik. Dieses Riesenthema ist angesichts des Krieges in der Ukraine und der Folgen in den Hintergrund gerückt.“ Zugleich sei die Unterbringung der Geflüchteten eine große Herausforderung. „Ich spüre vor Ort, dass es jetzt sehr stark um die Pflege des Sozialraums gehen muss und die Bereitschaft der Gesellschaft dabei mitzutun“, sagte von Berg.
Die neue Stadtentwicklungssenatorin Karen Pein (SPD) sieht eine der größten politischen Herausforderungen naturgemäß „darin, trotz der schwierigen Rahmenbedingungen im Wohnungsneubau, den Wohnraumbedarf zu stillen“. Dass auch 2022 die Zielzahl von 10.000 genehmigten Wohnungen wieder erreicht wurde, sei angesichts der Problemlagen „eine riesige Leistung“, so Pein. „Mit der Bauwirtschaft müssen wir nun darüber sprechen, wie aus den Genehmigungen auch Baufertigstellungen werden können.“
Die Bundestagsabgeordnete Emilia Fester (Grüne) beschäftigt noch die Räumung des Ortes Lützerath für den Kohleabbau: „Ich hätte mir einen anderen Ausgang gewünscht. Jetzt gilt es, die Situation vor Ort so friedlich wie möglich zu lösen, ohne die Klimadebatte aus den Augen zu verlieren.“