Hamburg. Offenbar erwog er einen Anschlag mit einem Lkw. Innensenator räumt bei Sondersitzung Fehler ein. Wäre die Tat zu verhindern gewesen?

Zunächst schwieg Ahmad A., nachdem er am 28. Juli den 50 Jahre alten Mathias P. mit einem Messer getötet und fünf weitere Menschen zum Teil schwer verletzt hatte. Doch jetzt hat der 26 Jahre alte Palästinenser, der am Tatort in Barmbek-Nord von Passanten überwältigt werden konnte und dann festgenommen wurde, offensichtlich ein umfassendes Geständnis abgelegt. Nach Informationen von NDR, WDR und „Süddeutscher Zeitung“ soll er gegenüber Beamten des Landeskriminalamts erklärt haben, dass er bedaure, dass er nicht mehr Menschen habe töten können.

Er habe möglichst viele „Christen und Jugendliche“ töten und als Märtyrer sterben wollen. Zunächst habe er überlegt, mit einem Lastwagen oder Pkw in eine Menschengruppe zu fahren, wie der Attentäter vom Berliner Breitscheidplatz und der Terrorist, der im Juli 2016 mehr als 80 Menschen im südfranzösischen Nizza tötete. Ahmad A. sagte demnach in seiner Vernehmung, dass er sich spontan dazu entschlossen habe, ein Messer aus einem Regal des Supermarkts zu nehmen und es als Tatwaffe zu verwenden.

Nach Informationen des Abendblatts aus Sicherheitskreisen könnte das Motiv für die Bluttat der Konflikt zwischen Muslimen und Juden um den Tempelberg in Jerusalem sein. A. hatte kurz vor der Tat eine nahe Moschee besucht, in der der Imam in seinem Freitagsgebet über den Tempelberg gesprochen hatte. Die dortigen Auseinandersetzungen zwischen Muslimen und Juden hätten ihn aufgewühlt, soll Ahmad A. ausgesagt haben.

Grote räumte erneut Fehler ein

In einer mehrstündigen Sondersitzung hat der Innenausschuss der Bürgerschaft am Mittwochabend mit der Aufarbeitung des Anschlags begonnen. „Es ist das furchtbarste Verbrechen, mit dem wir es in der jüngeren Vergangenheit zu tun gehabt haben“, sagte Innensenator Andy Grote (SPD). Es handele sich um eine „grauenhafte Tat, die uns dauerhaft herausfordern wird“.

Die Mitglieder des Innenausschusses hatten extra ihre Sommerpause unterbrochen, um sich mit dem Anschlag von Barmbek-Nord vom 28. Juli zu beschäftigen. Ein palästinensischer Asylbewerber hatte auf der Fuhlsbüttler Straße Menschen mit einem Messer angegriffen und dabei einen Mann getötet sowie fünf Personen zum Teil schwer verletzt.

Erneut räumte Grote Fehler ein, denn Ahmad A. war Polizei und Verfassungsschutz bekannt: „Ja, es hat Fehler gegeben. Wir sind teilweise nicht schnell und nicht gründlich genug mit Hinweisen umgegangen.“ Zudem habe man den psychologischen Sachverstand nicht hinzugezogen, der bei den Sicherheitsbehörden zweifelsohne vorhanden sei. Doch vermutlich hätte eine derart spontane Tat nicht verhindert werden können, so Grote, selbst wenn alle Erkenntnisse sorgfältig aufgearbeitet worden wären.

„Handwerkliche Mängel“ und „Versäumnisse in zeitlicher Sicht“

Der Startvortrag von Grote dauerte lediglich gut einen halbe Stunde, wohl auch, weil er im Wesentlichen Bekanntes wiederholte. So erneuerte der Senator die Ankündigung, man werde rund 400 Hinweise auf ungewöhnliches Verhalten von Personen aus den vergangenen eineinhalb Jahren erneut überprüfen. Zudem würden künftig entsprechende Hinweise umgehend – innerhalb einer Woche – behandelt.

