Hamburg . Die Stadt beruft sich bei vielen Unterkünften auf das Polizeigesetz, dessen Anwendung gerichtlich gestoppt wurde. Jetzt droht eine Klagewelle.

Der gerichtliche Baustopp für eine Unterkunft in Klein Borstel bedroht die Pläne des Senates zur Bewältigung der Flüchtlingskrise. Neben dem rechtlich monierten Flüchtlingsheim Am Anzuchtgarten mit 700 Plätzen hat die Stadt den Bau von 46 weiteren Unterkünften rechtlich mit dem Sicherheit- und Ordnungsgesetz (SOG) begründet. Das geht aus einer Schriftlichen Kleinen Anfrage der CDU-Bürgerschaftsfraktion hervor, die dem Abendblatt vorliegt. Das Verwaltungsgericht hatte die Anwendung des Polizeirechts am Mittwoch für unzulässig erklärt.

Der Verein
Der Verein "Lebenswertes Klein-Borstel" hatte eine Demonstration organisiert, um die Dimension der geplanten Unterkunft deutlich zu machen © Ulrich Schaarschmidt | Ulrich Schaarschmidt

Die Sozialbehörde und die städtische Gesellschaft „Fördern & Wohnen“ hatten in einer ersten Stellungnahme von einer „erheblichen Verzögerung“ durch den Baustopp in Klein Borstel gesprochen. Ob auch bestehende Unterkünfte durch gefährdet sein könnten, war zunächst noch unklar. „Die Option, auch rückwirkend gegen betroffene Unterkünfte rechtlich vorzugehen, ist zumindest geöffnet“, sagte die CDU-Abgeordnete Prien. „Nach dem Beschluss gehört die rechtliche Zulässigkeit sämtlicher Folgeunterkünfte und Großsiedlungen auf den Prüfstand. Die Pläne des Senats sind damit insgesamt in Frage gestellt." Sie forderte Rot-Grün auf, nicht länger auf „Konfrontationskurs“ zu den Anwohnern zu gehen.

Behörde legt Beschwerde gegen Urteil ein

Die Nachbarn hätten einen Anspruch auf das, was im Bebauungsplan stehe, sagte Gerichtssprecher Andreas Lambiris zum gestrigen Urteil. „Das Anwenden von Polizeirecht darf nicht dazu führen, dass sie dieses Recht verlieren.“ Der Anwalt der Kläger in Klein Borstel, Gero Tuttleweski sagte, es seien weitere Klagen von Anwohnern in anderen Stadtteilen gegen geplante Unterkünfte denkbar. Er bot dem Senat im Fall Klein Borstel gleichzeitig Gespräche über eine Änderung des Konzeptes an. Mit der Anwendung des Polizeirechts hatte der Senat zuvor die Bürgerbeteiligung ausgehebelt, um schneller die benötigten Plätze für Flüchtlinge errichten zu können.

Der Senat kündigte am Donnerstagmittag an, vor dem Oberverwaltungsgericht Beschwerde gegen das Urteil aus erster Instanz einzulegen. Parallel werde in Klein Borstel eine Änderung des Bebauungsplans in Gang gesetzt. „Eine gleichmäßige Verteilung der Folgeunterkünfte über die gesamte Stadt bleibt das Ziel des Senats“, sagte Sozialsenatorin Melanie Leonhard: "Nur wenn alle Stadtteile bei der Unterbringung, Versorgung und Integration von nach Hamburg geflüchteten Menschen helfen, kann die Kraftanstrengung gemeistert werden, vor der wir alle stehen.“

Behördensprecher Marcel Schweitzer verwies darauf, dass das Urteil des Verwaltungsgerichtes "grundlegende Rechtsfragen" aufwirft. Deshalb komme die Behörde nicht umhin, eine Klärung vor dem Oberverwaltungsgericht herbeizuführen.

Bau von 6000 Wohnungen in Gefahr

Wie aus der Anfrage der CDU hervorgeht, machte der Senat von den Sonderregeln des SOG seit Herbstbeginn regen Gebrauch. So wurden unter anderem die Notunterkünfte in Baumärkten am Bargkoppelstieg in Rahlstedt und der Kurt-A.-Körber-Chaussee in Bergedorf mit dem Polizeirecht begründet. Bis zum Jahresende sollten unter anderem auf dem Parkplatz „grün“ des Volksparkstadions in Stellingen, sowie an der Schlenzigstraße in Georgswerder und im Gleisdreieck am Mittleren Landweg in Bergedorf weitere Plätze für Flüchtlinge entstehen.

Leitartikel: Redet endlich mit uns!

Noch mehr Probleme erwartet der Rechtsanwalt Tuttlewski für den Bau der rund 6000 Flüchtlingswohnungen in allen sieben Bezirken –am Mittleren Landweg, am Öjendorfer Park in Billstedt, in Rissen, am Duvenacker in Eidelstedt, am Ellerbeker Weg in Schnelsen, an der Osterfeldstraße in Eppendorf, in Hummelsbüttel und am Poppenbüttler Berg entstehen sollen. „Gerade hier dürfen die Anwohner nicht als ‚überforderte Nachbarschaft‘ geschmäht, sondern müssen als Dialogpartner begriffen werden. Gerade von den Nachbarn hängt auch ab, ob Integration am Ende tatsächlich gelingen kann“, sagte Tuttlewski.