Hamburg. Kurz vor der Wahl sind zwischen den Hamburger Koalitionspartnern Gräben weiter aufgerissen. Im Zentrum: der Umweltsenator.

Spätestens seit Anfang dieser Woche ist das rot-grüne Wahlkampfspiel aus den Fugen geraten. Die Regierungspartner sind auf Kollisionskurs, und es drohen ernste Risiken und Nebenwirkungen für die Zeit nach der Bürgerschaftswahl. Lange haben beide Koalitionsparteien vom Duell zwischen dem Ersten Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) und seiner Herausforderin, der Zweiten Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne), profitiert.

In den Umfragen legten die Sozialdemokraten zuletzt Woche um Woche zu, ohne dass die Grünen nennenswert verloren. CDU, FDP und Linke hatten Schwierigkeiten, mit ihren Themen und Positionen durchzudringen.

Im Zentrum des aktuellen Klimasturzes steht einmal mehr sein Name: Jens Kerstan, Grüner und Umweltsenator. Es wäre falsch, dem Bergedorfer allein die Schuld an der gewaltigen rot-grünen Verstimmung zu geben, die Lage ist komplexer. Aber Kerstan kann wie kein anderer Grüner das politische Raubein geben, sich in Rage reden und kräftig gegen Freund und Feind austeilen, wenn es ihm nötig erscheint.

Wegen Cum-Ex: Krach zwischen Rot-Grün vorprogrammiert?

Am Dienstagmorgen war es wieder soweit. Zwischen SPD und Grünen hatte sich einiges angestaut wegen der Berichterstattung über die Cum-Ex-Geschäfte der Warburg-Bank, den angeblichen Verzicht der Stadt auf eine Rückforderung gegen die Bank in Höhe von 47 Millionen Euro und ein – vom Senat zunächst bestrittenes und später eingeräumtes – Gespräch zwischen dem damaligen Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) und Warburg-Inhaber Christian Olearius.

Wissenswertes über die Warburg Bank:

  • Die M.M. Warburg & Co ist eine unabhängige Hamburger Privatbank, die in Deutschland und der Schweiz vertreten ist
  • Sie wurde bereits im Jahr 1798 gegründet
  • Das Bankhaus ist familiengeführt und mittelständisch geprägt
  • Die Warburg Bank steht derzeit unter Druck wegen des Verdachts auf Steuerhinterziehung bei umstrittenen Aktientransaktionen
  • Durch Cum-Ex-Geschäfte soll sich die Bank 47 Millionen Euro aus dem Staatshaushalt verschafft haben

Sozialdemokraten im Clinch mit Umweltsenator Kerstan

Kerstan, als Abgeord­neter früher Finanzexperte seiner Fraktion, übernahm in der Senatsvorbesprechung auf grüner Seite die Gesprächsführung. Ruhig, aber sehr ernst und eindringlich, so schildern es Teilnehmer der Runde, habe Kerstan die aus grüner Sicht wichtigsten Fragen gestellt und Aufklärung verlangt. „Es hat zu keinem Zeitpunkt eine politische Einflussnahme auf die Steuerverwaltung gegeben“, soll Tschentscher, der sich im Übrigen auf das Steuergeheimnis berief, ebenso ruhig geantwortet haben.

Ein Gespräch zwischen ihm als dem damaligen Finanzsenator und Olearius, so Tschentscher, habe es nicht gegeben. Da der Bürgermeister immer viel Wert auf eine exakte Wortwahl lege, so soll Kerstan nachgesetzt haben, frage er, ob es, wenn schon keine politische, so vielleicht eine Einflussnahme anderer Art gegeben habe. „Wollt ihr damit sagen, der Bürgermeister sei korrupt?“, soll ein SPD-Senator zurückgegeben haben. Nein, er stelle nur Fragen, wich Kerstan daraufhin zurück.

Es ist ein Vertrauensschaden bei Rot-Grün entstanden

Und doch: Das war der Moment, als die Stimmung eisig war. Die Grünen hatten Angst, in einen möglichen Skandal hineingezogen zu werden. Und die Sozialdemokraten argwöhnten, die Grünen wollten plötzlich das Geschäft der Opposition besorgen. „Die glauben uns nicht“, mögen die Sozialdemokraten gedacht haben. „Die sagen uns nicht die Wahrheit“, lautete wohl der Vorwurf auf grüner Seite.

An diesem Dienstag ist ein Vertrauensschaden zwischen SPD und Grünen entstanden, dessen Folgen noch unabsehbar sind. Das Verhältnis zwischen SPD und Grünen im Senat war seit 2015 vermutlich nie distanzierter als in dieser letzten Woche vor der Wahl.

Tiefe Gräben zwischen Rot-Grün

Es gelang SPD und Grünen gerade noch zu vereinbaren, dass die Finanzbehörde prüfen soll, unter welchen Voraussetzungen die Aufhebung des Steuergeheimnisses im Fall der Warburg-Bank möglich ist. Die Grünen halten daran fest, die Sache in einer Sondersitzung des Haushaltsausschusses zu erörtern – nun eben nach der Bürgerschaftswahl. Ausgestanden ist das Thema also nicht.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Stimmung eigentlich schon vorher im Keller war. Anlass war ein Frontalangriff von Kerstan auf Tschentscher, den der Umweltsenator am Wochenende auf Facebook veröffentlichte. Es ging darum, dass sich Hamburg im Bundesrat bei der Abstimmung über ein Tempolimit auf Autobahnen enthalten hatte. „Typisch für den Bürgermeister. Trotz wohlfeiler Reden für mehr Klimaschutz. Wenn es dann zum Schwur kommt, kneift er. Er verhindert, dass Hamburg im Bundesrat zustimmt“, schrieb Kerstan.

