Harburg. Fernstraßen in der Region müssen mehr Verkehr bewältigen, als einst geplant. Für Brücken ist das ein Problem. Doch genaue Daten fehlen.
Als die Norderelbbrücke der Autobahn A1 vor zwei Wochen halb gesperrt wurde, merkte man das sofort im ganzen Hamburger Süden. Die Staus auf der Autobahn führten zu Ausweichverkehr in Stadt und Land, und dieser stand bald in seinem eigenen Stau. Man kennt das hier: Auch wenn die A7 gesperrt ist, so wie kommendes Wochenende, geht auf den Harburger Hauptstraßen nichts mehr und auch die Nebenstraßen bleiben nicht ruhig. Jüngst kursierte die Nachricht, dass im Norden 16 Prozent der Autobahnbrücken marode seien. Alarmierend viele, also. Man fragt sich: Wie schlimm ist es und wie stark sind Harburg und Umland betroffen?
„V“ aus roten Punkten an A7 und A1 markiert marode Autobahnbrücken
Blickt man auf eine ebenfalls kusierende interaktive Karte, kann einem angst und bange werden: Ein deutliches „V“ aus orangen und roten Punkten entlang des Verlaufs von A7 und A1 zwischen Seevetal und Waltershof beziehungsweise Georgswerder markiert Autobahnbrücken, die stark oder sehr stark überlastet seien. Gut 30 solcher Punkte sind es, die Brücken anzeigen, deren „Traglastindex“ zwischen vier und fünf liegt. Solche Brücken müssen in kurzen Zeitabständen untersucht werden, weil ihre tatsächliche Belastung ihre geplante Belastung deutlich übersteigt.
Das betrifft fast alle Autobahnbrücken in der Region. Sie wurden größtenteils in den 1960er-Jahren gebaut, als es noch deutlich weniger Autoverkehr gab. Zwar rechnete man seinerseits schon mit einem großen Verkehrswachstum, aber nicht mit den Fahrzeugmengen, die heute wirklich unterwegs sind. Werden Brücken mit einem hohen Index untersucht, erhalten sie eine Zustandsnote zwischen 1 und 4. Sofortmaßnahmen sind ab der Note 3,5 erforderlich.
Die Zustandsnoten einiger Brücken im Harburger „V“ sind gut. Keine ist alarmierend. Die meisten bewegen sich zwischen 2,5 („geht so“) und 3 („geht gerade eben noch“). Guckt man allerdings genauer hin, wird man stutzig: Verzeichnet sind auch Brücken, die gerade saniert werden, etwa an der A7, dazu welche, die schon vor Jahren saniert wurden, wie die Harburger Hochstraße; oder, ganz frappant: Brücken, die es gar nicht mehr gibt, wie die Brücken der alten Wilhelmsburger Reichsstraße, die ja komplett und inklusive der Brücken aus dem Stadtbild ausgebaut wurde.
Bei der Autobahn GmbH des Bundes, Niederlassung Nord, ist man daher auch irritiert über besorgte Anfragen, die in Folge eines Radio-Berichtes eingingen. Man wisse, dass die Autobahnen im Großraum Hamburg allesamt stärker belastet seien, als man einst für möglich gehalten habe und dass dies besonders die Brücken betrifft, sagt Pressesprecherin Veronika Böge. Deswegen würden sie auch gerade erweitert. Das betrifft auch die Brücken.
Wenn die A7 auf der Hochstraße fertig erweitert ist, liegt das nächste Großprojekt an
„Bei der Erweiterung der A7 südlich des Elbtunnels wird derzeit nicht nur die A7 um zwei Fahrstreifen erweitert, sondern die gesamte Hochstraße K20 saniert“, sagt Böge.
Die K20, Europas längste Autobahnbrücke, trägt die A7 aus den Harburger Bergen über vier Kilometer sanft hinunter zum Elbtunnel. Mehrere Einzelabschnitte tauchen in der Karte als Punkte auf. Auch solche, deren Sanierung bereits abgeschlossen ist. Wenn die A7 auf der Hochstraße fertig erweitert ist, liegt das nächste Großprojekt an:
„Im Zuge des Ausbaus der A1 zwischen Norderelbe und Süderelbe ist geplant, alle Brückenbauwerke neu zu erstellen“, sagt Böge. „Das schließt die Norderelbbrücke, das Autobahndreieck Norderelbe und die Süderelbbrücken sowie alle weiteren Bauwerke innerhalb des Ausbaus natürlich mit ein.“
Der Ausbau der A7 und der A1 setzt sich auch südlich von Hamburg noch fort und auch hier werden die Brücken gleich zukunftsfähig gemacht: „Auf der A7 und A1 sind wir im Horster Dreieck und Maschener Kreuz tätig, so wie auch auf A7 zwischen Marmstorf und Maschen“, sagt Veronika Böge. „Die Bauwerke an der A1 zwischen Harburg und Maschen sind in Planung. Ebenso sind weitere Sanierungsmaßnahmen im Kreuz Maschen geplant.“
Wie kommen die Punkte in die Karte?
Damit man auch während der jetzigen Sanierung der A7 und der später folgenden der A1 immer noch eine Ausweich-Schnellstraße hat, wurde Anfang der 2020er-Jahre bereits die Harburger Hochstraße grundsaniert. Doch auch sie ist noch in dem Zustand verzeichnet, den sie vor der Sanierung hatte. Ebenso, wie die alte Wilhelmsburger Reichsstraße.
Wie kommen die Punkte also in die Karte? Die Karte des Senders, der sie online verbreitet hatte, stammt von der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt). Das ist keine Behörde, die Entscheidungen trifft, sondern eine ingenieurwissenschaftliche Forschungseinrichtung. Sie widmet sich den vielfältigen Herausforderungen, die aus den Wechselwirkungen zwischen Mensch, Verkehr, Infrastruktur und Umwelt resultieren. Wie jede öffentliche Forschungseinrichtung macht auch die BASt ihre Erkenntnisse jedermann zugänglich, sofern es sich nicht um Staatsgeheimnisse handelt. Also auch die Brückenzustandsdaten.
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Warum unter diesen Daten aber längst veraltete sind, kann die BASt nicht sagen. Man erhebe sie nicht selbst, sagt ein Sprecher, sondern erhalte sie von den Bundesländern, beziehungsweise, wie im Fall Hamburg, von der Autobahnmeisterei. Die wiederum gehört zur Autobahn GmbH des Bundes, welche sich gerade irritiert über die fehlplatzierten Kartenpunkte zeigt.
Irgendwo scheint da also eine Kommunikation nicht stattgefunden zu haben. Beruhigend ist, dass es in diesem Fall nicht dazu führt, dass eine Sanierung ausbleibt. Allerdings sind die Daten, die hier fehlerhaft sind, die Basis für langfristige verkehrspolitische Planungen, denn dafür ist die BASt als beratende Stelle vorgesehen.
Nicht, dass demnächst ein Bundesverkehrsminister in Wilhelmsburg die anstehende Sanierung der alten Reichsstraße verkünden will und irritiert im Inselpark steht. Mitten im Grünen.