Hamburg. Er riskierte sein Leben, um die Stadt zu schützen: Hamburgs Chef-Entschärfer über Angst, schwierige Einsätze und seine Meinung zu Gaffern.
Der Tod war immer dabei. Wann immer in den vergangenen drei Jahrzehnten der Blindgänger einer Weltkriegsbombe in Hamburg gefunden wurde, war Ronald Weiler (64) vor Ort im Einsatz. Nun geht einer von Hamburgs bekanntesten Feuerwehrleuten in den Ruhestand. Seit 1990 arbeitete „Ronny“ Weiler bei Hamburgs Kampfmittelräumdienst.
Vom Raumausstatter zum Chef der Sprengmeister in Hamburg
520 Bomben hat Ronald Weiler beim Kampfmittelräumdienst in Hamburg erfolgreich entschärft. Indem er sein eigenes Leben riskierte, hat er die Elbmetropole möglicherweise vor großen Katastrophen bewahrt. Seit 2018 leitete er die Abteilung der Kampfmittelentschärfer bei der Feuerwehr und gab in dieser Zeit zahlreiche Interviews. Nun geht der Behördenangestellte in Rente. Schon Ende Oktober wurde er mit einem Festakt im Hamburger Rathaus in den Ruhestand verabschiedet.
Seine Berufskarriere begann Weiler eher unspektakulär. Nach einer Ausbildung zum Raumausstatter ging der Mann im Rahmen der Wehrpflicht in den 1980iger Jahren zur Bundeswehr und wurde als Minentaucher Berufssoldat. Ein Schritt der sein Leben für immer verändern sollte. Statt sich mit der Innenausstattung von Räumen zu beschäftigen, bekam er es mit hochexplosiven Hinterlassenschaften aus dem 2. Weltkrieg zu tun. In Wilhelmshaven gehörte das Auffinden und Entschärfen von Wasserminen zu seinen Aufgaben.
Bei der Marine lernte der gebürtige Rheinländer auch seine spätere Frau kennen, die er 1989 heiratete und mit der er heute in Bergedorf lebt. Aus der Ehe gingen mittlerweile erwachsene Kinder, ein Sohn (32) und eine Tochter (30), hervor,. Dazu ist Weiler inzwischen zweifacher Großvater.
Lange und plötzliche Einsätze waren eine Herausforderung
„Meine Frau kannte die Basis meiner Arbeit und wusste, welchen Gefahren ich mich stelle. In Sorge war sie nur, wenn sie längere Zeit nichts von mir hörte“, sagt der Mann mit Nerven aus Stahlseilen ruckblickend. Gerade zu Beginn der Partnerschaft stellten oft wochenlange und plötzliche Marschbefehle das junge Glück auf die Probe. „Handys gab es damals noch nicht, manchmal war ich 14 Tage weg und sie wusste nicht, zu welchem brenzligen Einsatz auf See ich plötzlich gerufen wurde“, erinnert sich Weiler. Die familiäre Sicherheit war ein Grund, warum „Ronny“ wie er genannt wird, 1990 nach Hamburg ging, wo er dann – ausgerechnet – beim Kampfmittelräumdienst anfing.
An das Arbeiten in einer Großstadt musste er sich erstmal gewöhnen. „Wenn hier etwas schief geht, ist die Gefahr hoher Schäden ungleich größer.“ Noch heute gibt es so etwas wie ein festes Ritual. „Wenn ich das Haus für einen Einsatz verlasse, wünsche ich meiner Frau einen schönen Tag und sie mir. Nach der Entschärfung rufe ich sie direkt an und sage ihr, dass alles gutgegangen ist“, so der erfahrene Sprengmeister.
Erste Fliegerbombe in Harburg entschärft
An seinen ersten Einsatz kann sich Weiler noch gut erinnern, er war nur wenige Tage nach seinem Dienstantritt. Eine 1000-Pfund-Bombe, die bei Bauarbeiten für ein Altenheim in der Homannstraße in Harburg unter einem Baum gefunden wurde. Gemeinsam mit seinem damaligen Chef Manfred Schubert entsorgte er das stählerne Ungetüm. Es folgten 539 weitere Einsätze dieser Art. „Gefährlich waren sie alle. Der Tod ist bei meiner Arbeit immer dabei“, so der Sprengmeister. Brenzlig und nervenzehrend seien aber nur wenige gewesen. In Hamburg werden gefundene Sprengkörper sofort nach dem Fund entschärft.
