Hamburg. Drei Parlamentarier von CDU, SPD und Grünen wollen ein deutliches Signal setzen. Ihr Antrag liegt dem Abendblatt exklusiv vor.

Auch 76 Jahre nach dem Ende der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft ist Antisemitismus nicht verschwunden. Im Gegenteil: Die Zahl antisemitischer Straftaten hat im vergangenen Jahr mit 2351 bundesweit einen neuen Höchststand erreicht.

Die rechtsextremistischen Anschläge von Hanau und Halle markieren eine neue Eskalationsstufe antisemitischer und fremdenfeindlicher Gewalt. In Hamburg wurde ein jüdischer Student im Oktober 2020 auf dem Weg zur Synagoge von einem 29-Jährigen mit einem Klappspaten angegriffen und schwer verletzt.

Hamburgs Kampf gegen Antisemitismus: Neues Staatsziel?

Für drei Bürgerschaftsabgeordnete ist die negative Tendenz Grund genug, um die Verpflichtung zum Kampf gegen Extremismus und Antisemitismus endlich dort zu verankern, wo sie bislang nicht vorkommt: in der Hamburgischen Verfassung.

Ungewöhnlich ist die Initiative deshalb, weil die drei Parlamentarier unterschiedlichen Fraktionen angehören: der frühere CDU-Fraktionschef André Trepoll aufseiten der Opposition, der Haushaltsausschuss-Vorsitzende Mathias Petersen (SPD) sowie Ex-Bürgerschaftsvizepräsident Farid Müller (Grüne) aus dem rot-grünen Regierungslager – langjährige und erfahrene Parlamentarier alle drei.

Klares Bekenntnis zur Bekämpfung von Nationalsozialismus

„Um ein deutliches Signal zu setzen, fordern wir die Hamburgische Bürgerschaft auf, ein klares Bekenntnis zur Bekämpfung des Nationalsozialismus, Antisemitismus und Extremismus als Staatsziel in die Verfassung aufzunehmen“, sagte Initiator Trepoll. „In einer Zeit der immer stärkeren Polarisierung der Gesellschaft bis hin zu extremistischen Bestrebungen aller Richtungen ist ein klares Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung in Abwehr aller extremistischen Bestrebungen gleich welcher Richtung oder Motivation, insbesondere der Verherrlichung und Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts, dringend geboten“, heißt es in dem Antrag der drei Abgeordneten, der dem Abendblatt exklusiv vorliegt.

Bürgerschaftsvizepräsident André Trepoll (CDU) hat die Initiative gestartet.
Bürgerschaftsvizepräsident André Trepoll (CDU) hat die Initiative gestartet. © Hamburger Abendblatt | Roland Magunia

Trepoll, Petersen und Müller schlagen vor, als achten Satz der Präambel der Verfassung folgende Formulierung aufzunehmen: „Es ist die Pflicht aller staatlichen Gewalt, der Erneuerung und Verbreitung faschistischen Gedankenguts, der Verherrlichung oder Verklärung des nationalsozialistischen Herrschaftssystems sowie antisemitischen und extremistischen Bestrebungen gleich welcher Art und Motivation entgegenzuwirken und die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Freien und Hansestadt Hamburg zu bewahren.“

Hamburger Verfassung zuletzt 2020 geändert

In der Präambel gibt sich Hamburg als Welthafenstadt die häufiger zitierte Aufgabe, „im Geiste des Friedens eine Mittlerin zwischen allen Erdteilen und Völkern der Welt zu sein“. Es folgt ein Bekenntnis zur Freiheit des Wettbewerbs, zur „genossenschaftlichen Selbsthilfe“, zum besonderen Schutz der Arbeitskraft sowie zur „politischen, sozialen und wirtschaftlichen Gleichberechtigung“.

Im November 2020 wurde die Verfassung zuletzt mit Blick auf den Klimawandel geändert. „Die natürlichen Lebensgrundlagen stehen unter dem besonderen Schutz des Staates. Insbesondere nimmt die Freie und Hansestadt Hamburg ihre Verantwortung für die Begrenzung der Erderwärmung wahr“, heißt es jetzt in der Präambel. Ein Hinweis auf den Kampf gegen den Extremismus fehlt hingegen.

„Stoppsignal" für Terror und antisemitischem Gedankengut

„Dem Wiedererstarken von rechtsradikalem und antisemitischem Gedankengut und Terror soll mit einer Ergänzung der Verfassung ein deutliches Stoppsignal entgegengesetzt werden“, sagt Farid Müller. „Dass dieser Aufschlag von CDU-, SPD- und Grünen-Abgeordneten gleichermaßen erfolgt, stimmt mich optimistisch, dass wir gemeinsam eine Verfassungsdebatte mit dem Ziel einer breit getragenen Ergänzung führen“, sagt der Verfassungspolitiker.

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„Die Vergangenheit hat oft gezeigt, dass extremistische Bestrebungen unsere Demokratie und Freiheit schnell vergiften könnten. Die Gegenwart zeigt, dass Verbreitung von antijüdischen, rassistischen oder nationalsozialistischen Thesen immer häufiger wird“, sagt ­Mathias Petersen.

„Es sind Angriffe auf uns alle“

„Antisemitismus und extremistische Angriffe richten sich nicht nur gegen Juden oder ausländische Mitbürger, sondern ebenso gegen unsere freie Gesellschaft. Mit anderen Worten: Es sind Angriffe auf uns alle“, betont Trepoll. Es sei Aufgabe und historische Verantwortung aller, „gegen Hass, Intoleranz und Diskriminierung aufzustehen, unsere Freiheit und Demokratie zu verteidigen und den Terror zu bekämpfen“.

Die drei Abgeordneten haben ein weiteres Anliegen: Artikel 73 der Verfassung soll ergänzt werden. „Der ehrenamtliche Einsatz für das Gemeinwohl genießt den Schutz und die Förderung des Staates“, lautet der Vorschlag.

Hamburg soll ehrenamtlichen Einsatz fördern

„Ehrenamtliche, die sich für die Gesellschaft einsetzen, indem sie mit Pflegeheimbewohnern spazieren gehen, Kinder im Sportverein trainieren oder sich im Umweltschutz engagieren, sind der solidarische Kitt der Gesellschaft“, sagt Petersen. „Bürgerschaftliches Engagement ist von herausragender Bedeutung für Staat und Gesellschaft und trägt zur nachhaltigen Stärkung der Demokratie bei“, so Trepoll.