Vereinbarungen mit Bund entlasten Stadt um mindestens 100 Millionen Euro jährlich. Scholz schließt Schuldenstopp vor 2019 nicht mehr aus.
Hamburg. Es war nur ein kurzer Einschub, scheinbar beiläufig dahergesagt. Aber er ließ aufhorchen. "2019, und wenn die Konjunktur uns lacht, vielleicht auch früher", waren gestern die Worte von Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) mit Blick auf das Ziel, Haushalte ohne Neuverschuldung aufzustellen. Bemerkenswert war das insofern, als Scholz es bislang stets vermieden hat, den Eindruck zu erwecken, die Stadt könne auch früher als mit dem Haushalt 2019/2020 ohne Kredite auskommen. Allen Forderungen, zum Beispiel von CDU und FDP, als eines der reicheren Bundesländer doch schon 2015 oder 2016 anzupeilen statt die für Armenhäuser wie Bremen gesetzte Marke 2020, hatte Scholz eine Absage erteilt. 2019/2020 einzuhalten werde hart genug, so war sein Credo.
Die vorsichtige Aufweichung dieses Kurses hat einen Namen: Fiskalpakt. Als einem der Verhandlungsführer der Bundesländer war es Scholz am Sonntag gelungen, dem Bund weitreichende finanzielle Zusagen abzuringen. Diese Vereinbarungen werden Hamburg um mindestens 100, möglicherweise sogar mehrere Hundert Millionen Euro entlasten - und zusammen mit der äußerst guten konjunkturellen Lage sieht nun wohl auch der Bürgermeister etwas mehr Spielraum für einen schnelleren Einstieg in den Schuldenstopp. Im Gegenzug werde Hamburg dem Fiskalpakt am Freitag im Bundesrat zustimmen.
+++ Finanzlexikon +++
+++ Bürgermeister Scholz zufrieden mit Fiskalpakt +++
Hintergrund sind Verpflichtungen des Bundes gegenüber der EU, das gesamtstaatliche Defizit (also von Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialkassen insgesamt) auf unter 0,5 Prozent zu halten. So einer Zusage wollten die Akteure nur zustimmen, wenn sie von gewissen Risiken frei gehalten werden. Sonst hätte beispielsweise ein finanzielles Loch bei den Krankenversicherungen dazu führen können, "dass wir ein Sparpaket in Hamburg auflegen müssen", umriss Scholz die Bedrohung. "Diese Gefahr ist jetzt komplett weg." Damit übernehme der Bund erstmals Verantwortung für die Finanzen der Länder, betonte Scholz. So könne Hamburg dem Fiskalpakt und dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) zustimmen.
Die größte Entlastung für die Länder soll ein "Bundesleistungsgesetz" bringen. Es soll regeln, dass der Bund sich an Kosten beteiligt, auf deren Entwicklung die Länder keinen Einfluss haben. Konkret im Blick sind die Eingliederungshilfen für Menschen mit Behinderung, die in Hamburg seit 2007 von 310 auf 350 Millionen Euro gestiegen sind. Mindestens ein Drittel dieser Ausgaben soll künftig der Bund übernehmen - allein das würde Hamburg um gut 100 Millionen Euro entlasten. Bayern fordert gar, dass Berlin diese Ausgaben von 2014 an komplett übernimmt. Dazwischen werde man sich vermutlich irgendwo einigen, sagte Scholz. Allerdings wird das Gesetz erst nach der Bundestagswahl 2013 erarbeitet und folglich nicht vor 2014 wirksam.
Bereits 2013 soll es erste gemeinsame Anleihen von Bund und Ländern ("Huckepackverfahren") geben. Wie Finanzsenator Peter Tschentscher (SPD) gestern sagte, habe der Bund um bis zu 0,5 Prozentpunkte günstigere Kreditkonditionen. Selbst wenn Hamburg keine neuen Schulden mehr machen würde, könnte er 15 bis 20 Millionen sparen, da jährlich für etwa drei bis vier der 25 Milliarden Euro Schulden der Stadt neue Konditionen ausgehandelt werden müssten. Es gehe nicht darum, billig neue Schulden machen zu können, sondern um "sparsamen Umgang mit Steuergeld", so Tschentscher.
Etwa zehn bis 20 Millionen Euro pro Jahr wird Hamburg zudem vom Bund für die Grundsicherung im Alter erhalten. Weitere zehn bis 15 Millionen fließen einmalig für den Krippenausbau sowie ein kleiner einstelliger Millionenbetrag jährlich für den Betrieb von Kindertagesstätten. Scholz betonte, dass es trotz des warmen finanziellen Regens bei der Begrenzung des Ausgabenanstiegs auf maximal ein Prozent bleibe. Erst wenn die Stadt Überschüsse erwirtschafte, könne man überlegen, ob davon auch ein Teil "für etwas Schönes" verwendet werden könnte, so Scholz.
SPD-Fraktionschef Andreas Dressel und Haushaltsexperte Jan Quast nannten die Vereinbarungen zum Fiskalpakt einen "großen Erfolg für Hamburg". Die Entlastungen würden es leichter machen, die gemeinsam mit Grünen und FDP beschlossene Schuldenbremse 2019/2020 einzuhalten. FDP-Fraktionschefin Katja Suding begrüßte die Vereinbarungen ebenfalls, mahnte aber, neue Spielräume dürften vom Senat "nicht für neue Wahlgeschenke verfrühstückt werden". Ziel müsse es sein, schnellstmöglich einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen.
Auch CDU-Haushaltsexperte Roland Heintze lobte, wie die Länder ihre Interessen vertreten haben. "Der Finanzsenator muss jetzt aber durchrechnen, ob der der Schuldenstopp nicht doch früher einzuhalten ist." Eventuell müssten der Haushalt oder zumindest die Finanzplanung des Senats angepasst werden.
Die Linke kritisierte "die rücksichtslose Kürzungswut im Rahmen des Fiskalpakts". Sie werde die ärmeren Teile der Bevölkerung treffen. Das sei mit ihr nicht zu machen.