Das findet Weiler auch richtig: „Immer dann, wenn die Zeit vom Fund einer Bombe bis zum Beginn der Entschärfung zu lange ist, dann läuft man Gefahr, sich in Gedanken zu vertiefen“, erzählt Weiler von langen Einsätzen. Das seien dann keine schönen Gedanken, man fange an über seinen Job und die Gefahren nachzudenken und dann entwickle sich vielleicht auch Angst. Diese hatte Weiler in seiner Karriere nicht. „Ich habe mich auf unsere Erfahrung und mein Wissen über die Bomben verlassen.“
Einsatz in der Schanze war ein ganz Besonderer
Anfang Oktober in der Sternschanze war so ein Einsatz, der quälend lange dauerte. Es sollte einer der letzten für Ronald Weiler gewesen sein. „Zunächst dauerte es, bis das dicht bewohnte Gebiet vollständig evakuiert war“, rund 5000 Menschen mussten ihre Wohnungen verlassen.
„Als das Gebiet menschenleer gewesen ist und wir loslegen wollten, folgte die nächste Verzögerung“. Wie das Abendblatt im Gespräch erfuhr, lag das am Fund einer Leiche in einem nahegelegenen Park.
Gaffer nerven „und sind dann eben tot“
Kein Verständnis habe Hamburgs oberster Kampfmittelentschärfer für Schaulustige und Sensationsgierige. Immer wieder kommt es vor, dass Menschen versuchen, trotz Sperrzone ein Foto von den Entschärfungsarbeiten zu ergattern und sich in Gefahr begeben. „Die wollen ja, dass etwas passiert, um dann ein besonderes Foto zu bekommen“, warnt der Sprengmeister. Auf die Frage, was mit den Unverbesserlichen passiere – wenn etwas schief geht, antwortet Ronald Weiler trocken: „Die sind dann eben tot.“ Verzögerungen und langes Warten hätten in den letzten Jahren immer mehr zugenommen, weil die Evakuierungen auf Grund der dichten Bebauung länger dauerten und weil in Zeiten von Socialmedia immer wieder Personen versuchen sich an den Fundort der Fliegerbombe heranzuschleichen.
Die Kunstt des Entschärfens: Früher Muskelkraft heute Wasserschneider
Als Weiler die Stelle als Erster Sprengmeister 2018 antrat, übergab ihm der damals scheidende Sprengmeister Hermann Borelli symbolisch eine Brustkurbel, mit der die Zünder noch manuell aus der Bombe geschraubt werden mussten. „Ein Gerät, das seinerzeit sehr kraftaufwendig war und für Schweißperlen auf der Stirn sorgte. Jede Bewegung an der Bombe kann dazu führen, dass sie explodiert. Die Gefahr, mit der Kurbel mal abzurutschen, war hoch“, sagt Weiler heute.
Seit einigen Jahren kommt die manuelle Kurbel nur noch selten zum Einsatz. „Mittlerweile haben wir gemeinsam mit der Industrie einen Wasserschneider entwickelt, mit dem wir den Zünder aus dem Blindgänger mittels eines scharfen Wasserstrahls herausschneiden können“, sagt Weiler. Seit 2005 kommt das Gerät nahezu bei jeder Weltkriegsbome zum Einsatz und wird ständig weiterentwickelt. Dadurch können die explosiven Kriegshinterlassenschaften aus der Entfernung gesteuert entschärft werden. „Ein 100-prozentiger Schutz ist das allerdings nicht. Geht die Bombe mal hoch, werden wir von der Druckwelle und auch durch Splitter erfasst. Daher haben wir einen speziellen Abrollbehälter, der uns gegen Splitter und Druckwelle schützen soll“.
Sachse wird Hamburgs Erster Sprengmeister
Am 1. November übergab Roland Weiler offiziell die Verantwortung an seinen Nachfolger André Kowalzik (44). Der Vater von drei kleinen Kindern stammt aus Plauen in Sachsen und hat seine Karriere ebenfalls bei der Bundeswehr begonnen. 2010 kam er zum Kampfmittelräumdienst und hat seither viele Erfahrungen gesammelt.
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Ronald Weiler freut sich hingegen auf seinen nicht ganz so ruhigen Ruhestand. Dem Tauchen sei er über die Jahre treu geblieben und daher plant er zusammen mit seiner Frau viel zu reisen und auf ausgiebige Tauchtouren zu gehen. „Ansonsten werde ich Vollzeit-Opa“, so Weiler abschließend. „Ich freue mich am meisten darauf, noch mehr Zeit mit meinen beiden Enkelkindern zu verbringen.“