Im Prozess wegen Mordes an der dreijährigen Yagmur werden Sequenzen eines scheinbar fröhlichen und unbeschwerten Kindes gezeigt. Drei Wochen, nachdem das Tanzvideo entstand, war die Kleine tot.

Neustadt. Lange schien es, als wollten sie einander partout nicht wahrnehmen. Blicke, die starr nach vorn gerichtet waren oder aneinander vorbei, mit denen die Eltern der kleinen Yagmur im Prozess um den Tod des Mädchens sich gegenseitig ignorierten. Doch jetzt brechen die Emotionen plötzlich aus dem Vater der getöteten Dreijährigen heraus: Es sind wütende Worte, die Hüseyin Y. seiner Ehefrau und der mutmaßlichen Mörderin des Kindes entgegenschleudert.

„Du hast sie umgebracht! Warum weinst du“, übersetzt eine Prozessbeobachterin die türkischen Worte. Zudem springt der Ehemann in hektischer Bewegung von seinem Stuhl auf und wirft in Richtung der 27-jährigen Melek Y. einen Gegenstand, vermutlich ist es eine Gebetskette. Der Vorsitzende Richter muss die Verhandlung für etwa eine halbe Stunde unterbrechen, bis sich die Gemüter wieder halbwegs beruhigt haben.

Es sind Handyvideos, die eine scheinbar fröhliche und unbeschwerte Yagmur zeigen und die das Gericht im Prozess abspielen lässt, die die Gefühle bei dem Angeklagten Hüseyin Y. so hochkochen lassen. Die Videos waren auf dem Smartphone der Mutter Melek Y. gesichert worden, die sich in dem Verfahren wegen Mordes an ihrer Tochter verantworten muss. Sie habe das Mädchen aus Hass getötet, wirft die Staatsanwaltschaft der 27-Jährigen vor. Yagmur war am 18. Dezember vergangenen Jahres aufgrund innerer Verletzungen gestorben, die ihr die Mutter zugefügt haben soll. Über Monate habe Melek Y. immer wieder das Kind verprügelt, gekniffen und geschüttelt, heißt es in der Anklage. Der Vater habe tatenlos zugesehen und nichts gegen die Angriffe unternommen. Dem 25-Jährigen wird Körperverletzung mit Todesfolge durch Unterlassen vorgeworfen. Rechtsmediziner hatten seinerzeit 83 Verletzungen an der Dreijährigen festgestellt. Yagmur lebte zu diesem Zeitpunkt erst wieder seit einigen Monaten bei ihren Eltern. Vorher war sie unter anderem in einem Kinderschutzhaus untergebracht.

Neue Sitzordnung für Yayas Eltern

Erstmals in diesem Prozess um den Tod des Mädchens sitzen dessen Eltern an diesem Verhandlungstag nicht in einer Linie, durch ihre beiden Verteidiger voneinander getrennt, sondern in einem anderen Verhandlungssaal und über Eck. So scheint es für sie schwieriger, den Blicken des anderen auszuweichen. Beim Abspielen der Handyvideos bleibt die Mutter Melek Y. mit dem Rücken zur Leinwand sitzen und wendet sich nicht einmal zu den Bildern von dem Mädchen um. Doch der Vater betrachtet intensiv die beiden Filme mit seiner Tochter. Auf einem tanzt Yagmur im Wohnzimmer der Familie mit einer Puppe im Arm zu Musik. Auf dem anderen Video nähert sich das Mädchen an der Hand eines Erwachsenen, vermutlich der Mutter, einer Art Wasserfontäne. Eine Stimme ermuntert die Dreijährige, in dem kühlen Nass zu planschen.

„Sie wirkt quietschvergnügt“, hat ein Polizeibeamter zuvor aus der Erinnerung seine Eindrücke aus dieser Sequenz beschrieben. Und tatsächlich erscheint Yagmur auf beiden Filmen fröhlich und unbeschwert. Doch ihr Lächeln zeigt offenbar nur einen kleinen Ausschnitt ihres Lebens, denn augenscheinlich war sie zu dieser Zeit schon mehrfach und über längere Zeit misshandelt worden. Und rund drei Wochen, nachdem das Tanzvideo entstand, war die Kleine tot.

Den Zornesausbruch des Vaters, den diese Videos der gemeinsamen Tochter ausgelöst haben, hat die Angeklagte Melek Y. mit ebenfalls scharfen Worten quittiert. „Du mit deinen Drohungen! Jetzt zeigst du dein wahres Gesicht“, hat die Frau ihren Mann daraufhin angezischt. Worauf Hüseyin Y. kontert: „Warte du nur ab!“, lässt der Vorsitzende Richter den verbalen Schlagabtausch ins Protokoll aufnehmen. Wenig später sitzen die beiden Kontrahenten Angeklagte und Angeklagter wieder wie erstarrt da; die Mutter hält ihre Hände vor die Augen und dreht den Kopf zur Seite, als sei sie bemüht, nichts mehr an sich herankommen zu lassen. Yagmurs Vater lässt den Rest des Verhandlungstages mit hängendem Kopf an sich vorbeiziehen.

So auch die Aussage einer Gerichtsmedizinerin, die den Zustand der getöteten Yagmur schildert, nur wenige Minuten nach deren Versterben in der elterlichen Wohnung. Eine Notärztin hatte die Polizei alarmiert, nachdem sie vergeblich versucht hatte, das kleine Mädchen zu reanimieren. Yagmur hatte mehrere Verletzungen wie Schwellungen und Blutergüsse unter anderem im Gesicht, berichtet die Sachverständige. Mehrere Hämatome seien überschminkt gewesen.

Etliche der blauen Flecken seien durch Stürze nicht zu erklären, sagt die Medizinerin. Sie seien vielmehr durch stumpfe Gewalt verursacht worden, wie etwa durch Schläge mit der Hand. Yagmur sei durch innere Blutungen gestorben. Der Prozess wird am Mittwoch fortgesetzt.