Hamburg. Debatte um Einsatz von Überwachungskameras ist voll entbrannt. Sie helfen bei der Fahndung – Gewalt verhindern lässt sich kaum.
Es hat nur Tage gedauert, dann waren sie gefasst: Der Berliner „U-Bahn-Treter“, der eine Frau mit einem Tritt in den Rücken die Treppen hinuntergestoßen hatte, und die sieben Männer, denen vorgeworfen wird, sie hätten einen Obdachlosen in einem Berliner U-Bahnhof angezündet. In beiden Fällen waren vor der Festnahme Tatortfotos veröffentlicht worden.
Deutschlandweit wird seither über den Ausbau der Videoüberwachung diskutiert – einig sind sich die Experten keineswegs: Während die Videotechnik als probates Instrument zur Aufklärung von Straftaten betrachtet wird, ist ihre präventive Wirkung umstritten. Terroristen, so der deutsche Richterbund, dürften sich von überwachten Plätzen eher angezogen fühlen, da sie ohnehin das Licht der Öffentlichkeit suchten.
Fahndung nach Silvester-Übergriffen schwierig
In Hamburg läuft die Debatte über das Für und Wider von mehr Überwachung schon länger, seit Bekanntwerden der sexuellen Übergriffe zum Jahreswechsel 2015/2016. 400 Opfer hatten sich damals gemeldet. Weil die Polizei über keine eigenen Aufnahmen verfügte, musste sie auf die nicht sonderlich ergiebigen Übersichtsfotos eines Partyfotografen zurückgreifen.
Ein Manko, das sich jetzt nicht wiederholen soll. Die elf festinstallierten Kameras, die auf dem Kiez schon seit Jahren lageabhängig aktiviert werden, sollen auch in der Silvesternacht „scharfgestellt“ werden; überwacht werden auch die Feierlichkeiten am Jungfernstieg. Zudem werden Beamte mit sogenannten Bodycams und Video-Fahrzeugen im Einsatz sein.
Kommentar: Videokontrollen helfen
Dabei war die polizeiliche Videoüberwachung auf St. Pauli praktisch tot, nachdem eine Anwohnerin gegen Kameras auf dem Kiez geklagt hatte. Das Gericht ordnete an, dass die Geräte mit 360-Grad-Drehtechnik und Zoomfunktion so präpariert werden mussten, dass sie auf Schwarz schalteten, sobald bei einem Schwenk Balkone, Fenster oder die Eingangsbereiche von Wohnhäusern in den Fokus gerieten. Für die Polizei machte die Überwachung daher keinen Sinn mehr – 2011 wurde sie abgestellt.
Innensenator hält Kameras für sinnvoll
Doch der massive Einsatz von Videotechnik zum Jahreswechsel wird wohl keine Eintagsfliege bleiben. „Ich stehe dem Einsatz von Videotechnik aufgeschlossen gegenüber“, sagte Innensenator Andy Grote (SPD) dem Abendblatt. „Sie kann einen wertvollen Beitrag zur Prävention und Aufklärung von Straftaten leisten. Dort, wo der Einsatz sinnvoll und rechtlich zulässig ist, sollten wir davon Gebrauch machen.“
Schon jetzt steht fest, dass die Kameras – auf dem Kiez oder auch an den Straßen – mit Blick auf den G20-Gipfel technisch aufgerüstet werden. Um die Qualität des Bildmaterials zu erhöhen, sollen die Auflösung und die Übertragungsbandbreite hochgeschraubt werden. Dennis Gladiator, Innenexperte der Hamburger CDU, geht das nicht weit genug, er fordert den „Ausbau der Videoüberwachung durch intelligente Kamerasysteme.“ Diese könnten automatisch alleingelassene Gepäckstücke detektieren. Von Überwachung will Gladiator nicht sprechen – er nennt es „Videoschutz“.
Die spektakulärsten Kriminalfälle und Prozesse 2016
Schon lange wird Videoüberwachungstechnik im öffentlichen Raum genutzt. Insgesamt gibt es in und an Hamburgs öffentlichen Einrichtungen und im Nahverkehr mehr als 14.000 Kameras. Allein bei den städtischen Behörden und Betrieben sind rund 5200 Geräte installiert. Im Bereich der Hochbahn – in Bussen, U-Bahnen und an den Haltestellen – sind 5900 Kameras in Betrieb; rund 2000 sind es in den S-Bahnen, 861 an den Fernbahnhöfen.
Gladiator will frühzeitige Öffentlichkeitsfahndung
„Wir überwachen seit 2004, seitdem hat sich die Zahl der Vandalismus-Schäden um 40 bis 50 Prozent verringert“, sagt Hochbahn-Sprecher Christoph Kreienbaum. Bis zu 24 Stunden können die in den Fahrzeugen eingesetzten Kameras aufzeichnen – gibt es keinen Hinweis auf eine Straftat, wird das gespeicherte Material überschrieben. Weil sich die Zeitspanne zur Sicherung des Materials durch die Polizei häufig als zu knapp erweise, versuche die Hochbahn in Absprache mit dem Datenschutzbeauftragten Johannes Caspar die Aufzeichnungsdauer auf 72 Stunden zu erhöhen.
Sucht die Polizei mit Bildern aus Überwachungskameras, dürfen sie erst veröffentlicht werden, wenn alle anderen Fahndungsmittel ausgeschöpft sind und keinen Erfolg versprechen. Nicht selten vergehen Wochen oder Monate, bevor ein Foto freigegeben wird – ein Ärgernis, findet Gladiator. „Man sollte die gesetzlichen Voraussetzungen für eine frühzeitigere Öffentlichkeitsfahndung schaffen.“ Der Chaos Computer Club (CCC), der zurzeit in Hamburg tagt, warnt indes vor einer Ausweitung der Überwachung: „Wenn wir das einmal haben, gibt es kein Entkommen mehr – deswegen müssen wir es bekämpfen, bevor es entsteht.“