Hamburg. Streit zwischen Michael Kruse und JuLis eskaliert – der Nachwuchs bekommt Unterstützung von FDP-Grandseigneur Gerhart Baum.
Der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum ist ein streitbarer Freidemokrat und leidenschaftlicher Rechtsstaatspolitiker, der auch mit seiner eigenen Partei bisweilen hart ins Gericht geht. Der Rechtsanwalt – mittlerweile in seinem 90. Lebensjahr stehend und eine Art sozialliberales Gewissen seiner Partei – nimmt nicht nur an politischen Debatten weiter teil, sondern ist auch beruflich nach wie vor aktiv.
Jetzt blickt der in Köln lebende Jurist auf den Hamburger Sprengel der FDP: Die Kanzlei baum reiter & collegen hat ein brisantes Mandat an Elbe und Alster übernommen. Baum vertritt die vier Jungen Liberalen, gegen die der FDP-Landesvorstand in einer kurzfristig einberufenen außerordentlichen Sitzung am Donnerstagabend ein Schiedsgerichtsverfahren mit dem Ziel des Parteiausschlusses eingeleitet hat.
FDP Hamburg: Konflikt begann mit Kruse
Die Geschichte der Hamburger FDP ist reich an innerparteilichen Verwerfungen, persönlichen Zerwürfnissen und spektakulären Showdowns. Und doch dürfte es für das Ausmaß an Zuspitzung und Eskalation eines im Grunde zweitrangigen politischen Konflikts innerhalb weniger Tage kaum ein Beispiel in der Chronik der Elbliberalen geben.
Angefangen hatte alles mit der Ankündigung des Bundestagsabgeordneten und FDP-Landesvorsitzenden Michael Kruse, persönlich gegen die von Senat und Bürgerschaft beschlossene Hotspot-Regelung klagen zu wollen, mit der zahlreiche Corona-Schutzmaßnahmen bis Ende April in Kraft bleiben. Kruse sieht das Vorgehen von Rot-Grün nicht gedeckt durch die Kriterien, die das von SPD, Grünen und FDP beschlossene Bundesinfektionsschutzgesetz für eine solche Regelung vorgibt.
FDP Hamburg: Coste vs. Kruse
Carl Cevin-Kay Coste, rechtspolitischer Sprecher der Landespartei und bis vor Kurzem Vorsitzender der Jungen Liberalen (JuLis), bezeichnete den Vorstoß als „eine PR-Aktion und einer Rechtsstaatspartei unwürdig“. Das war harter Tobak, keine Frage. Außerdem fragte Coste, ob Kruse eigentlich auch im Namen der Partei handeln wolle, schließlich hatte er die Partei bis dahin nicht einbezogen.
Kruse soll daraufhin die frisch gewählte JuLi-Landesvorsitzende Theresa Bardenhewer gedrängt haben, sich von Coste zu distanzieren, und die Jugendorganisation zumindest indirekt aufgefordert haben, Coste als Mitglied der JuLis im FDP-Landesvorstand abzuberufen. Dazu war der JuLi-Vorstand nicht bereit, woraufhin die FDP-Spitze ihrerseits in einer Sitzung am Montag dieser Woche Coste den Posten des rechtspolitischen Sprechers entzog. Bei der Gelegenheit ließ sich Kruse auch die Unterstützung des Landesvorstands für seine geplante Klage zusichern.
JuLis werfen Kruse "Machtmissbrauch" vor
Für die nächste Eskalationsstufe sorgte wiederum der FDP-Nachwuchs. „Nachdem Herr Kruse in der letzten Woche massiven Druck auf unsere Landesvorsitzende ausgeübt hat, hat er sich jetzt dazu entschieden, eine politische Säuberung im Landesvorstand vorzunehmen. Hier sollen junge Menschen bewusst mundtot gemacht werden“, sagte JuLi-Landesvize Nils Knoben.
Es solle eine „inhaltliche Gleichschaltung“ der Partei nach der Vorstellung des Parteivorsitzenden erfolgen. Klare Kante zeigte auch JuLi-Landeschefin Bardenhewer: „Politische Erpressung darf kein Mittel der innerparteilichen Kommunikation sein. Gerade als junge liberale Feministin kann ich mir einen solchen Machtmissbrauch nicht gefallen lassen.“
Knoben entschuldigte sich für Wortwahl
Knoben hat Mitte der Woche in einer E-Mail an das FDP-Präsidium um Entschuldigung dafür gebeten, dass er die historisch belasteten Begriffe „politische Säuberung“ und „inhaltliche Gleichschaltung“ verwendet habe, und betont, dass er keinen Vergleich zwischen Kruses Verhalten und dem Vorgehen totalitärer Regime ziehen wollte.
Dies wäre der Augenblick gewesen, indem der Landesvorsitzende nach einer ernsten Ermahnung des aufmüpfigen Nachwuchses den Konflikt auf eine sachliche Ebene hätte zurückführen können. Doch für Kruse war der Rubikon des Ausmaßes innerparteilich zulässiger Kritik offensichtlich längst überschritten.
Es folgte am Donnerstagmorgen die Einladung zur außerordentlichen Vorstandssitzung für 19 Uhr desselben Tages. Kruse hatte sich allerdings nun aus dem Verfahren zurückgezogen und seinem Stellvertreter Andreas Mohring die Regie überlassen.
