Auf dem Sonderparteitag riefen mehrere Delegierte dazu auf, gegen den Pakt zu stimmen. Benötigt wird eine Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat.
Berlin. Die Grünen haben sich auf ihrem Sonderparteitag zum Fiskalpakt eine heftige Kontroverse geliefert. Mehrere Redner forderten die Delegierten am Sonntag in Berlin dazu auf, sich gegen den Pakt zur Haushaltskonsolidierung in Europa zu wenden, weil Krisenstaaten nicht beim Schuldenabbau geholfen werden solle. Die Grünen hatten sich bei der Bundesregierung nicht durchsetzen können mit der Forderung nach einem Altschuldentilgungsfonds.
"Wir haben es nicht geschafft“, räumte Parteichef Cem Özdemir ein. Doch sollten die Delegierten trotzdem Ja zum Fiskalpakt sagen. Die greifbare Finanztransaktionssteuer und Wachstumshilfen seien Erfolge. Ein Schuldentilgungsfonds werde früher oder später kommen.
Özdemirs Vorgänger Reinhard Bütikofer, heute Europaabgeordneter, entgegnete: "Das ist kein Schönheitsfehler. Das ist nichts, worüber man sagen kann: Irgendwann kommt's.“ Der Euro drohe auseinanderzufliegen. Fraktionschefin Renate Künast entgegnete, die Grünen hätten viel erreicht und beim noch nicht Erreichten ein Fuß in die Tür bekommen. "So, lieber Reinhard, funktioniert Politik.“ Mehrere Mitglieder von Künasts Fraktion sprachen sich aber gegen ein Ja zum Fiskalpakt aus. Die Debatte wurde durch viele Zwischenrufe unterbrochen. Abstimmungen wurden für den Nachmittag erwartet.
Schreckgespenst Sparfessel
Derweil geht es im Kanzleramt seit acht Wochen zu wie auf einem Basar. Ronald Pofalla kommt als Chef der Regierungszentrale die unangenehme Aufgabe zu, die ganzen Begehrlichkeiten von SPD, Grünen und Bundesländern irgendwie so unter einen Hut zu bringen, dass sie den europäischen Fiskalpakt für mehr Spardisziplin mittragen. Ohne ihre Zustimmung würde das Prestigeprojekt von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) scheitern - Deutschland wäre blamiert in ganz Europa, und der Euro würde wahrscheinlich noch dramatischer unter Druck geraten.
Im politischen Berlin dreht sich seit Wochen durch die Zuspitzung der Eurokrise fast alles nur noch um die Rettung der Währung. Der Fiskalpakt und der mit 500 Milliarden an Notkrediten ausgestattete Rettungsschirm ESM sind wichtige Bestandteile dafür. Es sind die immer gleichen Bilder am Kanzleramt. Eine schwarze Limousine fährt vor. Akten werden unter den Arm geklemmt. Hinein ins Kanzleramt. Einige Stunden später wieder raus. Die Limousine fährt ab.
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Am Sonntagnachmittag sollte die womöglich entscheidende Runde mit den Bundesländern stattfinden. Eingeladen waren auch Finanzminister Wolfgang Schäuble und Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP). Die Fraktionen von SPD und Grünen hatten bereits am Donnerstag Zustimmung zugesichert. Sie ergatterten auf Pofallas Basar die Einführung einer Finanztransaktionssteuer und ein Votum für bis zu 180 Milliarden Euro an Wachstumsimpulsen durch die Europäische Investitionsbank.
In Berlin wird heftig gestöhnt über die Bundesländer, die zuletzt den Preis für ein Ja immer weiter hochgetrieben hatten. Da der Pakt Klagemöglichkeiten gegen Deutschland bei schludriger Haushaltsführung ermöglicht und enge Sparfesseln anlegt, ist in Bundestag und Bundesrat eine Zwei-Drittel-Mehrheit notwendig. Bayern will weitere Milliardensummen für seine Straßen, alle Länder zusammen dringen auf eine schrittweise Übernahme der Eingliederungshilfen für behinderte Menschen, die bereits 12 bis 13 Milliarden Euro jährlich kosten.
Bund gegen Länder
Das Kernproblem: Die Länder wollen finanzielle Zugeständnisse, der Bund will aber bisher kein Geld rausrücken und sich nicht erpressen lassen. Die Brücke, die Kanzlerin Angela Merkel gebaut hat: Der Bund garantiert den Ländern, dass er mögliche Strafzahlungen übernimmt, wenn der Staat Sparverpflichtungen des Fiskalpakts nicht einhält. Also, dass die Länder gerade für die hoch verschuldeten Kommunen nicht in Mithaftung genommen werden. Doch reicht das? "Wenn man in Berlin stur bleiben sollte, tritt eine schwierige Situation ein“, warnt Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU), der gerade nicht nur beim Streitthema Betreuungsgeld auf Krawall gebürstet ist.
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Warum aber dieses Geschacher um den Fiskalpakt? 25 Seiten lang ist der "Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion“. Doch die haben es in sich. So manchem Kämmerer und auch so manchem Ministerpräsidenten ist erst nach der Lektüre aufgegangen, wie tiefgreifend dieser Vertrag in ihrer Haushalte eingreifen könnte. Durch die steigende Schuldenlast der Kommunen könne der Fiskalpakt mittelfristig dazu führen, dass die Länder Haushaltsüberschüsse erzielen müssen, sagt SPD-Chef Sigmar Gabriel. Das jährliche Defizit von Bund, Ländern und Kommunen soll künftig 0,5 Prozent der Wirtschaftskraft nicht mehr übersteigen.
Die Folge wäre, dass es nur noch wenig Handlungsspielräume geben würde, gerade wenn die Wirtschaft nicht brummt. Vor dem Hintergrund muss vielleicht auch Seehofers Forderung nach mehr Bundesgeld für den Straßenbau verstanden werden. Im Mai waren bereits erstmals seit zwei Jahren die Steuereinnahmen wieder gesunken – zudem könnte bei EU-Sparauflagen die Haushaltsautonomie der Länder bedroht sein.
Özdemir: Länder nicht zu sehr gängeln
Grünen-Chef Özdemir betont, dass die Länder nicht zu sehr gegängelt werden dürften, sonst drohe die Akzeptanz für Europa zu schwinden. "Wenn wir Europa nicht gegen die Wand fahren wollen, dann brauchen auch die Menschen in einem verhältnismäßig reichen Land wie Deutschland die Erfahrung, dass Schwimmbäder in den Kommunen nicht geschlossen werden und die Schulen nicht verkommen“, sagt Özdemir.
Es geht bei der Eurorettung auch um den Kern der Demokratie, dass Parlamente in Bund wie Ländern nicht zu Statisten degradiert werden. Für das Bundesverfassungsgericht sind die Einschnitte durch den Fiskalpakt anscheinend so komplex, dass es angesichts der angekündigten Klage der Linken nach dem Beschluss in Bundestag und Bundesrat erst einmal eine Eilprüfung machen möchte. Für den Fiskalpakt, der erst ab 2013 gelten soll, ist das nicht so sehr das Problem. Da Merkel aber ein Paket mit dem neuen Euro-Rettungsschirm ESM geschnürt hat, droht eine schwierige Situation. Denn der ESM sollte am 1. Juli starten. Angesichts der Lage in Spanien und Italien müsste der Schirm sehr schnell aufgespannt werden. Sonst gibt es am Ende einen mühsam errungenen Fiskalpakt, aber nicht mehr 17 Staaten, in denen mit dem Euro bezahlt wird.
Mit Material von dpa