Diese Schlussfolgerung rühre daher, dass es im Falle des Angreifers von Barmbek „Versäumnisse in zeitlicher Sicht“ gegeben habe. So hätte beispielsweise eine Befragung des Hinweisgebers, der sich im April 2016 an die Behörden gewandt und von einer Radikalisierung von Ahmad A. berichtet habe, früher und nicht erst gut ein halbes Jahr später erfolgen müssen. Zudem habe es „handwerkliche Mängel“ beim Zusammentragen und einer ersten Bewertung der Angaben über dem Asylbewerber gegeben. So sei beispielsweise ein ähnlich klingender Name, der zunächst in die Datenbank der Polizei eingetragen worden sei, viel zu spät korrigiert worden.

Anfang dieses Jahres seien die Mängel behoben gewesen, führte Grote fort. Allerdings seien dann die mit dem Fall befassten Behörden und Ämter zu dem Schluss gekommen, der Palästinenser sei nicht wirklich gefährlich. Demnach sollte eine sogenannte Fallkonferenz, an der ein Psychologe teilgenommen hätte, von dem Betreiber der Flüchtlingsunterkunft organisiert werden. Allerdings kam dieses Treffen nie zustande, weil auch die Mitarbeiter des Heims zu dem Schluss gekommen seien, Ahmad. A. sei nicht so gefährlich.

Keine Auffälligkeiten in den Monaten vor der Tat

Wie sich nun herausgestellt habe, und das sei das Besondere in diesem Fall, habe sich Ahmad A. in Richtung Islamismus radikalisiert, sei zugleich aber psychisch instabil gewesen. Das habe zu der Situation geführt, dass der Mann vor allem im Jahr 2016 mehrmals auffiel. So beschimpfte er in einem Flüchtlingscafé Menschen und drohte Deutschland mit Krieg. In seiner Flüchtlingsunterkunft trommelte er nächtens an die Türen und rief „Allah ist groß!“.

Seine psychische Labilität habe jedoch auch dafür gesorgt, dass Ahmad A. sich über Monate offenbar normal verhielt. So habe es in den sechs Monaten vor der Bluttat keine Auffälligkeiten des 26-Jährigen gegeben, sagte Grote. „Vielmehr, so der Eindruck, schien der Mann sich beruhigt zu haben.“

Auswertung der 400 Hinweise dauert an

Arne Nilsson, Geschäftsführer von „Fördern & Wohnen“ (F&W), dem städtischen Betreiber von Flüchtlingsunterkünften, stieß in das gleiche Horn. Es habe mit Ahmad A. mehrere „kons­truktive Gespräche“ gegeben. „Die Betreuer hatten den Eindruck, dass die Gespräche zu einer Verbesserung führten.“ Sein Verhalten habe sich verändert. Zudem verwies Nilsson darauf, dass soziale Spannungen in Flüchtlingsheimen Alltag seien. „Zu keinem Zeitpunkt hat es ein gewalttätiges Verhalten des mutmaßlichen Attentäters gegeben.“ Es seien nur Beschimpfungen oder Beleidigungen vermerkt worden.

Annette Hitpaß, die Leiterin des Einwohnerzentralamts, verwies darauf, dass Ahmad A. bei der Beschaffung der Passersatzpapiere konstruktiv gewesen sei. Bei allen Terminen auf dem Amt habe er sich durch ein „ruhiges und gelassenes Verhalten“ ausgezeichnet. Noch am Tattag sei Ahmad A. in der Ausländerbehörde gewesen und habe bei der Sachbearbeiterin nachgefragt, ob es bereits eine Antwort der Palästinensischen Mission aus Berlin gebe. „Er war nicht aufgeregt, er war nicht böse. Er war wie immer ruhig und konstruktiv.“

Die gestrige Sondersitzung gilt nur als Auftakt. Man will jetzt die Auswertung der 400 Hinweise abwarten. Zudem hat sich der für Ahmad A. zuständige Ermittler noch nicht geäußert.