Die Stadt stöhnt über “Sparmaßnahmen“. Dabei hat Hamburg bis Ende Juni bereits 290 Millionen Euro mehr an Steuern eingenommen.
Hamburg. Eltern starten eine Volksinitiative gegen hohe Kita-Gebühren, Kulturschaffende sind in Aufruhr wegen der Schließung des Altonaer Museums und Kürzungen am Schauspielhaus, Juristen zweifeln an der Rechtmäßigkeit geplanter neuer Gebühren wie der "Unfallgebühr" oder der "Kulturtaxe" - kurz: Die Stadt stöhnt unter und streitet über "Sparmaßnahmen" des Senats. Doch Schwarz-Grün unter Bürgermeister Christoph Ahlhaus (CDU) bleibt hart und verweist auf ein strukturelles Defizit von 510 Millionen Euro pro Jahr, das es zu beseitigen gilt. Erst am Dienstagabend hatten Ahlhaus und die CDU-Senatoren auf einer Parteiveranstaltung ihr Festhalten am Sparkurs bekräftigt.
Eine Drucksache, die der Senat jetzt der Bürgerschaft zugeleitet hat, wirft jedoch die Frage auf, wie schlecht es Hamburg finanziell wirklich geht. Wie aus der mehr als 200 Seiten starken Unterlage hervorgeht, hat Hamburg bis Ende Juni bereits 290 Millionen Euro mehr an Steuern eingenommen als im Haushaltsplan veranschlagt: 3,986 statt geplanter 3,696 Milliarden. Hochgerechnet könnten am Jahresende Mehreinnahmen von 580 Millionen Euro stehen. "Es würde mich nicht überraschen, wenn es noch mehr wären", sagt SPD-Finanzexperte Peter Tschentscher. Grund für seinen Optimismus: Die wirtschaftliche Erholung mit allen positiven Nebeneffekten - mehr Gewerbe- und Einkommenssteuer, niedrigere Ausgaben für Bezieher von Sozialleistungen - hat noch gar nicht voll auf den Haushalt durchgeschlagen. Auch Joachim Bischoff, Haushaltsexperte der Linkspartei, kalkuliert diesen "nachlaufenden Effekt" ein und erwartet sogar Mehreinnahmen von 700 bis 800 Millionen Euro.
Derartige Rechnungen weist die Finanzbehörde als unzulässig zurück. "Wir erkennen die Tendenz, spekulieren aber nicht", sagt Daniel Stricker, Sprecher von Finanzsenator Carsten Frigge (CDU). Für belastbare Voraussagen sei der Arbeitskreis Steuerschätzung zuständig, dessen Prognose am 16. November vorgestellt werde.
Doch ob es nun 500 Millionen, 600 oder gar 800 werden: Die Frage wird in jedem Fall sein, wie die Stadt mit dem unverhofften Geldsegen umgehen will. GAL-Fraktionschef Jens Kerstan nennt zwei Punkte: "100 Millionen an Mehreinnahmen sind bei den jetzigen Sparplänen des Senats für 2011 schon berücksichtigt." Denn die Sparbeschlüsse vom September entwickeln erst langfristig ihre volle Wirkung, anfangs schließen sie das 510-Millionen-Loch nur zu vier Fünfteln. Zweitens sieht der GAL-Finanzexperte einen Effekt, der auf jeden Fall eintreten dürfte: "Durch das Einnahme-Plus können wir vermutlich schon im laufenden Jahr weniger Neuschulden aufnehmen alsgeplant."
Das bestätigt die Drucksache des Senats: Bis Ende Juni wurde von der genehmigten Rekord-Neuverschuldung in Höhe von 2,1 Milliarden Euro noch kein Cent aufgenommen. Dass die Summe, zu der sogar noch 700 Millionen "Rest" aus 2009 hinzukommen, weil damals von der genehmigten Neuverschuldung von 1,6 Milliarden auch "nur" 900 Millionen in Anspruch genommen wurden, ausgeschöpft wird, gilt als höchst unwahrscheinlich. Bischoffs Befürchtung, Schwarz-Grün könnte 2010 mehr Schulden machen als nötig, um im Wahlkampf Ende 2011/Anfang 2012 "für gute Stimmung" im Volk zu sorgen, weist die Finanzbehörde energisch zurück: "Wir nehmen nur so viele Kredite auf, wie wir benötigen, um die Deckungslücke zu schließen."
Während Bischoff den Senat auffordert, das Sparpaket abzumildern, weil es "gesellschaftspolitisch fahrlässig" sei, die Nachfrage zu dämpfen, hat Tschentscher eine andere Sorge: "Die höheren Einnahmen sind ja erfreulich, aber bei diesem Senat besteht die Gefahr, dass die Haushaltsdisziplin gleich wieder verloren geht und die Ausgaben erhöht werden." Die entscheidende Unterlage, aus der das hervorgeht, liegt aber noch nicht vor: der Haushalt 2011/2012. Der Senat will ihn Ende November ins Parlament einbringen.