Hamburg. Mehrere Hundert liegen noch im Hamburger Boden. Kampfmittelräumdienst: „Irgendwann löst vermutlich fast jeder der Langzeitzünder aus“.
Die Altlasten des Zweiten Weltkriegs werden den Kampfmittelräumdienst noch „mindestens 50 Jahre“ beschäftigen. Denn auch 70 Jahre nach Kriegsende befinden sich nach Angaben der Feuerwehr noch rund 2800 Fliegerbomben im Hamburger Boden und rosten vor sich hin.
400 von ihnen könnten mit den hochgefährlichen Langzeitzündern ausgerüstet sein – wie die am Donnerstag an der Geschwister-Scholl-Straße in Eppendorf entschärfte, 250 Kilogramm schwere britische Fliegerbombe. Auch bei dem Blindgänger, der Mitte Dezember in Othmarschen entdeckt wurde, handelte es sich um diesen Bombentyp. „Irgendwann löst vermutlich fast jeder der Langzeitzünder aus“, sagte der Chef des Kampfmittelräumdienstes, Sprengmeister Peter Bodes, dem Abendblatt. Seit Kriegsende lägen bundesweit mehr als 90 Berichte über Selbstdetonationen vor. „Wir gehen mit 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit davon aus, dass chemische Langzeitzünder die Ursache sind.“
Gestützt wird die These von einem Gutachten von Wolfgang Spyra, Professor an der TU Cottbus, über Blindgänger in Oranienburg. Dort waren vor allem Langzeitzünder-Bomben abgeworfen worden. Spyra hält eine Selbstdetonation dieser Blindgänger „in naher Zukunft“ für wahrscheinlich.
Der Kampfmittelräumdienst hat 2015 insgesamt 310 Einsätze bewältigt
Die im Krieg zur Demoralisierung eingesetzten Bomben mit Langzeitzünder gelten als heimtückisch: Eine Ampulle mit Aceton zerbricht, das Lösungsmittel zerfrisst eine Kunststoffscheibe, die einen gespannten Schlagbolzen hält. Der Prozess dauert eine halbe Stunde bis mehrere Tage. Ist die Scheibe zersetzt, wird der Bolzen freigegeben, die Bombe explodiert. Wird der Zündprozess unterbrochen, weil die Aceton-Ampulle nur angeknackst ist, kann dieser auch nach Jahrzehnten reaktiviert werden, etwa durch Bauarbeiten. Im Fall der Eppendorfer Bombe sei der Zünder, so Bodes, bereits beim Abwurf vor 70 Jahren aktiviert worden. Glücklicherweise sei sie nach dem Fund nicht bewegt worden.
Gefährliche Fliegerbombe in Eppendorf gefunden
Der Kampfmittelräumdienst hat im Vorjahr 310 Einsätze bewältigt. Elf große Sprengbomben wurden entschärft, rund 2500 andere Weltkriegsrelikte wie Granaten und Panzerminen zerstört. Die meisten ungeborgenen Bomben werden im Hamburger Süden vermutet, etwa in Rothenburgsort, Wilhelmsburg und im Hafen. Unmengen von Munition dürften auch im Bereich der Verteidigungslinie der „Festung Hamburg“ liegen. Kernstück der Linie, die von Over bis nach Finkenwerder führte, war ein fünf Meter tiefer Panzergraben. Viele Soldaten entsorgten dort Waffen und Munition. Noch heute gilt das Areal als „munitionsverseucht“.
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