Steuerschätzung prognostiziert ein Plus von 673 Millionen Euro in diesem Jahr. 2012 vielleicht höchsten Steuereinnahmen der Geschichte.
Hamburg. Dieser eine Satz war ihm sehr wichtig, daher hat Peter Tschentscher ihn mehrfach wiederholt. "Wir schwimmen jetzt nicht im Geld, wir schwimmen nach wie vor in Schulden." Dass dem Hamburger Finanzsenator diese Feststellung so wichtig war, liegt an den Zahlen zur Steuerschätzung, die er zuvor verkündet hat. Denn die könnten, oberflächlich betrachtet, den falschen Eindruck erwecken, Tschentscher sei jetzt der Dagobert Duck der Hansestadt.
Um 673 Millionen Euro sollen die Steuereinahmen in diesem Jahr höher ausfallen als vor einem Jahr geschätzt und damit bei 8,093 Milliarden Euro liegen. Im kommenden Jahr sollen es 689 Millionen Euro mehr sein als bislang geschätzt. Wird diese Prognose Realität, würde Hamburg im Jahr 2012 mit 8,775 Milliarden Euro die höchsten Steuereinnahmen seiner Geschichte erzielen. Der bisherige Rekord datiert aus dem Boomjahr 2008, als 8,766 Milliarden Euro in der Stadtkasse verblieben.
Allerdings können die Steuerschätzer auch mal danebenliegen (siehe Grafik). Zum anderen sind es genau die Erfahrungen aus 2008, als der neue schwarz-grüne Senat die sprudelnden Einnahmen fast eins zu eins in neue Ausgaben umwandelte, die den SPD-Politiker Tschentscher dazu veranlassen, den Blick von den hohen Einnahmen abzulenken auf die nach wie vor immensen Schulden der Stadt. "Keinesfalls dürfen wir Steuermehreinnahmen dazu nutzen, die Ausgaben zu erhöhen", stellte der Finanzsenator unter Verweis auf "Fehler der Vorgängersenate" klar.
Die 673 Millionen will Tschentscher vor allem zum Stopfen von Löchern und zur Senkung der Verbindlichkeiten einsetzen. Im Einzelnen heißt das: Die Stadt tilgt ein teures Darlehen der Wohnungsbaukreditanstalt über 200 Millionen Euro und spart so zehn Millionen Euro Zinsen pro Jahr.
207 Millionen Euro werden an den Hamburgischen Versorgungsfonds überwiesen. Dieser Topf, aus dem Pensionen für Beamte bezahlt werden, hatte 710 Millionen Euro Vermögen verloren, als die von ihm gehaltenen Aktien der HSH Nordbank massiv an Wert verloren hatten. 2012 und 2013 müssen ihm daher weitere gut 500 Millionen überwiesen werden.
Mir den restlichen 266 Millionen sollen der Griff in die Rücklage und die Neuverschuldung reduziert werden. Dennoch wird Hamburg auch in diesem Jahr rund 650 Millionen Euro neue Kredite aufnehmen müssen. Daher hält der Senat an seinem Ziel fest, erst 2020 ohne Neuverschuldung auszukommen - wie es die gesetzliche Schuldenbremse ohnehin vorschreibt.
Erschwert wird das auch durch die Umsetzung teurer Wahlversprechen wie die Senkung der Kitagebühren und die Erhöhung des Kulturetats sowie durch das Entgegenkommen bei der Beamtenbesoldung. Statt der von Schwarz-Grün geplanten 180 Millionen Euro pro Jahr will die rote Rathausmehrheit "nur" etwa 80 bis 100 Millionen beim Weihnachtsgeld der städtischen Beamten sparen (siehe weiteren Artikel rechts). Tschentscher räumte ein, dass der ohnehin geplante Abbau von 250 Stellen pro Jahr in der Verwaltung daher noch kräftiger ausfallen könnte.
Die grundsätzliche Ausrichtung der Finanzpolitik wird von den vier Oppositionsfraktionen im Kern zwar mitgetragen. Allerdings fordern sie eine schnellere Konsolidierung (CDU, FDP und GAL) beziehungsweise mehr Bemühung um höhere Einnahmen, zum Beispiel aus der Vermögenssteuer (Linke). "Wir sind überzeugt, dass Finanzsenator Tschentscher die Kreditaufnahme bis 2015 halbieren kann", sagte Anja Hajduk, Finanzexpertin der GAL. "Die Neuverschuldung kann noch vor 2020 auf null sinken. Das bedeutet auch, dass die Schuldenbremse vor diesem Datum greifen muss."
"Dass es Hamburg besser geht, liegt an den hart arbeitenden Bürgern und Unternehmen", sagte die FDP-Fraktionsvorsitzende Katja Suding. "Wenn die SPD nicht so teure Wahlversprechen gemacht hätte, könnte die Entschuldung schneller voranschreiten." Auch die rund 100 Millionen für den Kompromiss bei der Beamtenbesoldung und die 40 Millionen, die den Hochschulen durch den Wegfall der Studiengebühren jährlich fehlen werden, seien noch nicht gedeckt.
Joachim Bischoff (Linkspartei) forderte, die Hälfe der absehbaren Steuermehreinnahmen in "unterfinanzierte Bereiche" wie Schulen, Universitäten, öffentlich geförderten Wohnungsbau und in die Arbeitsmarktpolitik zu investieren. "Dies würde zur Stärkung der regionalen Wirtschaft durch mehr Einkommen und Wertschöpfung führen."