Rechtsmediziner Klaus Püschel als Sachverständiger im Prozess. Anzahl der Gewalteinwirkungen „extrem“. Auch für Püschel ist der Tod von Yagmur ein „außergewöhnlich schwer wiegender Fall“.

Hamburg. Dieser zarte Körper des kleinen Mädchens, geschunden, von Hämatomen übersät und von Narben gezeichnet. Und dann sind da die diversen inneren Verletzungen, mehrere von ihnen potenziell lebensbedrohlich. „Zum Schluss ist das Kind einfach zusammengebrochen“, sagt der Direktor des Instituts für Rechtsmedizin am UKE, Klaus Püschel, über den Tod der kleinen Yagmur. Wie viel Schmerzen muss diese Dreijährige in ihrem viel zu kurzen Leben erlitten haben, wie viel Leid, bevor sie schließlich verstarb – chancenlos, kraftlos, wehrlos. Hoffnungslos ausgeliefert einer offenbar gnadenlosen Gewalt.

Auch für Rechtsmediziner Klaus Püschel, einen äußerst versierten Mann mit jahrzehntelanger Berufserfahrung, ist der Tod von Yagmur ein „sehr ungewöhnlicher und außergewöhnlich schwer wiegender Fall“, erläutert der Sachverständige im Prozess um den Tod des kleinen Mädchens. „In Bezug auf Anzahl und Art der Gewalteinwirkungen ist das extrem.“ Von einem „Geschehen, das sich in den letzten Lebenswochen zugespitzt hat“, spricht der Mediziner. „Dieses Kind hat immer wieder erhebliche Schmerzen davongetragen und sehr, sehr gelitten.“

Es bleibt für den Beobachter verborgen, was Yagmurs Mutter Melek Y. in diesen Augenblicken empfinden mag, da die Leidensgeschichte ihrer Tochter durch die Aussage des Gerichtsmediziners so offensichtlich wird. Das Gesicht der 27-Jährigen, die laut Anklage das kleine Mädchen ermordet hat, die „aus Hass auf ihre Tochter und ohne jedes Mitgefühl“ Yagmur immer wieder misshandelt haben soll, wirkt ausdruckslos. Eine Hand hält die zierliche Frau vor Wange und Augen, wie um sich vor Blicken in Schutz zu bringen, ihr Körper bleibt ohne Regung, starr. Und auch Hüseyin Y., der Vater des Mädchens, scheint wie versteinert. Mit hängenden Schultern, das Gesicht stur nach vorn gewandt, folgt der 25-Jährige regungslos dem Geschehen. Ihm wirft die Staatsanwaltschaft vor, nichts gegen die Misshandlungen Yagmurs durch seine Frau unternommen und so mitverantwortlich für den Tod des kleinen Mädchens am 18. Dezember vergangenen Jahres zu sein.

Beide Eltern vermeiden konsequent jeden Blick auf den Partner, als habe sich eine unsichtbare Mauer zwischen ihnen aufgetan. So wie sie auch kein einziges Mal auf die Leinwand schauen, auf der in überdeutlichen Fotos die schweren Verletzungen ihrer Tochter dokumentiert sind. Das Gesicht der Dreijährigen, grün und blau geschlagen, mit großflächigen Hämatomen unter anderem am Kinn, einer Schwellung auf der Stirn und jeder Menge Hautunterblutungen am ganzen Körper zeigen die Bilder, die bei der Sektion von Yagmur entstanden sind. „83 äußerlich erkennbare Verletzungen“, so Rechtsmediziner Püschel, haben die Ärzte bei dem kleinen Mädchen gezählt.

Darüber hinaus hatte sie etliche Narben, die unter anderem von Brandverletzungen stammen können, sowie einen nicht behandelten Armbruch. Ferner habe es „sehr zahlreiche Verletzungen“ an Gehirn und diversen Organen von Yagmur gegeben und eine „komprimierte Gewalteinwirkung auf den Hals“. Die Verletzungen seien „eindeutig misshandlungstypisch“. Es müsse „stumpfe Gewalteinwirkung“ auf Yagmur gegeben haben, also schlagen, quetschen, fest drücken oder auch kneifen, erklärt der Sachverständige. Schon früher, knapp ein Jahr vor dem gewaltsamen Tod von Yagmur, hatte Püschel Anzeige gegen unbekannt erstattet, weil das Kind mit zahlreichen massiven Verletzungen im Krankenhaus behandelt werden musste, unter anderem am Kopf und an der Bauchspeicheldrüse.

Auch Bilder von der inneren Leichenschau der Toten werden im Prozess gezeigt. Püschel erläutert unter anderem ein Foto, das „reichlich flüssiges Blut in der Bauchhöhle“ zeigt. Ein anderes Mal spricht der Rechtsmediziner von einem „sehr blutigen Bild, das ist nicht sehr schön“. Letztlich habe wohl ein Zusammenwirken der diversen Verletzungen zum Tod des Mädchens geführt. Wenn es überhaupt eine einzelne Todesursache gegeben habe, so Püschel, „war der Blutverlust im Bauch vordergründig, durch die eingerissene Leber“.

Nach Überzeugung von Rechtsmediziner Püschel hätte es keines medizinischen Sachverstandes bedurft, um zu erkennen, dass Yagmur in der letzten Zeit vor ihrem Ableben in lebensbedrohlichem Zustand war. „Normal aufmerksame Eltern hätten bei diesem Kind schwerste Krankheitserscheinungen feststellen müssen“, sagt der Sachverständige. „Es hat massiv Schmerzen erlitten und sicherlich immer wieder geweint. Das musste man merken, zumindest in den letzten Wochen. Dass Lebensgefahr bestand, ist eindeutig.“

Für den Mediziner ergeben sich „überhaupt keine Zweifel, dass für normal denkende Eltern sich das als hochgradig bedrohlich dargestellt haben müsste“, und dass „dringend ärztliche Behandlung erforderlich“ gewesen sei. Wenn ein Kind auch Verletzungen am Kopf habe, sei es „ganz selbstverständlich“, dass ein Sterben möglich sei.

Der Prozess gegen die Eltern des getöteten Mädchens wird am Mittwoch fortgesetzt.