Qualitätsstandards in der Medizin sind richtig – aber nur schwer zu messen
Die Idee ist so bestechend wie einfach: Man bezahlt die Krankenhäuser danach, wie gut sie arbeiten. Die Hamburger Gesetzesinitiative von Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) macht die Qualität zu einem Maßstab für die Finanzierung der Kliniken. In dieselbe Stoßrichtung zielt ein Vorhaben der Großen Koalition in Berlin. Auf Bundesebene soll dazu ein eigenes Institut eingerichtet werden. Die Bezahlung wird sich künftig stärker an den Behandlungsergebnissen orientieren.
Prüfer-Storcks war an den Koalitionsverhandlungen der Merkel-Gabriel-Regierung maßgeblich beteiligt. Ihr Einfluss in Hamburg und im Bund ist inzwischen groß. Für die Gesundheitsbranche an Alster und Elbe ist das sicherlich von Vorteil. Doch die Patienten in Hamburg leben im bundesweiten Vergleich noch auf einer Insel der Glückseligen – und Qualität im Gesundheitswesen ist eher ein Kampfbegriff als ein Tabellenplatz wie in der Bundesliga. Denn sonst könnte man ja Spitzenreiter belohnen, Absteiger sanktionieren.
Man sollte mal durchdeklinieren, was Qualität einer Krankenhausbehandlung bedeutet. Vor allem eines: drei Fachleute, vier Meinungen.
Die Krankenkassen wollen teure stationäre Aufenthalte möglichst kurz halten und wenig zusätzliche Untersuchungen bezahlen. Im Übrigen finden sie nach eigener Darstellung Fehler in jeder dritten Rechnung.
Deutsche Klinikärzte spüren den Kosten- und Renditedruck im Nacken, sie operieren aber im weltweiten Vergleich mehr als Mediziner anderswo. Auch in Hamburg, das haben Untersuchungen von Krankenkassen ergeben, liegen die Zahlen von Herzkatheter-Untersuchungen weit über dem Bundesschnitt. Auf der anderen Seite gibt es bei herzschwachen Patienten durchschnittlich weniger Sterbefälle als im Rest der Republik.
Und schließlich sind da die niedergelassenen Ärzte. In Hamburg kämpfen sie oft damit, dass Patienten „blutig“ aus den Krankenhäusern entlassen werden und wegen Komplikationen bald wieder dort landen.
Wo setzt ein Institut hier die Elle für die Qualität an? Vertraut es auf die Kliniken, die Ärzte, die Patienten? Es gibt so viele Rankings im Gesundheitswesen wie Lobbyisten.
Beispiel Hüftoperation: Muss tatsächlich jeder, dem es der Arzt anrät, ein neues Metallgelenk haben? Muss der Hausarzt dem Patienten eine Klinik empfehlen? Oder der Orthopäde? Vielleicht doch besser die Krankenkasse? Oder künftig das neue Institut? Die OP in Klinik X soll ja besonders erfolgreich sein. Doch woran gemessen? An der Zahl der Hüft-OPs? An den wenigen Komplikationen? Am besseren Material? An den guten Pflegern, der guten Physiotherapie? Wer die Bezahlung der Kliniken an der Qualität messen will, muss diese Fragen beantworten.
In Hamburg, Beispiel Hüfte, gibt es praktisch nur gute Häuser. Dasselbe gilt für Herz-Eingriffe, Geburtshilfe, Schlaganfälle und, und, und. In Flächenländern dagegen werden es viele Krankenhäuser schwer haben, sich zu behaupten. Sie werden den neuen Qualitätsstandards in vielen Fällen nicht genügen.
Die Konzentration von Spitzenmedizin in Hamburg wird weitergehen. Die Budgets jedoch sind endlich. Schon heute tobt ein Verteilungskampf, in dem Krankenhaus-Betreiber, Ärzte, Krankenkassen und Medizinprodukte-Hersteller die Ärmelschoner abgelegt haben.
Und man darf sich nichts vormachen: Die Qualität von Krankenhäusern zu bestimmen, das kostet Personal und Geld. Schon heute verschlingt das penible Dokumentieren und Datensammeln reichlich Arbeitszeit von Ärzten und Pflegern. Analog zur Frage, wie sich Qualität bemisst, muss die Politik auch hier eine Antwort finden, wie man das finanziell besser honoriert.