Senats-Beauftragter übt Kritik an Bezirken. Baulücken, nur weil Reptilien Platz brauchen? Architekten-Bund warnt vor “Overkill“ durch Vorschriften.
Hamburg. Wohnungsbauprojekte werden in den Hamburger Bezirken mit zum Teil absurden Forderungen zum Naturschutz ausgebremst. Das beklagt der Wohnungsbau-Koordinator des Senats, Michael Sachs. "Die Entscheidungen werden nicht immer im gesamthamburgischen Interesse gefällt", sagte er vor mehr als 100 Architekten, Stadtplanern und Behördenmitarbeitern beim Architektur Club.
Als Beispiel nannte Sachs ein Projekt in Barmbek, wo der Bau eines viergeschossigen Wohnhauses inmitten dichter Bebauung auf Eis liegt, weil durch die Schließung der Baulücke Säugetiere, Reptilien und Insekten "beeinträchtigt" seien. Die Baulücke diene dem "Austausch der Arten", heißt es in einem Bezirkspapier dazu. "Muss da wirklich eine Lücke bleiben, damit Insekten nach draußen fliegen können?", fragte Sachs. Wolfgang Kopitzsch, Bezirksamtsleiter Nord, lässt die Kritik nicht gelten. Sachs möge sich lieber um die "großen Themen" kümmern anstatt um kleine Eidechsen, sagte er dem Abendblatt.
+++ Wachtelkönig lässt grüßen +++
Barmbek ist indes kein Einzelfall. In Altona verlangen Bezirkspolitiker für den Kiebitz Austauschflächen, weil dieser angeblich von einem Gebiet in Othmarschen, direkt an der Autobahn, verdrängt wird. Und in Mundsburg, direkt gegenüber dem Einkaufszentrum, verhinderte der Fund von Fledermauskot, dass ein großer Baukonzern - die Strabag - dort seine Zentrale bauen kann. In Eimsbüttel stoppte ein Bürgerbegehren den Neubau eines Hauses mit Argumenten des Naturschutzes - die allerdings sogar der Naturschutzbund für haltlos hält.
Vor einem "Overkill" durch Vorschriften warnt Karin Loosen, Chefin vom Bund Deutscher Architekten. Sie fordert "differenziertere Vorschriften". Andy Grote, stadtentwicklungspolitischer Sprecher der SPD-Bürgerschaftsfraktion, beklagt, dass der Wohnungsbau in Hamburg keinen Vorrang habe. "Umweltschutz ist auch in einer Großstadt ein wichtiges Ziel, darf aber nicht als Totschlagargument missbraucht werden", sagt er. Manche Bedenken der Bezirke muteten angesichts der Lage auf dem Wohnungsmarkt "bizarr" an. Er fordert: "Der Wohnungsbau-Koordinator Michael Sachs muss mehr Rechte erhalten und endlich mit echten Entscheidungskompetenzen ausgestattet werden."
Die Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU) wollte sich gestern nicht zu der Frage äußern, ob der Naturschutz Bauprojekte unnötig verzögere oder gar stoppe. BSU-Sprecher Enno Isermann sagte: "Dem Wohnungsbau wurde seit Jahren nicht mehr diese Priorität beigemessen." Dennoch müsse auch auf die notwendigen umwelt- und naturschutzrechtlichen Regelungen Rücksicht genommen werden. Peter Hitpaß, Sprecher des Verbandes norddeutscher Wohnungsunternehmen, baut jetzt auf Michael Sachs. "Wir setzen große Hoffnungen darauf, dass der Wohnungsbau-Koordinator den gordischen Knoten durchschlagen kann", sagt Hitpaß. Neubauvorhaben der Mitgliedsunternehmen scheiterten vielfach an bürokratischen Hemmnissen in den Hamburger Bezirken. "Bürgerinitiativen und Partikularinteressen verhindern und verzögern vor Ort wichtige Projekte."