Hamburgs Kulturpolitik kommuniziert schlecht. Sie trifft unplausible Entscheidungen, schafft mit überdurchschnittlich viel Geld vor allem Frust
Altonaer Museum und Schauspielhaus sollen gerettet werden: Darin sind wir uns schnell einig. Schwieriger wird es bei der Frage, woher die Probleme kommen und wie sie gelöst werden sollen. Feuilletonredakteure der "Zeit" und der "FAZ" haben vorgerechnet, dass Hamburg nur zwei Prozent seines Haushalts für Kultur ausgibt, Leipzig aber 15 Prozent und Berlin sowieso viel mehr. Der Vergleich ist sinnlos: Leipzig ist kein Bundesland und hat keine Schulen, Universitäten, Polizei, Gerichte und Gefängnisse zu finanzieren.
Wenn man vergleichen will, dann muss man die Kulturausgaben der Städte pro Einwohner anschauen. In Hamburg sind das 149 Euro im Jahr, ohne die Baukosten für die Elbphilharmonie (!) und ohne Sport und Medien. In Leipzig 143 Euro. Und in Berlin stehen im Landeshaushalt lediglich 130 Euro pro Einwohner. Allerdings kommen dort Bundesmittel für die Hauptstadt dazu in Höhe von 53,8 Millionen Euro, was den Pro-Kopf-Betrag auf 146 Euro steigert. Resultat: Hamburg gibt pro Einwohner mehr Gelder für Kultur als die vom Feuilleton gefeierten Vorzeigestädte.
Wenn man den lauten Klagen glauben darf, dann ist Hamburgs Kultur aber langweiliger und weniger attraktiv. Ausweislich der Zahlen kann das nicht am fehlenden Geld und an der knausrigen Pfeffersackmentalität der Hansestadt liegen. Dann kann die behauptete Misere der Kultur in Hamburg nur zwei Gründe haben: Entweder wird Kultur teurer produziert als in den gelobten Städten. Oder die hiesigen Produzenten sind nicht so erfolgreich, was den zahlenden Publikumszuspruch angeht.
Es ist kein Naturgesetz, dass für die Hauptbühne des Schauspielhauses (die größte der Republik) 180 000 Zuschauer für 2010 kalkuliert werden, für das kleinere Thalia 220 000. Und wenn das Schauspielhaus nicht nur 2,3 Millionen Euro, sondern wie das Thalia 3,7 Millionen Euro Erträge aus eigenen Vorstellungen erwirtschaften würde, dann wären die angedrohten Kürzungen von 1,2 Millionen Euro kein Problem. Jürgen Flimm hielt sogar Selbstfinanzierungsraten von 30 Prozent für realisierbar. Das Schauspielhaus schafft 16 Prozent. Das liegt nicht daran, dass dort so rasant innovatives Theater gemacht worden wäre. Für die Berufung schwacher Intendanten ist aber die Leitung der Kulturbehörde verantwortlich. Trotzdem kann man dem Schauspielhaus nicht von heute auf morgen 1,2 Millionen Kürzung abverlangen. Der Spielplan fürs nächste Jahr steht ja schon. Künftig ist aber nicht verboten, mehr zahlendes Publikum ins Theater zu ziehen.
Ein anderes Thema sind die historischen Museen. Die sind wegen der Geschichte Hamburgs bunter und zahlreicher als anderswo. Gegenwärtig bekommen sie von der Stadt 12,5 Millionen für zehn Standorte. Das ist zu wenig für so viele. Resultat: Immer weniger Leute gehen hin. Dabei hat Hamburg eine einmalige Geschichte als eine der letzten europäischen Stadtrepubliken. Eben diese Stadtrepubliken haben den Boden für den Gedanken der Freiheit in der ganzen Welt bereitet. Ein solches Thema haben nicht viele Städte, aber die Museen müssen die Gelegenheit haben, sie zu erzählen. Wenn jetzt 3,5 Millionen gekürzt werden sollen wegen Schließung des Altonaer Museums, dann ist diese Möglichkeit dauerhaft verschlossen.
Die Stiftung Historische Museen sollte sich auf ihre vier Haupthäuser konzentrieren dürfen und zwischen ihnen eine vernünftige Arbeitsteilung entwickeln - mit dem bisherigen Etat.
Und die Einsparungen, die durch das von der Großen Koalition beschlossene und im Grundgesetz verankerte Verschuldungsverbot unabweisbar werden? Sieben Millionen Euro sind etwa 3,5 Prozent der laufenden Ausgaben im Kulturbereich. Man musste sie nicht akzeptieren, wenn man gefragt wird, ob man den Job als Kultursenator macht. Aber wenn man sie akzeptiert hat, dann wäre es sinnvoller, sie auf alle Einrichtungen gleichmäßig zu verteilen. Mit der Maßgabe, dass die aus der geplanten Kulturabgabe erwarteten 7,5 Millionen im Wettbewerbsverfahren für besonders gute Projekte vergeben werden. Wer sich bewegt, kann überleben!
Die kulturelle Szene in Hamburg und die öffentliche Meinung in der gesamten Republik nehmen Hamburg heute als kulturfeindliche Stadt wahr. Von den objektiven Daten her müsste das nicht der Fall sein. Es bleibt nur der Schluss: Hamburgs Kulturpolitik erklärt und kommuniziert schlecht. Sie trifft unplausible Entscheidungen, schafft mit überdurchschnittlichem Geld überdurchschnittlichen Frust und erzeugt ein verheerendes Presseecho deutschlandweit, das keine Hamburg-Marketing-Agentur übertönen kann.