Hamburg. Die Folgen aus der Messerattacke: Polizei will Hinweise auf Radikalisierung mit islamistischem Hintergrund schneller prüfen.

DieMesserattacke des 26 Jahre alten abgelehnten Asylbewerbers Ahmad A., der vor zehn Tagen den 50 Jahre alten Mathias P. in Barmbek-Nord tötete und sieben weitere Menschen zum Teil schwer verletzte, wurde nur möglich, weil es vorher eine Kette von Fehlern bei Behörden und Ämtern gab. Ahmad A. war ausreisepflichtig, wurde aber wegen fehlender Ausweispapiere nicht abgeschoben.

Der Palästinenser hielt sich seit 2009 in mehreren europäischen Staaten auf und hätte von Deutschland aus eigentlich nach Norwegen überstellt werden müssen, wo er seinen ersten Asylantrag vergeblich gestellt hatte. Allerdings versäumte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) die Frist für den Rückführungsantrag.

Innenbehörde und Polizei ziehen Konsequenzen

Auch bei der Polizei gibt es allen Grund, die Behandlung des Falls Ahmad A. gründlich aufzuarbeiten. Am 1. April 2016 hatte der Verfassungsschutz die zuständige Abteilung des Landeskriminalamts darüber informiert, dass bei dem Mann, der in einer Asylunterkunft in Langenhorn lebte, Tendenzen zur Radikalisierung zu beobachten seien. Allerdings sei der Palästinenser psychisch labil, weshalb ein psychiatrisches Gutachten sinnvoll sei. Auch weitere Hinweise aus der Unterkunft führten nicht dazu, dass sich das LKA mit Ahmad A. näher beschäftigte.

Der zuständige Ermittler kam zu dem Ergebnis, dass von A. keine Gefährdung ausging. Ahmad A. gilt als sogenannter Mischfall, bei dem Phasen der Radikalisierung und Phasen der Unauffälligkeit einander abwechseln. Das macht die Beurteilung besonders schwierig. Auch die Leitung der Flüchtlingsunterkunft in Langenhorn war Anfang­ dieses Jahres zu dem Ergebnis gekommen, dass sich Ahmad A. „normalisiert“ hatte – und hatte die Dokumentation im März eingestellt.

Kommentar: Konsequenzen aus Barmbek

„Wenn man sich die Schwächen in der Bearbeitung des Falls Ahmad A. ansieht, dann fällt zweierlei auf: Es hat zu lange gedauert, außerdem wäre eine zusätzliche Begutachtung aus dem eigenen Haus sinnvoll gewesen“, sagte Polizeipräsident Ralf Martin Meyer dem Abendblatt. Aus diesem Befund ziehen Innenbehörde und Polizei nun erste Konsequenzen.

Künftig sollen alle Hinweise auf mögliche Radikalisierungen von Menschen in einem islamistischen Kontext, die die Polizei erreichen, nach einem einheitlichen und verbindlichen Raster bearbeitet werden. „Wir wollen eine obligatorische Einbeziehung anderer Fachdisziplinen – insbesondere von Psychologen, von Islamwissenschaftlern – und des Verfassungsschutzes in die Gefahrenanalyse“, sagte Innen­senator Andy Grote (SPD) dem Abendblatt. „Es soll frühzeitig interdisziplinär gearbeitet werden.“

Polizei rollt 400 alte Fälle wieder auf

Es wird in der Staatsschutzabteilung des Landeskriminalamts eine zentrale Aufnahmestelle für derartige Hinweise und strikte Zeitvorgaben für deren Bearbeitung geben. Bereits nach einer Woche soll eine Einteilung jedes Falls in eine von drei Kategorien erfolgen: Gibt es unmittelbaren Handlungs­bedarf aufgrund einer akuten Gefährdungslage, handelt es sich um einen weiter zu verfolgenden Verdachtsfall oder ist kein islamistischer Hintergrund erkennbar? Frühzeitig soll auch entschieden werden, ob ein externes psychiatrisches Gutachten eingeholt werden soll. Nach drei Monaten wird jeder Fall noch einmal bewertet.

Mit der veränderten Praxis beim LKA werde „das Verfahren zur Bewertung von Hinweisen auf Radikalisierung und Persönlichkeitsveränderung im islamistischen Kontext neu und verbindlich“ geregelt, wie Grote betonte. Das neue Verfahren schließt die erneute Bearbeitung von 400 „Altfällen“ ein, die die Polizei seit dem 1. Januar 2016 erreicht haben.

Mehr Handlungssicherheit

„Es geht darum, das Radar nachzujustieren und etwas niedrigschwelliger und im Zweifel auch mit höherem Aufwand an die Hinweise heranzugehen“, sagte Grote. „Wir wollen bei Fällen, die wir nach der bisher gängigen Praxis nicht als gefährlich eingestuft hätten, genauer hinsehen.“ Der zuständige Staatsschutz-Ermittler wird weiterhin für „seine“ Fälle verantwortlich sein, sich aber stärker auf fachlichen Rat von Kollegen stützen können. „Die neue Regelung bedeutet mehr Handlungs­sicherheit für den einzelnen Ermittler und wird einen gewissen Umbruch beim LKA erzeugen“, sagte Meyer.