Hamburg. Nach Abendblatt-Informationen lassen sich etliche Sachverhalte entkräften – Chef der Steuerverwaltung geht in die Offensive.

Hat die Hamburger Steuerverwaltung auf Druck der Politik der Warburg-Bank 47 Millionen Euro „erlassen“? Dieser Vorwurf, der den Kern der aktuellen Cum-Ex-Debatte bildet, fällt immer mehr in sich zusammen.

Punkt eins: „Die Zeit“ und das NDR-Magazin „Panorama“ hatten vergangene Woche berichtet, dass das Hamburger Finanzamt für Großunternehmen 2016 fest entschlossen war, die 47 Millionen Euro von Warburg zurückzufordern. In der Finanzbehörde, der die Angelegenheit vorgelegt und die damals vom heutigen Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) geführt wurde, sei darauf jedoch – bewusst oder unbewusst – nicht reagiert worden, sodass der Anspruch Ende 2016 verjährt sei.

Cum-Ex: Behörden haben Hinweise der Staatsanwaltschaft beachtet

Nach Informationen des Abendblatts haben sich das Finanzamt und die Steuerverwaltung der Behörde dagegen sehr wohl gemeinsam und intensiv mit dem Fall befasst und sind auch gemeinsam im November 2016 zu der Entscheidung gekommen, dass die Erfolgsaussichten in einem Rechtsstreit mit Warburg zu gering sind, um das Geld zurückfordern zu können.

Dabei ging es zumindest am Rande auch um eine Abschätzung der Folgen für die Stadt. Offensichtlich gab es die Befürchtung, der Warburg-Bank mit der Millionen-Forderung schweren Schaden zufügen zu können, was – für den Fall, dass sich die Forderung als nicht berechtigt herausstellen sollte – zu einem Vielfachen an Regressansprüchen gegen die Stadt hätte führen können.

Punkt zwei: Anders als bislang dargestellt, haben Finanzamt und Steuerverwaltung nach Abendblatt-Informationen auch die Hinweise der Staatsanwaltschaft Köln, die federführend im Cum-Ex-Skandal ermittelt, keineswegs ignoriert, sondern in ihre Entscheidung mit einbezogen. Und schon im Herbst 2016 waren Finanzamt und -behörde der Meinung, dass je nach Ausgang der Ermittlungen – das Verfahren vor dem Landgericht Bonn läuft noch – das Geld trotz der Verjährung auch später noch eingezogen werden könnte.

"Deal" zwischen Finanzbehörde und Warburg? Vorwurf nicht haltbar

Punkt drei: Auch die Darstellung, die Finanzbehörde unter dem heutigen Senator Andreas Dressel (SPD) habe Ende 2019 kurz vor einem „Deal“ mit Warburg gestanden, ist offensichtlich nicht haltbar. Die „Zeit“ hatte berichtet, erst das Bundesfinanzministerium habe diesen Deal gestoppt, bei dem die Bank durch Zahlung von 68 Millionen Euro sich einer Steuerschuld von rund 170 Millionen Euro entledigt hätte. Nach Abendblatt-Informationen hat dagegen schon das Finanzamt in Hamburg diese von Warburg angestrebte „Billigkeitslösung“ abgelehnt und sich nur pflichtgemäß in Berlin rückversichert, ob man das dort anders sehe. Antwort: nein.

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Diese Informationen decken sich auch mit einer Stellungnahme von Ernst Stoll, Leiter der Hamburger Steuerverwaltung. „Es hat in Hamburg weder bezüglich Cum-Ex-Gestaltungen noch sonst Versuche gegeben, politisch auf Entscheidungen der Steuerverwaltung Einfluss zu nehmen“, stellte Hamburgs oberster Finanzbeamter am Mittwoch klar. Auf den Fall Warburg ging er dabei zwar nicht ein – was aufgrund des Steuergeheimnisses auch nicht zulässig wäre, weswegen der rot-grüne Senat sogar über eine Aufhebung nachdenkt.

Dennoch betonte Stoll, dass Steuerbescheide nur „auf Basis eines belastbar ermittelten Sachverhalts“ ergingen und wenn die Beamten „von der Rechtmäßigkeit dieser Maßnahme überzeugt“ seien. Damit deutete auch er zumindest indirekt an, dass das Finanzamt sich Ende 2016 eben nicht sicher war, das Geld von Warburg zurückfordern zu können.

Bei Nachweis von Cum-Ex-Geschäften werde Steuer "ausnahmslos zurückgefordert"

An dem Willen, dies bei entsprechender Beweislage zu verfolgen, ließ er jedoch keinen Zweifel: „Sofern zum Beispiel Cum-Ex-Geschäfte ausreichend nachgewiesen werden können, wird die entsprechende Kapitalertragsteuer ausnahmslos zurückgefordert.“ Auch Bürgermeister Tschentscher hatte mehrfach betont, dass die Stadt „jeden Euro“ zurückfordern werde, den sie zurückfordern könne. Voraussetzung sei aber, dass man die Forderung auch wasserdicht nachweisen könne. Jegliche politische Einflussnahme auf diese Entscheidungen hatte Tschentscher zurückgewiesen.

Mit Blick auf den angeblich angestrebten „Deal“ sagte Stoll: „Es hat in Hamburg im Zusammenhang mit Cum-Ex-Gestaltungen keinen gerichtlichen oder außergerichtlichen Vergleich oder Erlass von Steuern gegeben. Ebenso wenig hat die Steuerverwaltung zu irgendeinem Zeitpunkt ,Billigkeitslösungen‘ vorgeschlagen oder gar ausgearbeitet.“

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Bei Cum-Ex geht es um Transaktionen, bei denen mehrere Beteiligte Aktienpakete rund um den Dividendenstichtag so schnell hin- und herschieben, dass das Finanzamt den Überblick verliert und die Kapitalertragssteuer mehrfach erstattet. Außer der 47-Millionen-Euro-Frage hatten auch ein Treffen des damaligen Bürgermeisters Olaf Scholz (SPD) mit Warburg-Inhaber Christian Olearius, das der Senat auf Nachfrage der Linkspartei zunächst bestritten hatte, sowie Spenden aus dem Bank-Umfeld an die SPD für Wirbel gesorgt.

Linke fordert weiterhin einen Untersuchungsausschuss

Auch wenn völlig unklar ist, wie ein Treffen im November 2017 Einfluss auf eine Entscheidung vom Herbst 2016 (!) gehabt haben soll, erneuerte die Linkspartei am Mittwoch ihre Forderung nach einem Untersuchungsausschuss: Dass der Senat nun darüber nachdenke, die Warburg-Bank um Befreiung vom Steuergeheimnis zu bitten, begrüße er zwar, sagte der Hamburger Bundestagsabgeordnet Fabio De Masi. Dennoch gelte. „Die Auszüge aus Olearius‘ Tagebuch entlasten Scholz keineswegs, im Gegenteil. Die beiden haben sich zu einem laufenden Ermittlungsverfahren ausgetauscht und der Senat hat die Bürgerschaft darüber belogen.“

Wie berichtet, musste auch die anfängliche Darstellung über den Tagebuch-Auszug revidiert werden. Unterschlagen worden war die Beobachtung von Olearius, dass Scholz in dem Gespräch zurückhaltend reagiert habe – was die These von der politischen Einflussnahme nicht gerade unterstützt.