Kruse und Coste enthielten sich bei Abstimmung
Tagesordnungspunkt eins: „Einleitung eines Schiedsgerichtsverfahrens gemäß § 6 Absatz 2 Satz 1 der Bundessatzung in Verbindung mit § 11 Ziffer 2 Buchstabe b der Schiedsgerichtsordnung unserer Partei (Antrag auf Ausschluss) gegen folgende Mitglieder: Bardenhewer, Theresa, Coste, Carl Cevin-Kay, Knoben, Nils, Teichmann, Gloria“. Teichmann findet sich auf der Liste wohl vor allem, weil sie als Sprecherin die kritischen Pressemitteilungen der JuLis verschickt hatte ...
Die einschlägige Passage der FDP-Bundessatzung, auf den sich die Parteispitze bezieht, lautet: „Ein Mitglied kann nur dann ausgeschlossen werden, wenn es vorsätzlich gegen die Satzung oder erheblich gegen die Grundsätze oder die Ordnung der Partei verstößt und ihr damit schweren Schaden zufügt.“ Der Landesvorstand folgte dem Antrag auf Einleitung eines Schiedsgerichtsverfahrens nach Informationen des Abendblatts mit der deutlichen Mehrheit von 15 zu zwei Stimmen. Kruse und Coste enthielten sich aufgrund von Befangenheit.
Mit der gleichen deutlichen Mehrheit beschloss der Landesvorstand auch den zweiten Antrag, der den vier JuLis die Ausübung ihrer Rechte als Mitglied bis zur Entscheidung des Schiedsgerichts verwehrt. Die Querelen haben auch den Landesvorstand der JuLis erfasst. Fünf Mitglieder hatten Bardenhewer, Coste, Knoben und Teichmann am Mittwoch mit Fristsetzung aufgefordert, von ihren Ämtern zurückzutreten. Als dies nicht geschah, traten die Fünf ihrerseits von ihren Posten zurück.
FDP-Mann Jarchow erschüttert über Streitkultur
Kruse äußert sich wie in den Tagen zuvor zu den Vorgängen nicht – andere Unterstützer auch nicht. „Ich bin erschüttert über die Streitkultur in der FDP und darüber, was ein Grund sein soll, ein Ausschlussverfahren zu initiieren“, sagte Carl Jarchow, Vorsitzender des FDP-Bezirks Altona, der gegen die Anträge gestimmt hatte.
Vor ein paar Jahren noch hätte die Auseinandersetzung zwischen der Parteispitze und den JuLis zu den harmloseren Varianten des innerparteilichen Zwists gehört. Ende August 2014 zum Beispiel warf die damalige Landesvorsitzende Sylvia Canel die Brocken hin und trat zugleich aus der FDP aus. Mit anderen prominenten Liberalen wie dem ehemaligen Zweiten Bürgermeister Dieter Biallas gründete Canel sogar eine eigene Partei: die Neuen Liberalen, von denen aber heute niemand mehr spricht.
Zwar begründete Canel, die von 2009 bis 2013 im Bundestag saß, ihren Trennschritt mit Kritik an Parteichef Christian Lindner. Zugleich bestand aber zwischen ihr und Katja Suding, der erfolgreichen liberalen Spitzenkandidatin bei den Bürgerschaftswahlen 2011 und 2015, eine jahrelang gepflegte Intimfeindschaft, die die Partei lähmte. Nach dem Abgang Canels und weiterer Liberaler gelang es Suding als Parteichefin, die zu erratischen und schnell ins Persönliche gehenden Ausschlägen neigende Elb-FDP relativ weitgehend zu stabilisieren.
FDP Hamburg: Zeiten werden unruhiger
Spätestens seit die Liberalen bei der Bürgerschaftswahl Anfang 2020 die Fünf-Prozent-Hürde knapp verpassten – nur die direkt gewählte Spitzenkandidatin Anna von Treuenfels-Frowein zog ins Parlament ein –, werden die Zeiten wieder unruhiger. Hinzu kommt, dass Suding ihre persönliche „Reißleine“ gezogen und sich komplett aus der Politik verabschiedet hat. Als neuer starker Mann setzte sich Michael Kruse durch – als Landesvorsitzender und Hamburger Spitzenkandidat bei der Bundestagswahl im September 2021.
Eigentlich wäre es jetzt Kruses Aufgabe, integrativ in die Partei hineinzuwirken und den Laden zusammenzuhalten. Stattdessen zeichnet sich ab, dass die FDP in alte Muster parteiinterner Selbstbeschäftigung mit zersetzendem Charakter verfällt.
Parteigrande Gerhart Baum hat sich schnell auf sein neues Mandat eingestellt. „Meinungsverschiedenheiten und Ausübungen von Meinungsfreiheit innerhalb einer Partei sind keine Ausschlussgründe, wie die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte gezeigt haben“, sagte Baum am Donnerstag. „Es schadet der FDP, wenn sie mit dem Schwert des Ausschlussverfahrens reagiert, statt sich diesen Auseinandersetzungen zu stellen.“ Darüber hinaus sei es „ganz abwegig“, den vier Mitgliedern mit sofortiger Wirkung die Mitgliedsrechte zu nehmen.
FDP Hamburg: Auslöser für Streit ist hinfällig
Wenig erfreut dürften die Liberalen in Schleswig-Holstein, wo am 8. Mai ein neuer Landtag gewählt wird, über ihre Hamburger Parteifreunde sein. Gerade im wahlentscheidenden Umland dürften die Querelen der Elb-FDP aufmerksam registriert werden.
Der Auslöser für den Streit – die Klage gegen die Hotspot-Regelung – ist übrigens hinfällig. Am Donnerstag erklärte Kruse, auf den Gang vors Verwaltungsgericht vorerst zu verzichten ...