Wilhelmsburg. Bürgerinitiative stellt alle Baustellen der nächsten zehn Jahre in einer Karte zusammen. Ein Anblick, der nicht nur Anwohner beunruhigt.

Die Harburger in Stadt und Kreis stöhnen gerne, dass ihre Region der Trichter ist, durch den sich die Verkehre über die Elbe bündeln. Der Flaschenhals, auf dem dieser Trichter sitzt, ist jedoch die Hamburger Elbinsel Wilhelmsburg. Dort verlaufen die Bahnmagistrale von Skandinavien nach Südeuropa. Die Wilhelmsburger Reichsstraße, die A 1 und peripher die Hafenhauptroute. Querverkehre auf der West-Ost-Achse zwischen Hafen und A1 beziehungsweise Hafenbahn und Fernbahnmagistrale kommen hinzu. Soweit die alltägliche Situation.

In den nächsten zehn bis 15 Jahren liegen aber an Eisen- und Autobahn auf der Insel diverse Großbauprojekte an. Engagierte Wilhelmsburger fürchten den Verkehrsinfarkt, zumal in Wilhelmsburg auch noch fünf große neue Wohngebiete geplant sind und eine bestehende Großwohnsiedlung generalüberholt werden soll. „Dann wird ganz Wilhelmsburg zur Großbaustelle und so zum Nadelöhr.“, sagt Dirk Holm von der Initiative „Engagierte Wilhelmsburger“, die eine Karte erstellt hat, auf der alle Bauvorhaben verzeichnet sind. Sie wirkt beunruhigend.

„Ein Chaos, welches nicht nur die Elbinseln, sondern ganz Hamburg betreffen wird“

Gut zwei Dutzend in den kommenden Jahren geplante große Bauprojekte auf den Elbinseln sind auf der Karte zu sehen. Jedes einzelne ist schon etwas länger bekannt. Aber erst in der Übersichtskarte wird deutlich, wie eng die Projekte beieinander liegen und welche Auswirkungen dies haben könnte. Die Zusammenfassung stammt originär von der Bürgerinitiative „Engagierte Wilhelmsburger“, das Abendblatt hat auf dieser Grundlage eine eigene Infografik erstellt.

Die Karte der „Engagierten Wilhelmsburger“ wurde von der Bürgerinitiative in in einer Auflage von 2000 Stück im DIN-A3-Format gedruckt und soll nun Bürgerinnen, Verwaltung und nicht zuletzt der Politik deutlich machen, was demnächst auf den Stadtteil zukommt. „Nämlich ein Chaos, welches nicht nur die Elbinseln, sondern ganz Hamburg betreffen wird“, sagt Holm.

Die Karte der Bürgerinitiative soll deutlich machen, was auf den Stadtteil zukommt

Das große Bauen hat bereits begonnen: Im Kleinen, wo der Landesbetrieb Straßen, Brücken und Gewässer (LSBG) seit 2022 die Georg-Wilhelm-Straße umgestaltet, im Größeren, wo die Bahn auf der Veddel ihre mehr als 100 Jahre alten Brücken über die Müggenburger Durchfahrt erneuert. Diese Bahnbaustelle ist die Vorarbeit für das Bahn-Großprojekt Norderelbbrücken – Erneuerung und Erweiterung. Auch die Süderelbbrücken der Bahn werden erneuert, genauso, wie die Süderelbbrücke und die Norderelbbrücke der Autobahn A 1.

Bei all diesen Brückenbaustellen werden zunächst neue Brücken gebaut – entweder als permanenter Ersatz oder als Behelfsbrücken, die später wieder abgebaut werden. Bei den Norderelbbrücken der Bahn sollen die Umleitungsgleise und der Neubau bleiben, um letztlich die Gleiskapazität über den Fluss zu erhöhen.

Im Wilhelmsburger Süden kommt der Bau der Autobahn A 26-Ost hinzu

Zu den Großbaustellen auf den Nord-Süd-Achsen kommt im Wilhelmsburger Süden der Bau der Autobahn A 26-Ost, quer zu den Brückenbaustellen über die Süderelbe und im Herzen der Insel die neue Gleisunterführung der Hafenbahn zur Haupt-Güterbahnstrecke, die einen flüssigeren Personenzugverkehr zwischen Harburg und Hamburg ermöglichen soll. Inmitten dieser Baustellen sollen noch vier sehr große sowie drei mittelgroße Wohngebiete inklusive dazugehöriger Infrastruktur neu errichtet werden.

Eines der Projekte, die Wilhelmsburg direkt betrifft: Die Bahnbrücken über die Süderelbe müssen ersetzt werden.
Eines der Projekte, die Wilhelmsburg direkt betrifft: Die Bahnbrücken über die Süderelbe müssen ersetzt werden. © Deutsche Bahn AG | Unbekannt

Geht es nach den Plänen der Bauwilligen, werden alle diese Projekte innerhalb der nächsten zehn Jahre verwirklicht. Realistisch ist davon auszugehen dass sich Projekte verzögern – beim Neuen Korallusviertel etwa, wo Akteure, die man schon vom Neuländer Quarree und den Holstenhöfen kennt, das Baugebiet schon wieder an den nächsten Investor weiterverkauft haben, der auch nicht gerade als Baulöwe, sondern als Geldanleger bekannt ist. Das Worst-Case-Szenario, wenn sich alle Baustellen gleichzeitig verzögern: Sie werden später komprimiert innerhalb von zehn Jahren verwirklicht.