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    Eskalation kurz vor der Bürgerschaftswahl vermieden

    Damit hatte der Umweltsenator die Politik des Bürgermeisters, der die Richtlinienkompetenz innehat, öffentlich infrage gestellt. Außerdem war im Senat vereinbart worden, dass der Bürgermeister bei der Abstimmung im Bundesrat „freie Hand ohne Tendenz“ hat. Aus Sicht der Sozialdemokraten war Kerstans Verhalten streng genommen ein Entlassungsgrund. Aus nahe liegenden Gründen wurde auf diese Eskalation kurz vor der Wahl allerdings verzichtet.

    Dennoch: Das Verhältnis zwischen Tschentscher und Kerstan darf mittlerweile als zerrüttet gelten. Zu häufig sind die beiden aneinander geraten. Zur Wahrheit gehört dabei, dass Kerstan und seine Behörde im Wahlkampf zur Zielscheibe der SPD wurden.

    Im Dezember lächeln sie noch. Kurz vor der Wahl sind sie aber keine Freunde mehr: Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) und Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne).
    Im Dezember lächeln sie noch. Kurz vor der Wahl sind sie aber keine Freunde mehr: Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) und Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne). © dpa | Daniel Bockwoldt

    Immer wieder hat Tschentscher in Reden und Interviews behauptet, dass der ambitionierte rot-grüne Klimaplan, den der Senat Ende 2019 verabschiedet hat, nur deswegen zustande gekommen sei, weil sich der ihm unterstellte Planungsstab der Senatskanzlei an die Arbeit gemacht habe. Aus der Umweltbehörde sei dagegen nichts gekommen. Die Grünen bestreiten das heftig und sagen, Tschentscher habe den Planungsstab nur angewiesen, die SPD-geführten Behörden auf Trab zu bringen, damit sie endlich mit der Umweltbehörde kooperieren statt zu blockieren.

    Außer Zweifel steht zudem, dass die SPD ihren Wahlkampf mit zunehmend härteren Bandagen gerade gegen die Grünen geführt hat. So haben die Sozialdemokraten ein Konzept für eine autoärmere und attraktivere Innenstadt vorgestellt, das weitgehend von den Grünen abgeschrieben war. Zuletzt preschte die SPD mit Vorschlägen für den ökologischen Umbau des Kohlekraftwerks Moorburg vor. Die Aktion war nicht mit dem Koalitionspartner abgesprochen. Zuständig für Moorburg ist auf grüner Seite Umweltsenator Kerstan, der schmallippig sagte, drei Tage vor der Wahl „mit so einer Ideenskizze zu kommen, ist wenig überzeugend“.

    Kerstan und Fegebank fühlen sich im Visier

    Doch nicht nur Kerstan, auch Fegebank und die Grünen insgesamt wurden von den Sozialdemokraten immer wieder attackiert. „Man muss nicht nur wollen, man muss auch können“, lautete Tschentschers Leitsatz im Wahlkampf, wenn er auf die Ansprüche der Grünen auf das Amt des Ersten Bürgermeisters zu sprechen kam. Und Tschentscher kritisierte die Grünen als unsichere Kantonisten, etwa bei Infrastrukturprojekten wie der Hafenpassage A 26 Ost. Die Grünen hatten Schwierigkeiten, auf diese recht forsche Gangart zu reagieren, Kerstan einmal ausgenommen.

    Sozialdemokraten zerrissen: Könnte Kerstan im künftigen Senat mitspielen?

    Der Wahlkampf hat zwischen SPD und Grünen, die lange harmonisch miteinander regiert haben, Narben hinterlassen und Gräben aufgerissen. Es tritt die paradoxe Situation ein, dass die beiden Parteien, so wie es aussieht, bei der Wahl zwar mit einem klaren Regierungsauftrag ausgestattet werden, aber im Moment voneinander wenig wissen wollen. Es gibt Sozialdemokraten, die sich den künftigen Senat nicht mit Jens Kerstan vorstellen können, weil es dann alle paar Wochen Ärger gebe.

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    Die Sozialdemokraten wissen, dass es aussichtslos ist, in die Personalpolitik der Grünen hineinzureden, aber die Personalie Kerstan könnte zum Druckmittel werden. Sollte die SPD stärkste Kraft werden, wofür sehr viel spricht, gilt als sicher, dass die Partei zunächst Sondierungsgespräche führen wird: mit der CDU, der FDP, wenn sie in die Bürgerschaft kommt, und den Grünen. Vor fünf Jahren hatte Olaf Scholz sofort Koalitionsverhandlungen mit den Grünen geführt. Die Zahl derer in der SPD, die sich ein Bündnis mit der CDU vorstellen können, ist in den letzten Tagen nicht kleiner geworden.