Interne Protokolle belegen, wie sehr die Parteispitze die bei den „Grauen Wölfen“ aufgetretene Kandidatin unter Druck setzte. Der Vorwurf: Nebahat Güçlü sollte genötigt werden.
Hamburg. Die Hamburger Grünen-Führung hat im Zusammenhang mit dem Partei-Auschlussverfahren gegen Nebahat Güçlü wegen deren Wahlkampfauftritt bei den rechtsextremen „Grauen Wölfen“ offenbar die Öffentlichkeit getäuscht. Zugleich könnte sich die Grünen-Spitze um Katharina Fegebank, Manuel Sarrazin und Jens Kerstan der Nötigung einer Bürgerschaftskandidatin schuldig gemacht haben. So geht es aus dem Beschluss des Landesschiedsgerichts der Grünen und dem Protokoll der entscheidenden Sitzung des Landesvorstands vom 26. Januar 2015 hervor, die dem Hamburger Abendblatt vorliegen.
Wie berichtet, war Güçlü, die von 2008 bis 2010 Vizepräsidentin der Hamburgischen Bürgerschaft war, Mitte Januar als Rednerin bei einer Veranstaltung der als extrem nationalistisch geltenden Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland aufgetreten, zu denen auch die „Grauen Wölfe“ gerechnet werden. Laut Verfassungsschutz liegt der Bewegung „ein übersteigerter türkischer Nationalismus zugrunde, der mit einer Überhöhung der eigenen Ethnie und einer Abwertung anderer Ethnien gepaart ist“. Die „Grauen Wölfe“ werden für viele Morde in der Türkei verantwortlich gemacht.
Nach Bekanntwerden des Auftritts hatte die Parteiführung Güçlü aufgefordert, auf ihre Kandidatur auf Platz 25 der Grünen-Landesliste zu verzichten. Da die 49-jährige Germanistin und Politologin das ablehnte, entschied der Vorstand, ein Ausschlussverfahren einzuleiten. Sie habe mit dem Auftritt gegen grüne Grundwerte verstoßen. Zugleich wurde der sofortige Verlust aller Mitgliederrechte verfügt.
Wie aus dem Protokoll der entscheidenden Vorstandskonferenz hervorgeht, ging es den Grünen dabei allerdings vor allem um eine strategische Entscheidung vor der Wahl. „Der Vorschlag ist, Nebahat heute zu einem Mandatsanwartsschaftsverzicht und einer klaren Distanzierung aufzufordern“, heißt es in dem Protokollauszug, der dem Abendblatt vorliegt.
„Wir müssen sicherstellen, dass wir in der Öffentlichkeit den Eindruck wegbekommen, wir würden uns von Rechten hochwählen lassen. Ist sie nicht dazu bereit, dann wird Manuel im LaVo beantragen, einen LaVo-Antrag auf Parteiausschluss beim Landesschiedsgericht einzureichen. Wichtig sei es, gleich am Anfang hart zu sein, um sich dann nicht von der Presse in einer Salamitaktik vor sich her treiben lassen zu müssen.“ LaVo steht hier als Abkürzung für den Landesvorstand der Grünen.
Taktik: Entschuldigung nach der Bürgerschaftswahl
Und weiter: „Das jetzt vereinbarte Verfahren muss bis zur Wahl durchzuhalten sein. Sollte sich herausstellen, das keine Grundlage für Parteiausschluss besteht, dann wird dies das Schiedsgericht nach der Wahl feststellen und der LaVo wird sich entschuldigen.“ Mit anderen Worten: Es ging den Grünen vor allem um das Symbol. Nach der Wahl kann man dann ja alles zurücknehmen.
Nun scheint sich das Ganze doch noch vor dem Urnengang gegen die Grünen zu wenden. Bereits am Mittwoch kassierte das Landesschiedsgericht die Entscheidung, Güçlü die Mitgliederrechte abzuerkennen. Parteivize Manuel Sarrazin tat in der Öffentlichkeit so, als hätten er und seine Vorstandkollegen lediglich einen Formfehler gemacht, an der Hauptsache ändere das nichts. Auch dies war bestenfalls die halbe Wahrheit.
Hat die Grünen-Spitze Güclü überhaupt gehört?
Denn der Vorsitzende des Schiedsgerichts, Ernst Medecke, liest den Grünen in seinem schriftlichen Beschluss sehr grundsätzlich die Leviten. Es sei den Feststellungen der Parteiführung „nicht zu entnehmen, dass der Antragsgegnerin rechtliches Gehör hinsichtlich der Eilentscheidung gewährt wurde“ heißt es darin zwar zum Thema Formfehler. Zugleich sei im Eilverfahren eine Bewertung der türkischen Organisationen und Parteien kaum möglich.
