Hamburg . Politik und “Bündnis für das Wohnen“ suchen nach Gründen für den deutlichen Rückgang. Opposition übt harsche Kritik.
Ratlosigkeit. Das Wort trifft wohl am ehesten auf die Szene zu, die sich am Montagmittag in der Stadtentwicklungsbehörde in Wilhelmsburg abspielte. Im Foyer standen die Staatsrätin Monika Thomas, und gleich fünf Vertreterinnen und Vertreter aus dem „Bündnis für das Wohnen“ und suchten nach Erklärungen. Doch sie fanden keine. „Ich weiß es auch nicht“, sagte ein Vertreter der Wohnungswirtschaft.
Was war passiert? Drei Stunden zuvor hatte das Statistikamt Nord mitgeteilt, dass der Neubau von Wohnungen in Hamburg im vergangenen Jahr massiv eingebrochen ist. Nur noch 7461 neue Wohnungen wurden fertiggestellt – knapp 4000 oder ein Drittel weniger als im Vorjahr, als noch der Rekordwert von 11.269 bezugsfertigen Wohnungen vermeldet worden war.
Wohnung Hamburg: Senat verfehlt selbst gestecktes Ziel krachend
Aus politischer Sicht noch gravierender: Der rot-grüne Senat hat sein selbst gestecktes Ziel, jedes Jahr mindestens 10.000 Wohnungen zu errichten, um Mietenanstieg und Wohnungsmangel entgegenzuwirken, krachend verfehlt. 7461 Wohnungen – so wenige waren zuletzt 2014 fertig geworden, als das vom damaligen Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) initiierte Bündnis für das Wohnen erst so richtig an Schwung gewann.
Die Frage, die im Raum stand, war also: Woran hat’s gelegen? Doch Staatsrätin Thomas, die die erkrankte Senatorin Dorothee Stapelfeldt (SPD) vertrat, wich der Ursachenforschung zunächst aus, indem sie die Zahl des Tages einfach uminterpretierte: Sie sei froh, dass sie im Namen ihrer Chefin „gute Nachrichten“ verkünden könne: Es seien nämlich wieder einmal „sehr viele“ Wohnungen gebaut worden, so Thomas. 7500 neue Einheiten – das sei angesichts der „durchaus schwierigen Rahmenbedingungen“ doch „ein gutes Ergebnis“. Auf Nachfrage nannte sie den Rückgang eine „Delle“.
Woran liegt der drastische Rückgang – außer an Corona?
Die Mitstreiter im Bündnis für das Wohnen sahen das etwas kritischer, bemühten sich aber, das nicht allzu deutlich werden zu lassen. „Die Zahlen sind dramatisch, kommen aber nicht überraschend“, wurde Andreas Breitner, Chef des Verbands norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW), in einer Pressemitteilung zitiert, die schon zu Beginn der Veranstaltung auslag. Mündlich drückte er sich etwas zurückhaltender aus: „Wir sind ein bisschen überrascht über die Deutlichkeit des Rückgangs.“ Aktuell sei die Stimmung am Bau zwar schlecht, aber das sage ja nichts darüber aus, wie sie 2021 war.
Eine schlüssige Antwort auf die Frage nach dem Rückgang gebe es nicht, aber „mit Sicherheit“ habe es auch an Corona gelegen, so Breitner: Pandemiebedingt seien viele Baustellen nicht reibungslos gelaufen. Auch Verena Herfort vom Bundesverband Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen (BfW) räumte eine gewisse Ratlosigkeit ein: Einen Rückgang der Wohnungsbauzahlen habe man ja erwartet, aber „nicht in diesem Ausmaß“.
Saga baute mehr Wohnungen – gegen den Trend
Und Thomas Krebs, Vorstandschef der städtischen Saga, zeigte sich überrascht, wie sehr sein Unternehmen gegen den Trend performt hat: Die Saga habe ihre Fertigstellungszahlen von 884 im Jahr 2020 auf 1054 im Jahr 2021 gesteigert. Bemerkenswert: Auch BfW-Chefin Herforth berichtete, dass die freien Wohnungsunternehmen sich in Hamburg um 8,8 Prozent auf 3700 fertiggestellte Wohnungen gesteigert hätten, und Andreas Breitner musste immerhin nur einen moderaten Rückgang vermelden: Für 2243 Wohnungen seien die Schlüssel übergeben worden, gut 200 oder zehn Prozent weniger als 2020. Das könne also nicht den großen stadtweiten Rückgang erklären, so der VNW-Chef.
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An wem oder was hat es dann gelegen, dass so viel weniger Wohnungen fertig wurden? Klar, Schlagworte wie steigende Preise für Grundstücke, Material und Energie, dazu Lieferengpässe und die Pandemie wurden immer wieder genannt – auch von Stadtentwicklungssenatorin Stapelfeldt, die sich später per Pressemitteilung zu Wort meldete.
Ukraine-Krieg "verhagelt die Stimmung und das Investitionsklima"
Doch die Saga, die Genossenschaften und die BfW-Unternehmen haben ja trotzdem ihre Ziele mehr oder weniger erreicht. Möglicherweise hätten kleinere Firmen mehr mit diesen Problemen zu kämpfen gehabt als große, mutmaßte Saga-Chef Krebs. Jetzt kämen auch noch der russische Angriff auf die Ukraine und steigende Zinsen hinzu, so Breitner: „Das verhagelt die Stimmung und das Investitionsklima. Wir werden noch öfter hier stehen und erklären müssen, warum die Fertigstellungszahlen nicht ganz so sind, wie wir uns das vorgestellt haben.“
Anke Frieling, Stadtentwicklungsexpertin der CDU-Fraktion, sparte nicht mit Kritik: „Besonders erschreckend: Der Senat hat keine schlüssige Begründung für die Verfehlung der selbst gesteckten Ziele. Corona kann nicht für alles herhalten, und 2021 gab es auch noch keinen Ukraine-Krieg.“ Heike Sudmann, die wohnungspolitische Sprecherin der Links-Fraktion, kritisierte: „Es ist ein Desaster – die Politik des Senats ist auf ganzer Linie gescheitert. Die dringend benötigten Sozialwohnungen machen gerade mal ein Fünftel der Neubauten im vergangenen Jahr aus.“ Die Saga und andere öffentliche Unternehmen müssten mehr günstige Wohnungen bauen.
Wie das Statistikamt mitteilte, waren unter den 7461 neuen Einheiten 1334 Eigentumswohnungen (Vorjahr: 2623). Es entstanden 566.740 Quadratmeter neue Wohnfläche – 34 Prozent weniger als im Vorjahr. Die durchschnittliche Größe der neuen Wohnungen sei mit 76 Quadratmetern unverändert geblieben. Mit 6966 Einheiten sei die Masse in Neubauten entstanden und nur 495 Wohnungen in bestehenden Gebäuden. Gut 85 Prozent der Wohnungen sind den Angaben zufolge im Geschosswohnungsbau errichtet worden. Immerhin 1000 Wohnungen (14,4 Prozent) befanden sich in Ein- und Zweifamilienhäusern.