Winsen. Nach drei EM-Teilnahmen beendet die Hindernisläuferin ihre Karriere in Winsen. Am Montag beginnt ihr Volontariat.
„Das ist das Ulkigste, was ich ja erlebt habe. Kim, das gibt’s doch nicht. Das war das Beste zum Schluss.“ Völlig aus dem Häuschen war Jana Sussmann nach dem letzten Lauf ihrer langen und erfolgreichen Karriere. Die Wort sprudelten nur so aus ihr heraus. Dort, wo alles begonnen hatte, bei der Abendlaufserie in Winsen, wollte sie auch von der Laufbahn verabschieden. Und die Macher ihres ersten Vereins, der Leichtathletik-Gemeinschaft (LG) Nordheide, hatten sich eine Überraschung einfallen lassen. Scheinbar wussten fast alle auf der Sportanlage der Berufsbildenden Schulen Bescheid, nur eben Jana Sussmann nicht.
Starter Jens Möller treibt die Spannung auf den Höhepunkt
Allen voran Tim Tomczak hatte die Idee, für das letzte Rennen Janas Zwillingsschwester Kim zu reaktivieren. Wie zufällig hatte sich die Medizinstudentin mit ihrer bekannten Schwester eingelaufen und sich danach wieder die Klamotten übergezogen, um den Eindruck zu vermitteln, nur zugucken zu wollen. Doch Tomczak und Kim Sussmann schlichen sich in Richtung 1500-Meter-Start und versteckten sich hinter einer Hecke. Der Starter Jens Möller las genüsslich alle Namen des schnellsten 1500-Meter-Laufs vor und platzierte sie an der Startlinie – kurze Pause. „Und dann fehlt nur noch Kim Sussmann“, sagte er.
Erstauntes Gesicht und ungläubiges Umgucken bei Jana Sussmann: „Nee, die läuft nicht mit. Oder doch?!“ Als Schwester Kim hinter der Hecke hervorkam und sich mit der Startnummer 444 neben Jana, die die 333 trug, an die Startlinie stellte, wurde aus dem Zweifel Gewissheit. Tatsächlich war das einst so erfolgreiche Schwestern-Duo für das letzte Rennen wieder vereint. Da spielte es nur eine untergeordnete Rolle, dass Kim nicht mehr die Form für ein ganzes Rennen auf diesem Niveau hat.
Kim begleitet ihre Schwester auf den ersten 300 und letzten 100 Metern
So begleitete sie ihre Schwester nur auf den ersten 300 Metern und auf der Zielgeraden. Jana Sussmann holte noch einmal alles aus sich heraus und war in 4:30,21 Minuten natürlich die schnellste Frau an diesem letzten Abend der Laufserie der LG Nordheide. Die neben ihr sprintende Kim Sussmann kam sogar einige Zehntel früher über die Ziellinie – natürlich außerhalb der Wertung.
„Das war wie früher“, erinnerte sich Jana, „da war Kim auch immer schneller als ich.“ Sie habe sich vor Rennen vorgenommen, Zweite zu werden, weil der erste Platz ohnehin für ihre drei Minuten jüngere Schwester reserviert gewesen sei. „In der sechsten Klasse hab ich sie das erste Mal überholt. Als wir 14 waren, war ich dann die Schnellere. Und jetzt, in meinem letzten Rennen, ist Kim wieder vorn“, erzählte Jana Sussmann mit einem breiten Grinsen. Ungefähr im Alter von 14 Jahren entschied sich Jana Sussmann, deren Elternhaus in Tönnhausen steht, für den Leistungssport.
Erster Einsatz für Deutschland beim U18-Länderkampf 2006 gegen Polen
Sie startete für die LG Nordheide und wurde lange Jahre von Gerd Prüsmann trainiert. Zuerst waren die 800 Meter und 1500 Meter ihre Spezialdisziplinen. Den ersten Einsatz im Trikot der Nationalmannschaft absolvierte sie 2006 beim U18-Länderkampf gegen Polen beispielsweise über 800 Meter. Viele weitere kamen hinzu. Davon zeugt auch eine silberne Ehrennadel, die der Deutsche Leichtathletik-Verband beim zehnten Einsatz im Nationaltrikot verleiht.
