Der wachsende Bürgerprotest richtet sich nicht gegen Flüchtlinge, sondern gegen die Politik

Das Hamburger Verwaltungsgericht hat einen Baustopp für die Flüchtlingsunterkunft in Klein Borstel verhängt. Die Sozialbehörde wollte unter Umgehung von Mitspracherechten der Anwohner in dem kleinen Stadtteil eine dauerhafte Unterkunft für 700 Asylbewerber bauen. Wie bei der Sophienterrasse ignorierte die Stadt den vorhandenen Flächennutzungsplan.

Die Richter haben ein gutes Urteil gesprochen. Sie stärken damit den Rechtsstaat. Es bleibt auch in Zeiten der Flüchtlingskrise eine Errungenschaft, dass einfache Bürger sich vor Gericht gegen Übergriffe des Staates wehren können.

Zudem rückt das Urteil den wachsenden Unmut vieler Hamburger in den Fokus, die sich von der Politik und der Verwaltung überfahren fühlen. In Neu­graben-Fischbek demonstrierten mehr als eintausend Menschen gegen die Errichtung einer Unterkunft für bis zu 3000 Flüchtlinge. In Bergedorf fürchten Anwohner eine Gettoisierung, weil in Billwerder Wohnungen für bis zu 4000 Flüchtlinge entstehen sollen.

Allen Protesten ist gemein, dass diese sich nicht gegen die Flüchtlinge richten. Die Adressaten sind die Politik und die Behörden, die hinter verschlossenen Türen gefällte Entscheidungen ohne Rücksicht auf die Situation vor Ort und ohne Rücksprache mit den dort lebenden Menschen exekutieren.

Der wachsende Widerstand – egal ob vor Gericht oder auf der Straße – hat eine ganz andere Qualität als irgendwelche Pöbeleien in sozialen Netzwerken. Hamburg ist längst eine multikulturelle Stadt, und kaum einer hier benötigt Nachhilfeunterricht in „leben und leben lassen“. Und die Menschen, die sich da wehren, sind keineswegs darüber besorgt, dass Ausländer in ihrer Nachbarschaft leben.

Nein, eine wachsende Zahl Hamburger macht sich zu Recht darüber Gedanken, was aus ihrem Lebensumfeld wird, wenn in unmittelbarer Nähe Tausende Flüchtlinge über mehrere Jahre in eigenen Siedlungen untergebracht werden sollen. Sie fragen, wie in derartige Massenquartieren Gettoisierung verhindert werden soll. Eine Drogerie, einige Bankautomaten und der eine oder andere Gesellschaftsraum werden für Integration nicht reichen.

Die Beschwichtigungen der Politik sind um so ärgerlicher, weil Hamburg bereits eine Menge an Erfahrungen mit abgehängten Stadtteilen hat. Hunderte Millionen Euro wurden in den vergangenen Jahrzehnten in Sozialprogramme und Quartierentwicklung investiert. Nachhaltig war das kaum.

Die verantwortlichen Politiker machen es sich zu einfach, wenn sie angesichts des nicht abreißenden Flüchtlingsstroms achselzuckend auf den großen Handlungsdruck verweisen, so als seien sie nicht mitverantwortlich für die aktuellen Probleme. Wäre es nicht an der Zeit, damit aufzuhören, öffentlich gebetsmühlenartig zu erklären, es dürfe bei der Aufnahme von Flüchtlingen keine Obergrenze geben? Und müssen wirklich erst die Gerichte kommen und der Politik klarmachen, dass eine langfristige Lösung der Flüchtlingsprobleme nicht darin bestehen kann, die Rechte der hier lebenden Menschen zu ignorieren?

Es gilt zu unterscheiden zwischen kurzfristigen Notmaßnahmen und Massenunterkünften, die auf Jahrzehnte hinaus Bestand haben und die Nachbarschaften von Grund auf verändern werden. Der wachsende Protest der Menschen richtet sich nicht gegen das Erstere. Die Menschen können gut erkennen, wann rasche Hilfe nottut und wann die Politiker zu tricksen anfangen. Die Bürger wollen mitreden und mitbestimmen dürfen. Mit dem Spruch der Verwaltungsrichter wächst der Druck auf die Politik, auf die Menschen zuzugehen. Insofern ist es ein wirklich gutes Urteil.