SPD verabschiedet das Wahlprogramm, dessen Losung „weiter so“ lautet. Die Partei ist damit zufrieden. Die Opposition würdigte Hamburgs Bürgermeister in seiner Rede mit keinem Wort.
Hamburg. Die Frage, wie man auf lang anhaltenden Applaus reagiert, hat schon Generationen von Politikern umgetrieben. Hinsetzen? Stehen bleiben? Fröhlich winken? Demütig verbeugen? Gönnerhaft mit den Handflächen nach unten um ein Ende bitten? Alles komisch, irgendwie. Auch Olaf Scholz wusste am Sonnabend nicht so recht. Viereinhalb Minuten lang beklatschten ihn seine von den Sitzen im Bürgerhaus Wilhelmsburg aufgesprungenen Genossen, nachdem er ihnen, man höre und staune, das Wahlprogramm erklärt hatte, das schon seit zwei Wochen auf dem Markt ist. Scholz nahm die demonstrativ ausgewalzten Ovationen erst stehend entgegen, dann setzte er sich – und dann, bevor er sich ein letztes Mal erhob, schenkte sich der SPD-Landesvorsitzende und Bürgermeister erst mal einen Tee aus der mitgebrachten Thermoskanne ein.
Möglicherweise war das nur eine Übersprungshandlung eines schwer erkälteten Politikers, aber es passte perfekt ins Bild: Da hat einer im Gefühl des sicheren Sieges die Ruhe weg.
Das Programm „Hamburg weiter vorn – Perspektiven für Wachstum und Zusammenhalt“, über das Scholz zuvor 30 Minuten lang gesprochen hatte, könnte auch kurz und knapp „Weiter so“ heißen: Auch künftig wollen die Sozialdemokraten die Ausgaben im Zaum halten, Wirtschafts-Cluster wie Erneuerbare Energien und Luftfahrt stärken, sie wollen auch weiterhin 6000 Wohnungen pro Jahr bauen, darunter 2000 Sozialwohnungen, sie wollen wenig angesagte Viertel im Hamburger Osten, in Wilhelmsburg und Harburg aufwerten und allen Jugendlichen eine berufliche Perspektive verschaffen, die Forschung bekommt mehr Geld, aber die Hochschulen nicht, es sollen jedes Jahr 100 Kilometer Straßen saniert werden, und auch der Fahrradverkehr darf auf weitere Förderung hoffen. Kommt einem alles bekannt vor, und das soll es auch. Die Bürger mit unausgereiften Visionen zu überraschen, ist nicht die Sache dieses Bürgermeisters. Und seine Partei folgt ihm dabei: Das Programm wurde nahezu einstimmig verabschiedet.
Das Praktische an diesem Ansatz ist: Vor jedem Blick in die Zukunft steht das Eigenlob für das bisher Erreichte, regelmäßig garniert mit der Bemerkung, dass dieses Erreichte wiederum exakt dem vor der letzten Wahl Versprochenem entspricht. Und so lauten die Kernsätze in Scholz’ Rede auch schlicht: „Das Wahlprogramm ist komplett umgesetzt. Wir haben gut regiert.“ Und: „Wir werden auch in den nächsten fünf Jahren alle Wahlversprechen umsetzen. *Wir bitten die Bürger erneut um ein starkes Mandat für die SPD.“
Und dort, wo der Kurs doch angepasst wurde, integrierte Scholz dies kurzerhand in die Agenda seiner Partei. Beispiel Bildung: Die Kitagebühren habe man abgeschafft, Ganztagsbetreuung an den Schulen ausgebaut und die Studiengebühren beseitigt – nun setze man sich konsequenterweise auch für eine Steigerung der Betreuungsqualität in den Kitas ein. Dass der Bürgermeister und sein Sozialsenator Detlef Scheele das trotz der massiven Proteste von Erzieherinnen, Gewerkschaften und Opposition lange mit Blick auf die enormen Kosten abgelehnt hatten, erwähnte Scholz natürlich nicht. Aber wer es wollte, konnte hören, wie er „Engagierte in der Fraktion“ für die Vereinbarung mit den Kita-Trägern lobte – denn es waren vor allem SPD-Sozialpolitiker, die intern den Meinungsumschwung bewirkt hatten.
Dass die Wähler Verlässlichkeit schätzen, kann Scholz nun seit vier Jahren den Umfragen entnehmen. Laut der Erhebung im Auftrag des Abendblatts von Anfang November hätten 45 Prozent SPD gewählt. Und in einer NDR-Umfrage kam die Partei vergangene Woche auf 43 Prozent. Negativ betrachtet, ist damit die 2011 mit 48 Prozent errungene absolute Mehrheit futsch. Positiv gesehen ist sie immer noch in Sicht – nach vier Jahren an der Regierung beileibe keine Selbstverständlichkeit.
Es gibt nur eine inhaltliche Gegenrede. Und der Juso-Chef bürstet sie ab
Die Opposition würdigte der SPD-Chef in seiner Rede mit keinem Wort. Lediglich die Grünen erwähnte er einmal – deren Anhänger seien auch dafür, dass die Busse schneller durch die Stadt kommen, spottete Scholz. Das Reizwort „Busbeschleunigung“ kam ihm dabei nicht über die Lippen. Stattdessen lobten im Anschluss an seine Rede Vertreter der SPD-Arbeitsgemeinschaft „60plus“ und der Behindertenarbeitsgemeinschaft die Bauarbeiten, mit denen auch die Erreichbarkeit der Busse verbessert werde. „Prima“ sei ja auch, dass endlich die U- und S-Bahnhaltestellen barrierefrei gestaltet würden.
Angesichts von so viel Harmonie hatte es der einzige Kritiker naturgemäß schwer. Das Wahlprogramm sei „neoliberal“, sagte Jochen Rasch von der SPD Eimsbüttel-Nord, weil alles auf die Schuldenbremse ausgerichtet sei. Bezeichnend: Während einige Genossen etwas von „Quotendissident“ zischten, hielt die Gegenrede nicht der Bürgermeister oder der Fraktionschef, sondern ausgerechnet der Chef der Jusos – sonst oft letzter Hort des Widerstands. Die SPD setze trotz Schuldenbremse Akzente, sagte Carl Philipp Schöpe unter großem Beifall: „Wir haben den Haushalt konsolidiert und trotzdem die Studiengebühren abgeschafft, trotzdem die Kitagebühren abgeschafft und trotzdem Wohnungen gebaut.“ Olaf Scholz hörte sich das in Ruhe an. Schmunzelte und trank Tee.