Später entdeckte sie den Hindernislauf für sich, wurde von Gerds Sohn André Prüsmann trainiert und wechselte mit ihm 2012 zum Lauf-Team Haspa Marathon Hamburg, für das sie bis heute startet. Zuvor hatte die damals 20-Jährige ihre erfolgreichste Saison erlebt. 2011 besiegte Jana Sussmann bei einem Qualifikationsrennen in Regensburg die heute überragende Gesa-Felicitas Krause über 3000 Meter Hindernis, durfte die deutschen Farben bei der Team-Europameisterschaft in Stockholm vertreten und sammelte dort als Drittplatzierte zehn Punkte. Ebenfalls 2011 wurde sie deutsche Meisterin, gewann Silber bei den U-23-Europameisterschaften und nahm an den Weltmeisterschaften in Daegu (Südkorea) teil.
2011 war Sussmanns erfolgreichstes Jahr mit der WM-Teilnahme in Südkorea
Insgesamt dreimal, zuletzt Anfang August in Berlin, wurde Jana Sussmann deutsche Vizemeisterin, nahm dreimal an Europameisterschaften teil (2014, 2016, 2018). Nur der Traum von Olympia erfüllte sich nicht. 2016 hatte sie die Norm für Rio erfüllt, im letzten Augenblick lief eine andere Deutsche noch schneller und verdrängte Sussmann aus dem DLV-Aufgebot. „Ich finde, ich habe auch so genug erreicht“, sieht die 28-Jährige darin keinen Makel, „viel mehr als viele andere Menschen und genug, um meinen Enkeln davon zu erzählen.“
Parallel zum sportlichen Erfolg war es für sie immer wichtig, sich beruflich zu entwickeln. Nach dem Abitur in Winsen absolvierte sie bei der Hamburger Sparkasse eine auf Leistungssportler zugeschnittene Ausbildung zur Bankkauffrau, studierte anschließend Medien und Information an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) in Hamburg und arbeitete in den letzten Jahren als freie Journalistin. Am 2. September beginnt sie ein 24-monatiges Volontariat bei der Hamburg Media Company (HMC). „Bei guter Führung vielleicht auch etwas kürzer.“
Bankausbildung, Studium im Fach Medien und Information und nun Volontariat
Und worauf freut sie sich nach dem Ende der Leistungssportkarriere am meisten? „Ich werde mehr Franzbrötchen essen und Wein trinken“, muss Jana nicht lange überlegen. „obwohl ich die letzte Saison auch schon genossen habe. Aber jetzt wird es nochmal anders.“ Sie sei gewohnt gewesen, ihr ganzes Leben nach einem Trainingsplan auszurichten. „Es ist ein schönes Gefühl, sich nicht mehr quälen zu müssen. Bestimmt kommt auch Trauer auf, aber die Erleichterung wird überwiegen.“
Jana Sussmann will drei Tage nicht laufen, bevor sie einige Monate lang ihr Pensum von zuletzt 60 Kilometern und fünf Einheiten pro Woche behutsam herunterfahren muss. Leistungssportler sprechen von Abtrainieren.
Sie muss abtrainieren und will Abstand zum Laufen gewinnen
Danach will sie häufiger ins Fitnessstudio gehen, um etwas für ihre „Stäbchenarme“ zu tun. „Ich brauche erstmal Abstand zum Laufen.“ Und irgendwann kommt bestimmt die Lust wieder für eine lockere Laufrunde mit Zwillingsschwester Kim, um in gemeinsamen Erinnerungen zu schwelgen – jenen aus Kinder- und Jugendzeiten und jenen von einem Mittwochabend im August 2019 in Winsen.