Anja Hajduk geht als Spitzenkandidatin der GAL ins Rennen. Die Mitbegründerin der schwarz-grünen Koalition gilt als bisweilen unterkühlt.
Hamburg. Wer einen Berg erklimmen will, geht langsam, stetig. Ein Bergsteiger rennt nicht dem Ziel entgegen, sondern teilt sich seine Kräfte ein, geht Schritt für Schritt und in Ruhe - bis zum Gipfel. So beschreibt Anja Margarete Helene Hajduk eines ihrer liebsten Hobbys - und damit auch irgendwie sich und ihre Art, Politik zu machen.
Sie setzt auf eine langfristige Politik, die "heute schon an morgen denkt". Anja Hajduk scheint geprägt von der Überzeugung, dass "wir mit unserer Lebensweise zu sehr auf Kosten der Umwelt leben". Sie selbst versucht, es besser zu machen, nimmt die Bahn statt den Flieger, verzichtet auf ein Auto und radelt stattdessen. Den Menschen will sie die Ängste vor Veränderung nehmen, will mit Argumenten überzeugen.
+++Das grüne Gefühl+++
Jüngstes Beispiel ist die Stadtbahn. Hajduk ist überzeugt von dem Projekt, sieht es als notwendige Investition in die Zukunft der Stadt. Wieder und wieder ging sie als Stadtentwicklungssenatorin in die Stadtteile, sprach mit Gegnern und Befürwortern, wiederholte die "Vorzüge der Stadtbahn", erläuterte die Fahrgastzahlen, gab Antworten zur Finanzierung, stellte sich den Protesten. Eine Umfrage, in der sich 60 Prozent der Hamburger gegen das Projekt aussprechen, ist für sie kein Grund aufzugeben. "Man darf nicht beim ersten Gegenwind weglaufen", sagt sie. Widerstand scheint für sie Ansporn zu sein.
Anja Hajduk übte schon früh, sich durchzusetzen. Sie wächst als einziges Mädchen mit drei Brüdern in Duisburg auf. Es ist ein christlich geprägtes Elternhaus, "in dem viel diskutiert wurde", sagt sie. Über Alltagsdinge genauso wie über Politik. Immer in der ersten Reihe: Anja Hajduk. "Ich bin wohl diejenige, die sich am intensivsten gestritten und auseinandergesetzt hat", sagt sie.
Ihre kräftige, eher dunkle Stimme trainiert sie nicht nur in den Wortgefechten mit der Familie. Anja Hajduk singt. In Jugendchören, später in Kirchenchören und im Musiktheater. Sie hat ihre Stimme professionell ausbilden lassen. Von Klassik bis hin zum Chanson geht ihr Repertoire.
Heute reicht die Zeit meist nur für den Besuch von Opern. Trotzdem taucht ihre Liebe zur Musik im Alltag immer wieder auf. Ganz unvermittelt, zwischen zwei Wahlkampfterminen auf dem Weg zur Bahn summt sie plötzlich eine Arie. Nur leise, nur für sich. Einen kurzen Moment bleibt der Wahlkampf draußen, und sie versinkt in der Musik.
Erstmals politisch aktiv wird Anja Hajduk 1983. Sie organisiert als Jahrgangssprecherin ihres Gymnasiums in Duisburg-Homberg eine Zugfahrt nach Bonn, um an der großen Friedensdemonstration gegen die Nato-Doppelbeschlüsse teilzunehmen. Schon damals war sie ein politischer Mensch, Parteipolitik überzeugt sie aber noch nicht. Sie beteiligt sich weder in parteilichen Jugendorganisationen noch am AStA.
Anja Hajduk entdeckte an sich die Neigung, mit Menschen zu reden, sie zu überzeugen. Sie sucht etwas, um diese Fähigkeiten weiterzuentwickeln, wählt das Fach Psychologie und kommt zum Studium nach Hamburg. Nach einigen Jahren, die sie im internationalen Jugendaustausch arbeitet, packt Anja Hajduk die Politik dann doch. "Ich wollte mich engagieren", erzählt sie und tritt 1995 der GAL bei.
Einem breiteren Hamburger Publikum wird sie erst 2008 bekannt. Anja Hajduk verhandelt mit Ole von Beust über die schwarz-grüne Koalition. Sie bekommt den Ruf der "harten Verhandlerin". Sogar der politische Gegner schätzt ihre "sachliche Art". In den Annalen wird sie mit dem damaligen Bürgermeister von Beust in einem Atemzug als die "Architektin" der ersten schwarz-grünen Koalition genannt. So hart sie am Verhandlungstisch sein mag, in der Öffentlichkeit trat sie zu diesem Zeitpunkt eher zurückhaltend auf, wirkte oft schüchtern. Das änderte sich. In den drei Regierungsjahren gewinnt Hajduk an Sicherheit. Sie wirkt heute souveräner. Der ganz große Auftritt ist noch immer nicht ihre Sache. Sie hält nicht viel von Inszenierung, vom Pompösen. Hajduk konzentriert sich lieber auf den Kern. Es gibt Menschen, die nennen sie deshalb kühl, eher unscheinbar. Sie selbst sieht sich nicht so. "Ich bin eigentlich ein temperamentvoller Mensch", sagt sie von sich.
Und tatsächlich: Wer Anja Hajduk bei einem Besuch in Wilhelmsburg beobachtet, wer sie am Neujahrsempfang vor mehr als 1000 Menschen sprechen hört, der kann etwas von diesem Temperament sehen. Mit Nachdruck und geballter Faust vertritt sie die grünen Ansichten. Ihre geschulte Stimme unterstreicht den Eindruck.
Der Kampf scheint ihr Spaß zu machen. Sie geht dorthin, wo es wehtut. Die Verlegung der Wilhelmsburger Reichsstraße bringt viele Menschen in Hamburgs Süden gegen Anja Hajduk auf. Ein Grund für sie, regelmäßig zu Gesprächsrunden vor Ort zu sein. Sie setzt sich mit ihren Kritikern auseinander, redet über die Vorteile des Lärmschutzes und der steigenden Lebensqualität nach der Bauphase - und trinkt im Anschluss an den öffentlichen Teil mit den Bürgern ein Bier und diskutiert stundenlang weiter. Anja Hajduk ist ein fröhlicher Mensch, aber auch eine Person mit Ecken und Kanten. Ihre Ungeduld macht dem einen oder anderen Mitarbeitern zu schaffen. Läuft es anders, als sie sich das vorstellt, kann sie sehr deutlich werden, fährt - ähnlich wie Finanzminister Schäuble - auch mal einen Sprecher vor der versammelten Presse an. Sie hat es wohl ihrem Hang zur Harmonie zu verdanken, dass aus solchen Situationen keine nachhaltigen Verstimmungen entstehen.
Auch für Anja Hajduk gibt es Zeiten ohne Politik. Dass sie mit Ex-Schulsenatorin Ute Pape zusammenlebt, ändert daran nichts. An der Haustür ist Schluss. "Zu Hause zu sein, heißt auch, von Politik abzuschalten und anderen Dingen, die im Leben wichtig sind, einen Platz zu geben." Doppelkopf ist für Anja Hajduk so ein Ding ...