Güçlüs Rechtsvertreter, der frühere Grünen-Umweltstaatsrat Christian Maaß, schrieb laut Beschluss an das Schiedsgericht: „Nebahat Güclü hat sich bereits zum Zeitpunkt des Beschlusses des Landesvorstands klar zu ihrem Fehler bekannt und sich von der Ideologie der ‚Grauen Wölfe‘ sowie dieser Gruppe insgesamt distanziert. Sie hatte zu diesem Zeitpunkt zudem unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass sie zukünftig nicht auf weitere entsprechende Veranstaltungen gehen werde. Es drohte und droht daher keine Wiederholungsgefahr, durch die das Erscheinungsbild der Grünen im Wahlkampf erneut beeinträchtigt werden könnte.“
Welche Rolle spielte der Facebook-Post?
Dieser Ausführung schließt sich Medecke in seinem Beschluss an. Und mehr noch: Er erhebt massive Vorwürfe gegen den Landesvorstand seiner eigenen Partei. Dass Fegebank, Sarrazin und Co. Güçlü zum Verzicht auf die Kandidatur drängten und deren Facebook-Äußerungen als Beleg deuteten „dass Nebahat Güclü ... nicht bereit war, dem Landesvorstand ein Angebot zu machen, wie der entstandene Schaden von der Partei abgewandt werden kann“, ist für Chef-Schiedsrichter Medecke demnach besonders verwerflich.
Denn er schreibt: „Diese Aussage ist bedenklich, sie gerät in die Nähe des Straftatbestandes der Nötigung einer aufgestellten Listenkandidatin.“ Denn: „Im Zusammenhang mit der Aufforderung, den Rücktritt von der Listenkandidatur zu erklären, kann es der Antragsgegnerin nicht verwehrt werden, sich zu äußern. Eine Wiederholung von Verletzungen Grüner Grundsätze oder eine Steigerung dessen, was ursprünglich erklärt und später als Fehler bezeichnet wurde, lässt sich hier bei überschlägiger Betrachtung nicht erkennen.“
Medien sollten beeinflusst werden
Wie sehr es der Grünen-Führung bei dem ganzen Fall um eine schnelle Reaktion vor allem für die Öffentlichkeit ging, geht ebenfalls aus dem Protokoll der Vorstandssitzung vom 26. Januar hervor. „Jens & Katharina haben sich heute im Nachklapp auf Manuels gestriges Posting auf Nachfrage noch einmal mit zwei Sätzen in die Richtung Mandatsverzicht ohne Parteiausschluss an einzelne Pressevertreter deutlich distanziert, und den Auftritt als inakzeptabel kommentiert.“, heißt es darin – gemeint sind offensichtlich die Spitzenkandidaten Jens Kerstan und Katharina Fegebank. „Taz, Abendblatt und Hamburg-Journal werden das Thema morgen groß bringen. Manuel wird im Anschluss an die TK Meyer-Wellmann und Andreas Speit direkt anrufen, um die Berichterstattung noch beeinflussen zu können. Daher ist es wichtig, das Verfahren heute zu entscheiden.“
Manuel Sarrazin sollte also direkt nach der Telefonkonferenz (TK) die beiden Journalisten anrufen. Tatsächlich meldete er sich auch beim Abendblatt und berichtete über das Ergebnis der Konferenz.
Der Parteiviize blieb auch am Sonnabend bei der festgelegten Linie. „Die Frage, ob im Verhalten von Frau Güçlü ein parteischädigendes Verhalten vorlag und ob die Sanktionsmaßnahme angemessen war, ist nicht Gegenstand der Entscheidung und der Ausführungen der Eilentscheidung“, sagt Sarrazin dem Abendblatt. „Frau Güçlü hat durch ihren Auftritt in einem extrem-nationalistischen Umfeld und ihre umstrittenen Stellungnahmen danach der Partei Schaden zugefügt. Dennoch sieht der Landesvorstand in einem Schiedsgerichtsverfahren weiterhin auch einen Weg zur internen Klärung der unterschiedlichen Ansichten mit Hilfe einer unabhängigen Instanz. Deswegen beteiligen wir uns nicht an öffentlichen Debatten zu einzelnen Erwägungen des Vorsitzenden des Schiedsgerichtes.“
Unterstützung erhielten die Grünen-Vorsitzenden am Sonnabend auch vom Vorsitzenden der Kurdischen Gemeinde Deutschland, Ali Ertan Toprak. „Nebahat Güçlü glaubt, dass sie keine Rassistin ist, weil sie gegen Neonazis ist. Gleichzeitig geht sie aber zu türkischen Faschisten“, so Toprak. „Ihre Antidemokratische Haltung gegenüber Kurden und Aleviten ist damit eindeutig.“
So oder so erscheint das Ganze als PR-GAU kurz vor der Bürgerschaftswahl. Eines ist bei all dem wohl sicher: Egal, wie die Bürgerschaftswahl für die Grünen ausgeht – im Fall Güçlü dürfte es auch in den kommenden Wochen noch einigen Streit bei den Grünen geben. Vermutlich bereits am Mittwoch bei der Landesmitgliederkonferenz.
Folgen Sie dem Autor bei Twitter: @jmwell