Für alle Baustellen muss mit erheblichem Zulieferverkehr gerechnet werden

Nicht alle dieser Baustellen verbrauchen Fläche auf der Insel. Die Hafenbahnkreuzung liegt komplett auf bestehendem Bahngelände. Die Verbreiterung der A 1 soll im Wesentlichen dort stattfinden, wo jetzt noch die Raststätte Stillhorn ist, und die Haupt-Baustelle der Autobahn-Süderelbbrücke liegt auf der Harburger Elbseite. „Aber alle diese Baustellen – auch die Wohnungsbauprojekte – haben erhebliche Zulieferverkehre“, sagt Dirk Holm, „und für die Brückenbaustelle der A 1 wird die Abfahrt Harburg gesperrt. Das bedeutet zwangsläufig Ausweichverkehre über die Kornweide, vorbei an den Baustellen von A26 und Bahn-Elbbrücke.“

Rechts und links neben der bestehenden Bahn-Elbbrücke werden jetzt schon Pachtverträge gekündigt oder nicht verlängert. Weichen müssen unter anderem der Wohnmobilstellplatz, die Deichwacht und die DLRG sowie der Motorradclub „Insel-Biker“ und die Kampfsportschule. Der Platz wird für die Behelfsbrücken und als Lagerfläche der Baustelle benötigt.

Der Aushub für den Tunnel der A 26-Ost entspricht etwa 17.000 Lkw-Ladungen

„Die IBA war schon schlimm“, sagt Dirk Holms Mitstreiterin Renate Weber, die zwischen den zukünftigen Baustellen A 1, A 26 und Bahn wohnt, „aber das hier wird noch schlimmer. Ich glaube nicht, dass ich noch einmal ruhiges Wohnen erleben werde!“ Die „engagierten Wilhelmburger“ haben ihre Karte erstellt, um die Ausmaße und Wechselwirkungen der Baustellen zu verdeutlichen und weiter Bürger gegen die massierte Planung zu mobilisieren. Sie findet – sowohl als DIN-A3-Übersicht wie auch als kommentiertes Faltblatt – reißenden Absatz. Ein wenig hofft die Initiative auch darauf, dass diese Karte bei den Bauherren Wirkung zeigt, denn durch Baustellen, Bombenfunde oder auch Blockaden der „Letzten Generation“ auf den Elbinseln haben Auswirkungen auf ganz Hamburg, wie sich schon in der Vergangenheit gezeigt hat.

So soll die neue Süderelbbrücke aussehen.
So soll die neue Süderelbbrücke aussehen. © HA | Deges

„Offenbar haben die Verantwortlichen nicht auf dem Schirm, dass bei dieser Planung der gesamte Verkehr auf Straßen und Schienen von und nach Hamburg massiv behindert, oder sogar zum Erliegen kommen wird, und zwar über längere Zeit“, sagt Holm. „Ein Koordination der Bauabläufe ist unseres Wissens nach nicht vorgesehen. Jeder Bauträger hat nur sein eigenes Projekt vor Augen. Dabei werden sich die Bauprojekte gegenseitig behindern. Alles Material muss per Lkw an- und abgefahren werden. Allein geschätzte 675.000 Kubikmeter Aushub für den Tunnel der geplanten A 26-Ost. Das entspricht etwa 17.000 Lkw-Ladungen.“

Der Bau der A 26-Ost werde massiv in den Wasserhaushalt der Umgebung eingreifen

Neben Verkehrsbehinderungen auf Straße und Schiene befürchten die „Engagierten Wilhelmsburger“ auch schlimme Auswirkungen auf Deichsicherheit und Natur. Gerade die Brückenbaustellen befinden sich in sturmflutsensiblen Bereichen, und die tiefe Grube für die unter einem Deckel geplante A 26-Ost wird, befürchtet die Initiative, massiv in den Wasserhaushalt der Umgebung eingreifen und damit eventuell ebenfalls den Deich gefährden. „Es wird Zeit, dass sich die Verantwortlichen einigen kritischen Fragen stellen“, sagt Dirk Holm.

Die Bürgerinitiative „Engagierte Wilhelmsburger“ ist aus der breiten Bürgerbewegung entstanden, die 1993 in Wilhelmsburg gegen den geplanten Bau einer Müllverbrennungsanlage auf der Insel protestierte. Seitdem erheben sie ihre Stimme bei allen Projekten, die die Elbinsel betreffen. Vor allem bei IBA und IGS waren sie sehr kritische Begleiter. Die „Engagierten Wilhelmsburger“ sind ausgesprochene Gegner der A 26-Ost. Sie rekrutieren sich hauptsächlich aus den gut- und bildungsbürgerlichen Quartieren und Schichten im Stadtteil.