Hamburg. Rund ein Drittel der Energie wird für Gebäude verbraucht. Höhere Standards, weniger Verbrauch, heißt das Ziel, worum es Streit gibt.
400.000 neue Wohnungen will die Bundesregierung jährlich bauen. So steht es im Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien. Hamburg nimmt sich bereits seit Jahren 10.000 Wohnungen per annum vor, scheiterte an dieser Vorgabe im Jahr 2021 jedoch krachend. Nun drohen, beide Zielmarken verfehlt zu werden – in der Hansestadt erneut, beim Bund das erste Mal. Führen zu hohe Energie-Standards beim Bau zur Wohnungsnot?
Hamburgs SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf hat vor der von der Bundesregierung geplanten Verschärfung der energetischen Standards beim Bau gewarnt. Würden sie umgesetzt, wäre der Bau bezahlbarer Wohnungen praktisch nicht mehr möglich, sagte er. „So wie die Bundesregierung das jetzt gerade angeht, wird es nicht dazu führen, dass wir in den nächsten fünf Jahren eine Entlastung auf dem deutschen Wohnungsmarkt bekommen. Im Gegenteil: Man sorgt für eine weitere Verschärfung der Lage, die zu einer neuen Wohnungsnot führen könnte.“
Die durch gestörte Lieferketten, aufgrund hoher Nachfrage und den russischen Angriffskrieg in der Ukraine drastisch gestiegenen Kosten hätten die Situation bei Bau und Sanierung von Gebäuden ohnehin verschärft. „Das hat erst einmal nichts mit Klimaschutz zu tun“, sagte Kienscherf. „Diese ohnehin sehr schwierige Situation wird jetzt noch einmal dadurch verschärft, dass wir einen neuen energetischen Standard schaffen, der auf dem Papier etwas für den Klimaschutz tut, dies in der Praxis aber nicht bewiesen hat.“
Wohnungsnot wegen Energie-Standards? Spur führt zu Habeck
Das Problem sei, dass Mindeststandards nicht gefördert würden. Derzeit gelte der KfW-70-Standard. So gebaute Häuser verbrauchen 70 Prozent der Energie eines in der Förderrichtlinie der Kreditanstalt für Wiederaufbau festgelegten Referenzwertes. „Wir bauen in Hamburg nach KfW 55. So gelingt es, dass wir eine höhere Energieeffizienz erreichen, der Bau deshalb mit öffentlichen Mitteln gefördert wird und dadurch bezahlbar bleibt“, sagte Kienscherf.
Nun wolle Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) aber den 55er-Standard und ab 2025 den 40er-Standard als Mindeststandard festlegen. „Das heißt, das Bundeswirtschaftsministerium will die Anforderungen um zwei Stufen verschärfen, sodass es ab 2025 keinerlei Förderung mehr gibt.“
Zu diesen Konditionen sei ein frei finanzierter Mietwohnungsbau dann aber nur noch für 18 oder 19 Euro netto/kalt zu realisieren. „Nimmt man dann noch die Betriebskosten mit mindestens drei Euro pro Quadratmeter hinzu, sind wir schnell bei 22 Euro pro Quadratmeter. Das hat mit sozialer Wohnungspolitik wenig zu tun. Deshalb unser Appell in Richtung Bundesebene, die beabsichtigte Verschärfung noch einmal zu hinterfragen.“
Hamburgs SPD-Chef zweifelt an Energie-Standards
Auch führten die neuen Standards zu einer anspruchsvollen technischen Gebäudeausstattung, die wiederum auch langfristig teuer sei, da sie nach Ansicht von Experten nach gut 20 Jahren ausgetauscht werden müsse, sagte Kienscherf. „Auch dass der CO2-Abdruck wirklich geringer ist, wird bezweifelt“
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Das von der Berliner Ampelkoalition selbst gesteckte Ziel, pro Jahr bundesweit den Bau von 400.000 neuen Wohnungen – davon 100 000 Sozialwohnungen – zu ermöglichen, sei mit den neuen Standards nicht zu schaffen, sagte Kienscherf. Wenn die Bundesregierung dennoch daran festhalte, „dann möchte ich mal wissen, zu welchem Preisniveau der überwiegende Teil dieser Wohnungen eigentlich erstellt wird und wer sich das eigentlich noch leisten kann“.
Jeder Euro bei Material und Personal müsse so effizient wie möglich eingesetzt werden, um das Beste für den Klimaschutz zu erreichen. „Deswegen ist es sinnvoll, nicht wenige Wohnungen mit einem hohen Aufwand energetisch zu sanieren, sondern vor allem viele Wohnungen mit einer sehr schlechten Energiebilanz zu verbessern.“ Zudem müsse der Fokus nicht auf einzelnen Gebäuden liegen. Stattdessen müssten – wenn möglich – ganze Quartiere in den Blick genommen werden.
Finden Vorwürfe an Energie-Standards eine Mehrheit?
Diese Vorwürfe sind nicht neu. Kienscherf hofft nun aber auf Unterstützung aus den SPD-Fraktionen in den anderen Bundesländern und der Bundestagsfraktion. „Wir sind dazu weiter im Dialog und werben für unsere Position.“
Auch beim eigenen grünen Koalitionspartner habe er schon „eine gewisse Offenheit gespürt, über das Thema zu sprechen“, sagte er. Bei Umweltsenator Jens Kerstan „scheint das Problembewusstsein für die Lage am Wohnungsmarkt aktuell noch nicht so stark ausgeprägt, wie es erforderlich wäre“. Der hatte vor Kurzem im Abendblatt-Interview mangelnde Fortschritte bei der energetischen Gebäudesanierung angeprangert und die rasche Umsetzung der Standards gefordert.